Bundestagswahl: Baerbock: „Das ist schon frustrierend“
Potsdams Grünen-Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock hat bei den Jamaika-Sondierungen mitverhandelt. Auf pnn.de zieht sie ein persönliches Fazit und blickt auf die kommenden Tage.
Frau Baerbock, wie ist das – auch für Sie ganz persönlich – bei den Sondierungsgesprächen für eine mögliche „Jamaika“-Koalition vier Wochen zu verhandeln und plötzlich mit nichts dazustehen?
Das ist schon frustrierend, wenn nach so viel investierter Arbeit eine Partei ohne inhaltliche Begründung plötzlich vom Tisch aufsteht und geht. Es ging dabei schließlich nicht um Jamaika, sondern es ging darum, verantwortlich zu sondieren, ob dieses Land eine neue Regierung bekommt und ob die eigenen politischen Inhalte, für die man gewählt wurde, umzusetzen sind. Für uns war das, für Klimaschutz und eine gerechtere und offene Gesellschaft zu streiten. Über diese doch auch sehr unterschiedlichen politischen Projekte haben wir vier Wochen heftigst diskutiert und gerungen. Kurz vor Schluss dann einfach so rauszurennen, weil man keinen Bock mehr hat, wird aus meiner Sicht den Herausforderungen in unserer Gesellschaft, aber auch in Europa nicht gerecht.
Sie meinen die FDP, die ihren Ausstieg aus der Sondierung erklärt hat. Muss denn eine Partei eine aus ihrer Sicht falsche Politik mittragen?
Nein, natürlich nicht. Es war von Anfang an klar, dass jede Partei am Ende sagen muss, ob das für sie inhaltlich reicht. Auch für uns Grüne wäre am Ende die Frage gewesen, ob genug drin ist, etwa beim schrittweisen Kohleausstieg, für ein friedliches Europa und explizit auch der Familiennachzug. Aber bei dieser finalen Bewertung waren wir ja noch gar nicht, weil letzte zentrale Punkte noch strittig waren. Entsprechend hat die FDP ihren Abgang auch gar nicht inhaltlich begründet, sondern der Abbruch mit zuvor vorbereiteter Presseerklärung war offenkundig inszeniert.
Wird das der FDP schaden?
Ehrlich gesagt zerbreche ich mir nicht den Kopf der FDP, für die das alles offensichtlich eher eine Show war. Sorgen mache ich mir allerdings um einen weiteren Rechtsruck in dieser Partei: In den Sondierungen versuchte Herr Lindner immer wieder, die CSU rechts zu überholen. Nicht nur bei der Frage Humanität, sondern auch bei Europapolitik.
Jenseits des Ausgangs dieser Verhandlungen haben Sie nun über vier Wochen sondiert. Haben Sie in Ihrer politischen Karriere schon vergleichbar intensive Erfahrungen gemacht?
Das war eine absolute Ausnahmesituation, auch physisch, mit zum Teil nur drei bis vier Stunden Schlaf pro Tag, wochenlang. Aber es war ja auf ein Ziel ausgerichtet. Und man macht Politik, um etwas zu verändern. Und daher empfand ich es als große Ehre, auf dieser Ebene für unsere grünen Themen Klimaschutz und Europapolitik als Berichterstatterin kämpfen zu dürfen. Umso ernüchternder ist es, wenn plötzlich einer aus scheinbar taktischen Gründen aussteigt. Und auch als Brandenburgerin muss ich sagen, dass es fatal ist, dass die FDP mit der Zukunft des Landes so zockt. Denn auch, wenn noch manches ungeeint war, so waren wir bei vielen Punkten vorangekommen, die auch für Brandenburg wichtig sind: Dazu gehören das Bekenntnis zur Stärkung der ländlichen Regionen, die Unterstützung des Strukturwandels in der Lausitz, ein Sofortprogramm Pflege, mehr Geld für Kitas, Schulen und vor allem für Kinder, die in Armut leben, und die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft.
Wie haben Sie die Treffen mit Angela Merkel erlebt – als junge Politikerin, für die dies noch nicht zur Routine gehört?
Natürlich ist das etwas Besonderes, denn es fragt einen ja nicht täglich die Bundeskanzlerin, ob man das noch mal etwas genauer erklären könne. Angela Merkel habe ich in den Verhandlungen als eine Person empfunden, der es um die Sache geht und mit der man verhandeln kann. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch mit ihr heftig getstritten hätte, etwa in Europa-Fragen oder bei der Energiewende. Enttäuscht hat mich schon, dass sie beim Klimaschutz, wo Deutschland lange Vorreiter war, nicht von Beginn an deutlich machte, dass deutschen Klimaziele natürlich gelten. Das hat auch Deutschlands internationaler Glaubwürdigkeit geschadet, denn zeitgleich zu den Sondierungen in Berlin hat ja in Bonn die UN-Klimakonferenz stattgefunden. Da hat es sehr viele irritiert, dass 21 Staaten sich zum Kohleausstieg bekennen und Deutschland als ehemaliger Klimavorreiter drei Wochen diskutiert, ob man darüber überhaupt sondieren will.
