Stimmungsbarometer für Landtagswahl: AfD gewinnt Europawahl in Brandenburg
Die SPD rutscht bei der Europawahl in Brandenburg auf Rang drei ab. Stärkste Kraft wird drei Monate vor der Landtagswahl die AfD.
Potsdam / Berlin - Die AfD geht in Brandenburg als Sieger der Europawahlen hervor – und schockt drei Monate vor der Landtagswahl die etablierten Parteien. Die 2013 gegründete Partei holte nach Stand der Auszählung um 21 Uhr gut 20 Prozent der Stimmen und steigerte ihr Ergebnis von 2014 damit deutlich. Dahinter lagen CDU, SPD, Grüne und Linke.
„Die Brandenburger haben verstanden: Bei den Wahlen in diesem Jahr geht es um alles. Wer unsere Heimat erhalten will, wählt die AfD“, erklärte Brandenburgs AfD-Partei- und Fraktionschef Andreas Kalbitz am Wahlabend. Es gebe keinen Zweifel: Die AfD sei gekommen, um zu bleiben. Vor allem die SPD bekomme nun die Quittung „für jahrzehntelanges Unvermögen und Unfähigkeit“. Und auch in den Kommunen erwarte die AfD ein sehr gutes Ergebnis.
AfD vor allem im Osten des Landes stark
Stark war die AfD vor allem im Osten des Landes. In Oberspreewald-Lausitz holte sie Stand 21 Uhr rund 27 Prozent, in der kreisfreien Stadt Cottbus 25 Prozent. Das starke, für die anderen Parteien schockierende Abschneiden der AfD sei auch damit zu erklären, dass zahlreiche Wähler die Europawahl zu einer Protestwahl gemacht hätten.
Große Enttäuschung bei der SPD
Besonders groß war die Enttäuschung bei der Brandenburger SPD, die bei den Europawahlen vor fünf Jahren noch vorne lag . Damals holten die Sozialdemokraten 26,9 Prozent. Die CDU auf Rang zwei kam auf 25 Prozent. Danach folgten Linke (19,7), AfD (8,5) und Grüne (6,1). „Das Ergebnis heute ist ein schlechtes Ergebnis für die SPD. Das ist das schlechteste Ergebnis soweit ich mich erinnern kann, auf der Bundesebene überhaupt“, sagte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke am Sonntag in Potsdam.
Linke nur mäßig zufrieden
Die Linke, in Brandenburg in einer Koalition mit der SPD, war mit ihrem Abschneiden nicht übermäßig zufrieden. Es sei nicht gelungen den Menschen zu vermitteln, dass das Klimathema auch eine soziale Frage sei, erklärte Linken-Landeschefin Anja Mayer. Das Thema Klimaschutz wurde vielmehr traditionell bei den Grünen verortet: Das Engagement für Umweltschutz hat nach Ansicht von Brandenburgs Grünen-Chef Clemens Rostock für das starke Abschneiden der Partei bei der Europawahl gesorgt. „Das hat offensichtlich die Menschen überzeugt“, betonte er. „Wir freuen uns riesig über dieses historisch starke Ergebnis, und das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit“, betonte er.
In Potsdam triumphieren die Grünen
Auch in der Landeshauptstadt Potsdam triumphieren die Grünen. Entgegen dem Landestrend geht in Potsdam nicht die AfD als Sieger aus der Europawahl hervor, sondern Bündnis 90/Die Grünen. Die SPD, der Sieger der letzten Wahl, landete diesmal in Potsdam auf Platz zwei und musste herbe Verluste einstecken. Im Vergleich zu 2014 büßten die Sozialdemokraten fast ebenso viele Prozentpunkte ein, wie die Grünen hinzugewannen. Auch für die Linken ging es weiter bergab. Vor zehn Jahren hatte die Partei die Europawahl in Potsdam noch gewonnen. „Das ist traumhaft. Dass die Grünen in Potsdam stärkste Kraft für Europa sind, ist ein unglaubliches Ergebnis“, sagte Grünen-Kreischef Lars Gindele den PNN.
Bundesweit herbe Verluste für die GroKo-Parteien
Bundesweit mussten CDU/CSU bei der Europawahl herbe Verluste hinnehmen, für die SPD wurde die Wahl zum Debakel. Die Parteien der Großen Koalition haben am Sonntag ihre bisher schlechtesten Ergebnisse kassiert. Das könnte die Spannungen im Regierungsbündnis verstärken. Nach ersten Hochrechungen des ZDF landeten die Unionsparteien bei der Europawahl bei 28,2 Prozent, die SPD stürzte um zwölf Punkte auf 15,5 Prozent ab. Da die Sozialdemokraten bei der parallel stattfindenden Bremen-Wahl erstmals seit 73 Jahren den Spitzenplatz an die CDU verlieren, wächst der Druck auf die Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles massiv. Rot-Grün ist damit abgewählt.
Grüne verdoppeln ihr Ergebnis fast
Großer Gewinner sind die Grünen, die ihr Ergebnis bei der Europawahl auf rund 20,8 Prozent fast verdoppelten und die SPD überholten. 2014 hatten sie 10,7 Prozent erreicht; CDU/CSU hatten bei der damaligen Europawahl 35,3 Prozent errungen, die SPD 27,3 Prozent. Die Klimapolitik war für viele Bürger das wichtigste Thema. Die AfD kommt den Prognosen zufolge auf 10,9 Prozent (2014: 7,1 Prozent), die FDP erreicht 5,5 Prozent (2014: 3,4 Prozent) und die Linke auch 5,5 Prozent (2014: 7,4 Prozent).
Rechtspopulisten in Europa stark
Die Rechtspopulisten konnten in mehreren Ländern Europas Gewinne verbuchen, ein flächendeckender Rechtsruck zeichnete sich zunächst nicht ab. Von vielen Politikern war die Wahl mit Blick auf das Erstarken nationalistischer Tendenzen als „Schicksalswahl“ für das Einigungs- und Integrationsprojekt Europa bezeichnet worden. Die Wahlbeteiligung in Deutschland stieg nach ersten Prognosen, 2014 lag sie bei 48,1 Prozent.
Im Laufe des Montags wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt das Wahlergebnis und die deutsche Position für den EU-Sondergipfel am Dienstag beraten. Im Bundeskabinett muss mindestens ein Posten neu besetzt werden, da die nationale Spitzenkandidatin der SPD, Justizministerin Katarina Barley, ihr Amt aufgibt und nach Brüssel wechseln wird.
Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war noch unklar, wie sich die Ergebnisse in ganz Europa auf das künftige Parlament auswirken und welche Koalitionen sich bilden könnten. Der CSU-Politiker Manfred Weber als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen (EVP) und der Vize-Chef der EU-Kommission, der Niederländer Frans Timmermans als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten (SPE), haben sich um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Chef der EU-Kommission beworben. Insgesamt sind 28 Führungsposten in der Komission, der EU-Regierung, zu besetzen, der deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) scheidet aus.
Bundesbankpräsident im Gespräch
EVP und SPE bilden bisher die größten Fraktionen im Europäischen Parlament. Kommt Weber nicht zum Zuge, könnte sich ein anderer deutscher Politiker im Postenpoker gute Chancen ausrechnen: Bundesbankpräsident Jens Weidmann gilt als Kandidat für die Nachfolge des Italieners Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank, die über die Stabilität der Gemeinschaftswährung Euro wacht.