zum Hauptinhalt

Das braune Kapitel der Stadt: Auf der Spur der NS-Täter in Potsdam

Das NS-System wurde auch in Potsdam von der Bevölkerung getragen, der Holocaust von ihr ermöglicht. Erforscht ist das bislang wenig. Wie sich Potsdamer schuldig machten – und wo Orte der Täter sind.

Potsdam - Aus Potsdam betrachtet erscheint der Holocaust auf den ersten Blick oftmals weit weg. Auschwitz, Treblinka und Bergen-Belsen. In weniger als drei Stunden gelangt man zu keinem der Orte, die symbolisch für die Hölle auf Erden stehen. Aber war auch Potsdam ein Hort des Bösen? Gedacht wird – auch am Holocaust-Gedenktag am Sonntag – zu Recht vor allem der Opfer. Doch weder der Nationalsozialismus noch der Holocaust geschahen im luftleeren Raum. Es waren damals Nachbarn, Freunde, Angestellte, die den industrialisierten Massenmord ermöglichten – und dies auch vor der eigenen Haustür.

Aber genau für diese Aufarbeitung fehlt speziell für Potsdam bislang ein Überblick, ein aktives Erinnern. Der Historiker Peter Ulrich Weiß vom Zentrum für zeithistorische Forschung (ZZF) sagt: „Die Zeit 1933 bis 1945 stellt in Potsdam noch ein absolutes Forschungsdefizit dar.“ Hört man sich unter den Wissenschaftlern um, ist das die einhellige Auffassung. Auch der Beauftragte der Stadt für Erinnerungskultur, Tobias Büloff, gibt zu: „Mein Eindruck ist, dass das System von vielen in Potsdam mitgetragen wurde, aber die historischen Quellen sind unzureichend erforscht.“ Im Mittelpunkt seiner Arbeit stünden zumeist die Opfer.

Reichsarzt entschied über Leben und Tod

Dabei gibt es über die Stadt verteilt schon jetzt Wissen über die NS-Täter von Potsdam. Da war etwa Ernst-Robert Grawitz. Er war einer der bekanntesten NS-Verbrecher der Stadt, sein prominenter Posten: „Reichsarzt der SS“. Markus Wicke vom Förderverein des Potsdam Museums erklärt: „Das ist etwa vergleichbar mit einem heutigen Minister.“ Er hatte die Personalhoheit über die Todeslager, entschied, welcher Arzt an der Rampe steht. „Außerdem ist er hauptverantwortlich für die Menschenversuche in den Konzentrationslagern“, sagt Wicke, der zu Grawitz’ Biografie geforscht hat.

Der Mediziner hatte in seiner Funktion etwa auch über neue Anträge für Menschenversuche zu entscheiden. „Heinrich Himmler hat die Anträge direkt an Grawitz weitergegeben“, erklärt Wicke. „Und wir wissen, dass bei diesen Versuchen Menschen umgekommen sind oder lebenslange Verletzungen davongetragen haben.“ Im Klartext: Grawitz hat Entscheidungen über Leben und Tod gefällt.

Schon früh ein Hitler-Anhänger

Grawitz sagte über sich selbst, schon 1920 Hitler-Anhänger gewesen zu sein. Er kam 1937 nach Potsdam, weil er an die Spitze des Deutschen Roten Kreuzes berufen worden war. Für die DRK-Zentrale wurde während des Zweiten Weltkrieges dann ein Neubau am Bahnhof Griebnitzsee errichtet, das heutige Unigebäude. Als das Euthanasie-Programm – die grauenvolle Tötung behinderter Menschen – beschlossen wurde, sagte Grawitz: „Es ist keine angenehme Aufgabe, aber man muss auch bereit sein, unangenehme Arbeiten zu übernehmen.“ Er sei gewillt, „nach Errichtung der ersten Tötungsanstalt die Tötung des ersten Geisteskranken selbst durchzuführen“. So ist es überliefert.

