Bilderbuch der Weltgeschichte: Biografie des Potsdamer Juden John Gersman
Der Potsdamer Autor Wolfgang Weißleder hat die Lebensgeschichte des Potsdamer Juden John Gersman aufgeschrieben. Ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Potsdam - Die Pogromnacht am 9. November 1938 erlebte Joachim Gersmann nicht mehr. Der junge Mann jüdischen Glaubens hatte kurz zuvor am 20. August 1938 Bremerhaven mit einem Schiff verlassen. Der Stempel der Meldebehörde der USA datiert vom 15. September. Vier Tage später wird John Gersman, wie er sich ab dann nennt, 27 Jahre alt. Er hat es aus seiner Heimatstadt Potsdam, wo es für Juden immer gefährlicher wird, in die Emigration geschafft. Die meisten seiner in Potsdam verbliebenen Familienmitglieder, darunter Gemeindevorsteher Jacob Gersmann, sein Onkel, werden den Holocaust nicht überleben. Gersman selbst kommt nach dem Krieg zurück nach Deutschland, auch nach Potsdam, und engagiert sich mit seinem Vermögen für den Erhalt des jüdischen Friedhofs.
Diese besondere Biografie gibt es jetzt zum Nachlesen als Buch. „John Gersman. Flüchtling - Befreier - Besatzer- Wohltäter“ wurde vom Förderverein des Potsdam Museums herausgegeben und wird dort am Freitag vorgestellt. „Hier wird die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand eines Potsdamer Schicksals erzählt“, sagt Markus Wicke, Vorsitzender des Fördervereins. Da es in der ständigen Ausstellung des Museums bisher wenig Material zur Geschichte der Potsdamer Juden gebe, sei es eine wichtige Ergänzung.
Illustration eines besonderen Lebens
Autor des Buches ist der Potsdamer Wolfgang Weißleder, der als Jurist für die Jewish Claims Konferenz tätig ist und seit dem Ende der DDR zum Experten für jüdische Friedhöfe in Deutschland wurde. Darüber lernte er Gersman kennen. Beide Männer wurden Freunde und als Gersman 2003 starb, überließ er ihm ein Köfferchen mit seinem Nachlass, darunter viele originale Dokumente, die dieses besondere Leben illustrieren. Dazu kamen viele Erinnerungen, sodass Weißleder irgendwann dachte: Das muss für ein Buch aufgeschrieben werden.
Erst vor knapp einem halben Jahr gingen Autor und Förderverein damit an die Öffentlichkeit und sammelten Spenden. Tatsächlich waren die Herstellungskosten von etwa 11.000 Euro bald zusammen, Geldgeber waren Familienmitglieder von Gersmans Frau und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Aus Potsdam kamen zwar keine Spender, sagt Wicke, aber die große Hilfe der Druckerei Rüss. „Regine und Christian Rüss haben das Projekt mit viel Kompetenz, Herzblut und persönlichem Engagement begleitet.“ 750 Stück konnten gedruckt werden und sind jetzt im Buchhandel erhältlich. Der Förderverein will das Buch zudem kostenfrei Schulen anbieten. Das Interesse an jüdischer Geschichte sei an Potsdamer Schulen erfreulich groß, das Museum begleite gerne Projekte.
Die Buchvorstellung findet bewusst am Vorabend der Pogromnacht statt. Einen Tag später brannte auch die Potsdamer Synagoge am Wilhelmplatz. Neben vielen persönlichen Fotos, Briefen und Dokumenten zeigt das Buch auch eine seltene Aufnahme der Straßenfront in den 1950er Jahren, als die Ruinen noch stehen.
Erinnerung an eine gute, goldene Zeit
Ud Joffe, Vorsitzender der heutigen Synagogengemeinde, sagt: „Ich wünsche mir, dass wir uns anlässlich des 9. Novembers auch an die gute, goldene Zeit des Zusammenlebens mit Juden in Deutschland erinnern. Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1920er und 30er Jahre arbeitete man auf dem Gebiet der Kultur und Wissenschaften zusammen, da gab es Spitzenleistungen.“ Er wünsche sich, dass das eines Tages in Deutschland wieder so wird. Und dass man nicht mehr auf jüdische Friedhöfe, so schön sie auch seien, gehen muss, um sich diese Zeit eines normalen Umgangs miteinander vor Augen zu halten. „Wir brauchen ein neues lebendiges Judentum.“
Der Friedhof war in Potsdam immerhin ein Anfang zur Erinnerungskultur und Gersman trug als Stifter wesentlich dazu bei, dass Grabmale nach 1989 restauriert wurden und ein Gedenkstein für die Opfer des Holocaust angefertigt wurde. Seit 2003 liegt auch John Gersman auf dem Friedhof unterhalb des Pfingstbergs begraben. Das Buch passt allerdings auch gut zu Joffes Wunsch, Judentum dort, wo es geht, ohne den Kontext von Verfolgung und Holocaust zu erzählen. Denn Joachim Gersmann lebt ein ganz normales Leben in einer ganz normalen Kaufmannsfamilie, zunächst in Berlin, dann in Potsdam. In der Brandenburger Straße hatten seine Eltern ein Herrenartikelgeschäft. Im Kaufhaus, heute Karstadt, machte Joachim seine Lehre - bis ihm aufgrund seiner Religion gekündigt wurde.
Großzügiger Stifter
Geradezu spannend wird es im zweiten Teil der Biografie, wenn Gersman nach dem Krieg von Deutschland aus für den amerikanischen Geheimdienst arbeitet - bis zur Pensionierung 1986. Drei Jahre später kommt die Wende und Gersman kann nach Jahrzehnten seine Heimatstadt Potsdam besuchen, für die er, trotz des furchtbaren Schicksals, das seine Familie hier erlitt, zum großzügigen Stifter wird.
Weißleder denkt nun darüber nach, was aus dem Nachlass werden soll. „Er könnte in einer Vitrine in der neuen Synagoge ausgestellt werden“, so Weißleder. Damit würde sich der Kreis – vom letzten lebenden Mitglied der jüdischen Gemeinde vor dem Krieg bis zur Gegenwart – schließen.
John Gersman. Flüchtling - Befreier - Besatzer - Wohltäter, Wolfgang Weißleder, Förderverein des Potsdam-Museum e. V. Potsdam, 2019, Gebundene Ausgabe, 60 Seiten, 14,95 Euro
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