Waren die Sondierungen für Sie selbst auch eine politische Feuertaufe?
Sowas macht man natürlich nicht jeden Tag. Das war politisches Verhandeln unter dem Brennglas. Aber auch wenn trotz hitzigster Debatten politisch das Ganze nichts geworden ist, sind wir glaube ich gerade beim Kohleausstieg ein gutes Stück voran gekommen. Inzwischen weiß jeder, dass die Unterstellung, hier würden die Lichter ausgehen, ein hohler Mythos ist und der schrittweise Kohleausstieg weder ein Problem für Industrie noch Verbraucher ist. Deutschland produziert so viel Strom, dass es ihn sogar exportieren muss. An diesen Fakten wird man auch bei künftigen Gesprächen nicht vorbeikommen.
In der „tageszeitung“ hieß es gerade, viele Grünen-Parteifreunde trauen Ihnen eine Menge zu. Hätten Sie in einer „Jamaika“- Koalition gern ein Amt bekleiden wollen?
(lacht) Das war in den vergangenen Wochen wirklich das letzte, woran ich gedacht habe. Mein Kopf war voll von eckigen Klammern, roten Linien, neuen Kompromissen und tiefen Überzeugungen.
Gibt es für Sie persönlich eine Schlüsselszene der vergangenen Wochen, der Gespräche und Beratungsrunden?
Eine Szene ist mir immer noch vor Augen, das war der Sonntag vor einer Woche. Ich kam gerade zurück von einer Nachbereitungssitzung und wollte meine sechs Jahre alte Tochter vom Kindergeburtstag abholen. Doch dann kam ein Anruf, ich musste auf dem Absatz kehrt machen und meiner Tochter sagen: „Du, die Bundeskanzlerin will mit mir reden. Da muss ich jetzt hin.“ Und sie nur: „Wann hört das denn endlich auf, Mama?“
Kann man überhaupt derartige politische Arbeit mit einem Privatleben, zumal mit kleinen Kindern, vereinbaren?
Noch weitere vier Wochen dieses Ausnahmezustandes wären schwer geworden, das haben auch andere Verhandlungsteilnehmer gesagt. Aber wenn es um viel geht, mobilisiert man eben noch die letzten Kräfte. Und auch in anderen Berufen gibt es Ausnahmesituationen.
Ärgert Sie eigentlich eine solche Frage, wie man als junge Mutter solche Verhandlungen durchstehen kann?
Ich selbst finde es wichtig, nicht so zu tun als klappe der Spagat zwischen Familie und Beruf ganz einfach nebenbei. Das wäre nicht nur unehrlich, sondern das Thema „Mehr Zeit für Familie“ gehört ganz oben auf die Tagesordnung, denn das kennen ja fast alle Familien im Land. Interessant finde ich eher Sätze aus den Verhandlungen wie „Mensch, die junge Frau kennt sich ja richtig gut aus“. Das ist nett gemeint, aber komischerweise hört man nicht: „Ach, der junge Herr Spahn ist wirklich tief im Thema drin.“
Welche politische Lehre ziehen Sie aus diesen Sondierungen für sich selbst?
Was mir vorher nicht so klar war, dass wir mit der CSU zum Beispiel bei manchen Themen nicht nur inhaltlich und kulturell extrem weit auseinander sind, sondern auch Diskurse ganz anders geführt werden. Manche Wörter, die wir Grünen selbstverständlich benutzen, nicht nur Gender, sondern eben auch Massentierhaltung, da gehen bei denen sofort die Schotten zu. Oder wir Grünen streiten über jeden Halbsatz, um sicher zu gehen, dass alle das gleiche meinen, das wird auf der anderen Seite aber als Misstrauen empfunden. Aber der Versuch, der von etlichen Verhandlern unternommen wurde, sich öfter ganz bewusst mal in die andere Sichtweise reinzudenken, der könnte auch eine Bereicherung für die politische Kultur insgesamt sein.
Wie soll, wie kann es nun weitergehen?
Zum Glück haben wir ein starkes Grundgesetz, das verhindert, dass nun eine politische Unklarheit entsteht. Die geschäftsführende Bundesregierung bleibt zunächst im Amt. Und die nächsten Tage beraten wir ganz regulär Anträge und Gesetzesinitiativen im Parlament. Es wird spannend, wer da mit wem stimmt. Und auch die weiteren Schritte mit Blick auf die Wahl oder auch Nichtwahl einer neuen Kanzlerin inklusive möglicher Neuwahlen sind klar geregelt.
Die Potsdamerin Annalena Baerbock (36) ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete der Grünen und war als Sprecherin für Klimapolitik Teil des 14-
köpfigen Sondierungsteams der Grünen.
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