Klimawandel: Brandenburg sucht den Alleebaum der Zukunft
Auf einem Gelände bei Schönefeld testen Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität 80 teils exotische Baumarten. Einige davon könnten bald auch Brandenburgs Straßen säumen
Kleinziethen - Die Broussonetia papyrifera ist hart im Nehmen. In ihrer Heimat, in China und Südostasien, verträgt sie im Sommer direkte Sonne genauso gut wie Temperaturen bis zu minus 17 Grad Celsius im Winter. Auch bei der Wahl der Böden ist der Papiermaulbeerbaum anspruchslos: trockene sandige Böden genügen ihm. Ob das früher zur Papierherstellung genutzte Maulbeergewächs sogar dem strapaziösen Leben eines brandenburgischen Alleebaums gewachsen ist, testen derzeit Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität auf einer Versuchsanlage in Kleinziehten bei Schönefeld (Dahme-Spreewald). Mehr als 80 verschiedene, teils exotische Baumarten haben Matthias Zander vom Fachgebiet Urbane Ökophysiologie der Pflanzen und sein Team im vergangenen Jahr auf einem rund zweieinhalb Hektar großen Gelände der Garten- und Landschaftsbaufirma Lorberg angepflanzt. Zehn Jahre lang sollen die Bäume in direkter Nachbarschaft zur viel befahrenen B 96 einen Härtetest absolvieren, Abgase, gesteuerte Trockenperioden und harte Winter ertragen.
Das erste Jahr auf der Versuchsplantage haben die Jungbäume insgesamt recht gut vertragen. Lediglich der späte Kälteeinbruch Anfang Mai hat einigen Arten zu schaffen gemacht, darunter auch den Papiermaulbeerbäumchen. Bis zu minus sechs Grad wurde im Land Brandenburg stellenweise gemessen. Das war den noch jungen Broussonetiae papyrifera dann wohl doch etwas zu kalt. „Mittlerweile ist aber von den Spätfrostschäden bereits nichts mehr zu sehen“, sagt Wissenschaftler Matthias Zander, während er die noch bescheidene Krone eines der Papiermaulbeerbäumchen nach abgefrorenen Zweigen durchsucht. Verbunden sind die in Reihe gepflanzten Bäume mit einem Bewässerungssystem und einem schwarzen Kabel. Über Sensoren im Boden wird die Feuchtigkeit gemessen und je nach Bedarf die Wasserzufuhr gesteuert. Simuliert werden drei verschiedene Phasen: optimale Versorgung, moderater Trockenstress und akuter Trockenstress.
Die Straßenbaum-Testreihe ist eines von 24 Teilprojekten des von der Bundesregierung geförderten Innovationsnetzwerks Klimaanpassung Berlin-Brandenburg (Inka BB). Ziel ist es, Lösungsansätze für zu erwartende Folgen aus der klimatischen Veränderung zu entwickeln. Während sich Zander mit der Auswahl geeigneter Gehölze für die Stadt- und Straßenbegrünung beschäftigt, werden in anderen Projekten etwa Anpassungsstrategien für die Weidenutzung erarbeitet oder Sortenstrategien bei Nutzpflanzen zusammengestellt. Alle Projekte konzentrieren sich auf eine Modellregion, die sich von der Uckermark über Berlin bis in die Lausitz erstreckt.
Auf dem Kleinziethener Testgelände stehen insgesamt 15 Bäume je Art, darunter Exoten wie Milchorangenbäume, Japanische Zelkoven, Taschentuchbäume oder Kobushi-Magnolien, aber auch südeuropäische Ableger heimischer Bäume wie etwa die Spanische Eiche oder die Zerreiche. „Wir wählen schwerpunktmäßig solche Arten, die aus sommerheißen und trockenen Regionen der Erde stammen“, berichtet Matthias Zander. Herkömmliche Alleebäume wie Linden, Eichen oder Eschen kämen mit den immer häufiger auftretenden Extremwetterereignissen nur schwer zurecht, seien infolge anfälliger für Krankheiten und Schädlingsbefall. Modellberechnungen, so Zander, gingen von einem Anstieg der Durchschnittstemperatur im Land Brandenburg von zwei bis vier Grad in den nächsten 30 bis 40 Jahren aus. Gleichzeitig sei mit immer häufigeren Trockenperioden zu rechnen. Zudem seien Bäume an Straßen ohnehin durch den Streusalzeinsatz, die Verdichtung der Böden infolge von Baumaßnahmen sowie durch Unfallschäden stark belastet, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. „Es zeichnet sich ab, dass einige bisherige Baumarten den künftigen Anforderungen eines Straßenbaumes nicht mehr genügen.“
Auch Katja Glante vom brandenburgischen Landesbetrieb Straßenwesen, das für rund 620 000 Straßenbäume zuständig ist, hält ein Umdenken für geboten. „Trockenphasen und Spätfröste gab es schon immer, doch mein Eindruck ist, dass solche Ereignisse immer extremer werden“, so Glante. Das Projekt in Kleinziehten halte sie deshalb für „absolut sinnvoll“. „Wir würden gerne Arten wie die Zerreiche oder die Spanische Eiche pflanzen, doch durch das Bundesnaturschutzgesetz und eine Verordnung des Landes sind wir gehalten, einheimische Bäume auszuwählen“, berichtet die Landschaftspflegerin. Diese aber sähen „den Klimawandel nicht voraus“, ist Glante überzeugt. In diesem Jahr seien allein in den Kreisen Barnim, Uckermark und Oberhavel rund 50 Bäume wegen des Kälteeinbruchs im Mai eingegangen. „Mehrere davon standen bereits länger als fünf Jahre“, sagt die Landschaftspflegerin.
Verluste in dieser Größenordnung sind für den Landesbetrieb durchaus ein Kostenfaktor. „Bei der Anschaffung neuer Straßenbäume rechnen wir im Schnitt mit rund 400 Euro pro Baum“, sagt Katja Glante. Eingekauft wird bei privaten Baumschulen, wie etwa der Firma Lorberg. Das Gartenbauunternehmen ist laut Zander als Projektpartner an dem Alleentest mit 70 000 Euro beteiligt – aus rein wirtschaftlichem Interesse. Schließlich will Lorberg auch in der Zukunft den Kommunen und Landesbehörden geeignete Bäume anbieten können. Da gilt es, sich rechtzeitig auf veränderte Ansprüche umzustellen. Immerhin dauert die Aufzucht eines geeigneten Alleebaums bis zu 20 Jahre. „Ein glücklicher Kunde ist der beste Kunde“, bestätigt Guiseppe Kahn, Betriebsleiter von Lorberg in Kleinziehten.
Mit den ersten Ergebnissen und Empfehlungen rechnet Matthias Zander von der Humboldt-Universität bereits in rund zwei Jahren. „Das Bild mit Straßenbäumen sieht in 20 Jahren vermutlich anders aus, als wir es heute kennen. Wahrscheinlich exotischer“, schätzt der Wissenschaftler. Magnolien oder Taschentuchbäume seien an brandenburgischen Alleen aber eher nicht zu erwarten, meint Zander. „Solche Bäume sind eher etwas für die Innenstadtbereiche.“ Zerreichen oder Spanische Eichen dagegen seien durchaus an Alleen vorstellbar. Und die widerstandsfähige Broussonetia papyrifera? „Der Papiermaulbeerbaum ist wahrscheinlich zu klein und wächst zu stark in die Breite“, befürchtet der Baum-Forscher.
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