Nikolaikirche Potsdam: Auferstehung am Alten Markt
Mehr als 70 Jahre nach der Zerstörung erhält die Nikolaikirche das 20 Meter breite Tympanonrelief mit einer überlebensgroßen Christusfigur zurück. Künstler Rudolf Böhm hat fast drei Jahre daran gearbeitet.
Potsdam - In der Mitte steht Jesus. Drei Meter hoch ist die Figur mit den ausgebreiteten Armen, die Handflächen nach außen gewandt, hoch über dem Alten Markt am Portal der Nikolaikirche. Um ihn herum gruppieren sich 18 weitere überlebensgroße Figuren: Schäfer, Schriftgelehrte, Krieger, eine Frau mit Kind. Es handelt sich um eine Darstellung entweder der berühmten Bergpredigt Jesu, die im Matthäus-Evangelium der Bibel überliefert ist, oder um die inhaltlich vergleichbare Feldrede aus dem Lukas-Evangelium. Mehr als 70 Jahre nach der Zerstörung soll die Nikolaikirche nun das Relief im Tympanon - so lautet der Fachausdruck für das Giebeldreieck über dem Portal - wiedererhalten. Für die Vorbereitungen wird das gewaltige Säulenportal derzeit eingerüstet.
Zerstört wurde das Relief in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs durch Artilleriebeschuss. Weder während des Wiederaufbaus der Kirche zu DDR-Zeiten noch bei der Außenhüllensanierung vor wenigen Jahren sei das Geld für die Erneuerung des Reliefs da gewesen, sagte Nikolai-Pfarrer Matthias Mieke den PNN. Die Erneuerung jetzt wird möglich durch eine Spende der mittlerweile aufgelösten Stiftung Preußisches Kulturerbe. Die rund 500 000 Euro Kosten können weitestgehend aus dieser Spende bestritten werden, sagt Mieke. Läuft alles nach Plan, will die Gemeinde die Einweihung zu Erntedank am 7. Oktober feiern.
Rudolf Böhm leitete fast 40 Jahre lang die Skulpturenwerkstatt der Schlösserstiftung
Die Erneuerung des Reliefs sei ein weiterer Schritt, schwere Kriegsschäden an der Nikolaikirche zu beseitigen, sagt Nikolaikirchen-Pfarrerin Susanne Weichenhan. „Die Gemeinde ist sehr dankbar.“ Die Figuren des Reliefs seien in verschiedenen Haltungen angeordnet - sie alle empfangen die Botschaft der Bergpredigt. „Sie zeigen, auf welche Weisen man die Botschaft wahrnehmen kann, so kann sich jeder dazu ins Verhältnis setzen.“ Das Relief sei eine Einladung an alle, die vom Alten Markt aus auf die Kirche blickten.
Für die Realisierung des Großprojekts hat die Kirchengemeinde einen Experten gefunden: Den Potsdamer Künstler Rudolf Böhm, der als Restaurator fast 40 Jahre lang die Skulpturenwerkstatt der Schlösserstiftung leitete, aber auch mit etlichen eigenen Bildwerken in der Stadt präsent ist. Fast drei Jahre haben die Arbeiten für das Relief gedauert. „Eine aufregende, anspruchsvolle und schöne Aufgabe, die mir sehr viel Spaß gemacht hat“, fasst es der Künstler zusammen. „Das ist für mich nochmal ein Höhepunkt“, sagt der 76-Jährige den PNN.
Ein 19 Figuren umfassenden Werk
Grundlage für die Neuerschaffung der Skulpturen waren unter anderem Messbildaufnahmen aus den Jahren 1905 bis 1910, erklärt er. Auf den Fotos ist die Nikolaikirche samt Relief messerscharf zu sehen. Böhm ließ sich den Ausschnitt auf Originalgröße vergrößern: Die auf solche großformatigen Arbeiten spezialisierte Babelsberger Firma Big Images druckte das Ganze auf Vinyl - 20 Meter lang und drei Meter hoch. In der Friedrichwerderschen Kirche in Berlin, die bis zur Schließung 2012 als Skulpturenmuseum diente, fand Böhm zudem ein maßstabsgerechtes Modell des Potsdamer Reliefs vom Künstler August Riss selbst.
Bei der Neuerschaffung des insgesamt 19 Figuren umfassenden Werks konnte Böhm gemeinsam mit seinen Kollegen Daniel Peter, seinem Junior Eckhart Böhm und dem Dresdener Kunstformmeister André Zehrfeld auf eine in den Jahrzehnten bei der Schlösserstiftung entwickelte und bewährte Technik zurückgreifen. Zunächst wurden die Figuren in der Werkstatt im Schlaatzweg in Ton modelliert. Dafür seien wegen der Größe extra spezielle Staffeleien gebaut worden, die das Gewicht halten konnten. Von den Tonmodellen wurden dann Silikonformen abgeformt, mit denen wiederum die Skulpturen aus Stuck gegossen werden konnten.
Versetzung der Figuren im Mai
Die Figuren sind innen sozusagen hohl, vier bis fünf Zentimeter dick ist der Stuck. Das Ganze wird mit Jutegewebe und Querverstrebungen aus Edelmetall stabilisiert, erklärt Böhm. Das Rezept für den Stuck sei original noch wie aus Schinkels Zeiten, sagt er: Für das Material werden Gips, Weißkalk und ortsüblicher Kies mit Wasser gemischt. Die Figuren hat Böhm mit seinen Kollegen dabei in kleinere Teile geteilt: „So, dass man sie zu zweit oder zu dritt noch bewegen kann“, erklärt er. Allein der Jesus wurde in fünf Stücken gegossen - jedes wiege zwischen 100 und 150 Kilogramm. Erst an der Kirche selbst werden die Teile dann verbunden verankert.
Bis es soweit ist, sind allerdings noch komplizierte Vorarbeiten nötig. Daher steht das Gerüst auch schon jetzt. Das wiedererrichtete schmucklose Giebeldreieck ist für die Anbringung der Figuren nicht tief genug, erklärt Böhm. Daher müssten in einem komplizierten Verfahren die Rückwand des Tympanons zurückgesetzt werden. Dafür sollen unter anderem Sandsteinplatten entfernt und auch die Decksteine entsprechend angepasst werden. Wenn alles gut geht, könnte im Mai mit der Versetzung der Figuren begonnen werden.
Ein Kran wird dabei nicht zum Einsatz kommen, sagt Böhm. Stattdessen sollen die Figurteile mit einem Bauaufzug in die Höhe gebracht werden. Sobald sie dort verankert sind, müssen sie zunächst mit einem heißen Leinölfirnis getränkt werden und dann, nach einer Trockenphase, in Ölfarbe - auch das eine Spezialanfertigung - gefasst. Der Farbton soll dem der Fassade der Kirche gleichen, aber etwas heller werden, erklärt Böhm. Die nach dieser traditionellen Technik behandelten Figuren „halten 200 Jahre und länger“, sagte der Künstler. Alle 20 bis 30 Jahre müsste lediglich die Farbe aufgefrischt werden.
Die größte Herausforderung bei der Arbeit an dem Kirchenrelief sei es gewesen, den Stil des Meisters August Kiss zu treffen, erzählt Böhm: „Der eigene künstlerische Wille muss dabei in den Hintergrund treten“, erklärt er. Eine tote Kopie dürfe es aber auch nicht werden: „Trotz aller Annäherung muss das Werk eine neue Beseeltheit haben“, beschreibt Böhm die Aufgabe. „Ich hoffe, dass das gelungen ist.“ (mit Valerie Barsig)
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