30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers: Blumen für die Ermordeten
Das Massaker in Peking 1989 entsetzte Bürgerrechtler in Potsdam. Studenten solidarisierten sich und protestierten mit einem Plakat.
Potsdam - Das Transparent hing nicht lange, eine Stunde vielleicht. „Wir trauern um die Ermordeten in Peking“ stand darauf zu lesen, an jenem 7. Juni 1989 am Zaun des Civil-Waisenhauses in der Berliner Straße 148 in Potsdams Innenstadt. Studierende der kirchlichen Ausbildungsstätte für Gemeindediakonie und Sozialarbeit, die dort untergebracht war, hatten es gestaltet. „Die Studenten haben ein Bettlaken bemalt“, erinnert sich Frank Otto, damals Dozent für Psychologie. Und obwohl das Transparent so schnell wieder weg war, muss sich die Nachricht herumgesprochen haben in Potsdam. Passanten kamen vorbei, legten an der Stelle Blumen ab, teils in Vasen, erzählt Frank Otto: „Für DDR-Verhältnisse war es ein richtiges kleines Blumenmeer.“ Am nächsten Tag ordnete die Stadt die Entfernung der Blumen an, von einer „unerlaubten Protestaktion“ war die Rede.
Bilder aus China drangen über das Fernsehen nach Potsdam
In der Nacht zum 4. Juni 1989 war in Peking das chinesische Militär gewaltsam gegen Studenten vorgegangen, die für Demokratie demonstrierten. Nach Schätzungen des chinesischen Roten Kreuzes kamen mehrere tausend Zivilisten zu Tode – die genaue Zahl ist auch heute, 30 Jahre später, noch unklar. Otto erwischte die Nachricht vom Massaker am 4. Juni nach der Heimkehr von seiner Hochzeit, die er in einer mecklenburgischen Dorfkirche gefeiert hatte: „Im Fernsehen die Bilder, unter anderem wie sich ein Student einem Panzer entgegenstellte.“
Es war ein Schock für alle, die sich wie er in kirchlichen Kreisen für eine demokratische Veränderung in der DDR eingesetzt hatten. Noch beim Kirchentag in Leipzig im Mai 1989, erinnert sich der heute 68-Jährige, war er bei einem Protestzug zur Unterstützung der Demokratiebewegung dabei gewesen, es gab so etwas wie Hoffnung. Als der SED-Funktionär Egon Krenz dann seine Solidarität mit den chinesischen Genossen erklärte, sei vielen bewusst geworden, „dass eine solche Lösung“ – mit Gewalt und Toten – „auch in der DDR möglich war“, sagt Otto.
Friedensmärsche machten Mut
Auch unter den Kollegen in der Potsdamer Ausbildungsstätte gab es Diskussionen – und Turbulenzen. Der damalige Rektor Frieder Burkhardt erinnert sich: „Da war die Frage: Wohin kippt das jetzt – Richtung Angst oder Richtung Mut?“ Man habe als kirchliche Einrichtung immer versucht, Freiraum für freies Denken zu schaffen, das Haus für andere zu öffnen, sagt der heute 76-Jährige. Da war beispielsweise die Antifa-Gruppe, in der auch Burkhardts Sohn aktiv war, und die sich schon länger jeden Donnerstag in dessen Arbeitszimmer traf – weil die Stadt keine Räume zur Verfügung stellen wollte, denn damit hätte sie eingestehen müssen, dass es ein Problem gab mit Neonazis.
Burkhardt erinnert an Veranstaltungen wie die „Sozialen Nachtgebete“ mit Auftritten des oppositionellen Liedermachers Stephan Krawczyk und der Bürgerrechtlerin Freya Klier, zu denen nicht nur die Studenten eingeladen waren. Wegen solcher Aktionen geriet die Ausbildungsstätte immer wieder in Konflikt mit dem Rathaus, teils auch der Kirchenleitung. 1988 hatten sich Mitarbeiter kurzfristig entschlossen, beim Olof-Palme-Friedensmarsch, einer Friedensdemonstration quer durch die DDR, mitzumachen. „Das waren sukzessiv Ermutigungspunkte, wo plötzlich etwas ging, man gemeinsam auf der Straße war, gesungen hat“, erzählt Burkhardt.
Gedenkandacht für die Opfer
Nach dem Massaker in China gab es Verunsicherung. Am Morgen des 6. Juni hielt Frieder Burkhardt für die Studierenden eine Gedenkandacht für die Opfer. Den Text, getippt auf der Schreibmaschine, hat er bis heute aufgehoben. Der Theologe benannte darin das, wovon in der DDR-Presse höchstens verzerrt die Rede war, mit klaren Worten als Massaker, beschrieb die erschütternden Szenen, die er im Westfernsehen gesehen hatte. Der Impuls für das Plakat sei aber allein von den Studenten gekommen, betont er. Dass das eine größere Öffentlichkeit erreichen und es Ärger geben würde, sei vorher klar gewesen. Im Dozentenkollegium habe sich für die geplante Aktion auch keine Mehrheit gefunden, sagt Burkhardt. Er habe die Studenten dennoch ermuntert, „das zu tun, was ihnen ihr Gewissen gebietet“.
Kirchenleute entfernten das Transparent
Am nächsten Tag hängten sie das Transparent auf. Eine halbe Stunde später habe der Beauftragte für Kirchenfragen vorgesprochen, per Telefon meldete sich aber auch die kirchliche Dienststelle in Berlin. Von Drohgebärden spricht Burkhardt, es sei betont worden, dass das Civil-Waisenhaus an der „Protokollstrecke“ liege, die ausländische Diplomaten von der Glienicker Brücke kommend passieren: „Und die dürften nicht irritiert werden.“ Als Burkhardt mit ansehen musste, wie ausgerechnet zwei Kirchenleute vom Landesausschuss für Innere Mission das Transparent entfernten, wurde er wütend und beschimpfte die beiden. Nach dem Mauerfall stellte sich heraus, dass beide auch für die Stasi gearbeitet hatten.
Ansporn durch Demokratiebewegung in China
Die Potsdamer Proteste wurden Ende Juni mit einer Trommelaktion in der Erlöserkirche fortgeführt. Die Demokratiebewegung in China sei den DDR-Bürgerrechtlern damals Ansporn gewesen, sagt Frank Otto. Der 68-Jährige ist heute wieder besorgt: „Wir haben im Herbst 1989 die Demokratie gewonnen und müssen sie nun neu gegen rechte Parolen, Populismus und Nationalismus verteidigen.“
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