Nationalsozialisten in Potsdam: Ernst-Robert Grawitz, Reichsarzt der SS, und August Hoppe, Potsdamer Polizist und NS-Verbrecher.
Nationalsozialisten in Potsdam: Ernst-Robert Grawitz, Reichsarzt der SS, und August Hoppe, Potsdamer Polizist und NS-Verbrecher.
© DRK Generalsekretariat Archiv/ Potsdam Museum

Gewohnt hat Grawitz in Babelsberg, in einem Haus in der heutigen Karl-Marx-Straße 59 (damals Kaiserstraße). Und genau dort erlebte er auch seinen letzten Augenblick. In der Nacht zum 23. April 1945 beging er Suizid. Er hat sich in die Luft gesprengt. „Als er mit seinen Kindern und seiner Familie am Küchentisch sitzt, zündet er unter der Tischplatte zwei Handgranaten“, erzählt Wicke. Keiner am Tisch überlebte.

Nur eine Führerurkunde blieb übrig

Grawitz war einer von vielen. Ein weiterer NS-Verbrecher aus Potsdam: August Hoppe. Er war hier zuständig für die berittene Polizei, wohnte am Luisenplatz 9. Im November 1941 wurde der Polizist ins damalige Litzmannstadt (Lódz) versetzt. Dort existierte zum damaligen Zeitpunkt das zweitgrößte Judenghetto. In dem Buch „Das Kriegshandwerk der Deutschen“ heißt es darüber: „Die militärisch strukturierten Polizei-Verbände waren mit der Überstellung und Bewachung beauftragt und letztlich auch an Erschießungsaktionen beteiligt.“ Alles belastende Material habe Hoppe vermutlich beseitigt, heißt es in dem Buch. Es habe einzig eine „Führerurkunde“ mit dem Vermerk „Litzmannstadt“ überlebt.

Das Foto zeigt Ernst-Robert Grawitz, Reichsarzt der SS. er wohnte in Babelsberg.
Das Foto zeigt Ernst-Robert Grawitz, Reichsarzt der SS. er wohnte in Babelsberg.
© DRK Generalsekretariat Archiv

Es gibt in Potsdam zudem zahlreiche Orte, die eine dunkle Geschichte haben. Das Potsdam Museum hat kürzlich mehr als 60 von ihnen zusammengetragen und will sie ab dem 22. Februar in einer neuen Ausstellung zeigen. Darunter: Informationen zu zehn Ortsgruppen der NSDAP, die „Reichsschule des Rassenpolitischen Amtes“ im heutigen Klein Glienicke und die NSDAP-Kreisgeschäftsstelle im Stadtschloss.

Vielfach genutzt war auch die heutige Gedenkstätte in der Lindenstraße 54. Ab 1934 hatte dort eines der sogenannten Erbgesundheitsgerichte seinen Sitz. Sie sollten verhindern, dass sich als „erbkrank“ diffamierte Menschen fortpflanzen. Bis 1944 ordneten die Richter dort mindestens 3300 Zwangssterilisationen an. Wegen der Bombardierung Berlins tagte zudem der Volksgerichtshof ab 1943 teilweise in Potsdam verlagert – in der heutigen Hegelallee – und nutzte die Lindenstraße als Untersuchungsgefängnis. In dieser Zeit endete jedes zweite Verfahren vor dem Volksgerichtshof mit der Todesstrafe, heißt es von der Gedenkstätte.

Eine Broschüre der Gedenkstätte widmet sich einem weiteren Ort der Täter: dem Potsdamer Polizeigefängnis in der heutigen Henning-von-Tresckow-Straße. Gefangene wurden von hier in Konzentrationslager deportiert oder an dafür vorgesehene Sammelstellen übergeben.

Und dies alles ist nur ein Bruchteil der dunklen Geschichte Potsdams.

Zur Startseite