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Dem Ziel entgegen. Der Potsdamer Christian Diener wurde bei der Europameisterschaft 2014 Zweiter über 200 Meter Rücken. Er will bei Olympia in Rio erneut antreten
© dpa

Schwimmen in Potsdam: Abends ab zehn in Rio

Die Schwimmwettkämpfe bei den Olympischen Spielen 2016 finden zu ungewohnten Zeiten statt. Darauf stellen sich auch Potsdams Top-Athleten ein, die sich den Schliff für die erste Qualifikationsrunde in Singapur holen.

Einschwimmen am Morgen, vormittags die Vorläufe, Pause, wieder Einschwimmen, Halbfinal- beziehungsweise Finalrennen am späten Nachmittag: So sieht die klassische Zeitstruktur von großen Schwimmwettkämpfen aus. Meetings, Welt- und Kontinentalmeisterschaften sowie nationale Titelkämpfe laufen nach diesem Schema ab.

Olympia 2016 hingegen nicht. Weil die USA als Sportgroßmacht und wichtigster Abnehmer von olympischen Fernsehlizenzen die Medaillenentscheidungen im Rio-Pool gerne zur Primetime zeigen möchte, wurde der bewährte Zeitplan für die im August anstehenden Sommerspiele verändert. Radikal verändert. Etwa zwischen 12 und 14 Uhr Ortszeit werden dann die Vorläufe absolviert, der Startschuss für die Abschnitte mit den Semifinals und Endläufen fällt erst um 22 Uhr. Für gewöhnlich liegen Schwimmer zu solch nächtlicher Stunde bereits im Bett.

Testwoche im Rio-Rhythmus

Die Begeisterung für dieses Modell hält sich entsprechend in Grenzen. „Wir sind alle nicht glücklich. Aber, Geld regiert die Welt. So ist es eben“, sagt der deutsche Bundestrainer Henning Lambertz im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Anpassungsfähigkeit wird nun gefragt sein. „Wir müssen versuchen“, erklärt Lambertz, „einen komplett neuen Wettkampfrhythmus aufzunehmen, um auch um Mitternacht noch die beste Leistung abrufen zu können.“

Und das schafft man nur dann, wenn man es vorab trainiert. Mitte Februar haben deshalb Deutschlands Top-Athleten eine Testwoche eingelegt. Auch diejenigen vom Luftschiffhafen. „Wir haben unsere Einheiten nicht wie sonst um 7.30 und 16 Uhr begonnen, sondern um 12 und 21 Uhr“, berichtet Yannick Lebherz, Vorzeigesportler des Potsdamer SV. Die Umstellung habe erfreulicherweise sehr gut und ohne Probleme geklappt. „Das Trainingsniveau war unverändert hoch.“

Potsdamer Schwimmsport mit positiver Entwicklung

Nach der ersten Olympia-Qualifikationsrunde – der deutschen Meisterschaft Anfang Mai – sowie in den zwei Wochen vor den Spielen soll wieder in diesem Takt trainiert werden. „Ich denke, dass wir das dann für die Wettkämpfe in Rio gut verinnerlicht haben sollten“, erzählt Lebherz im Rahmen der Vorstellung eines neuen Sponsors: Rausch Herbal Cosmetics. Der Kontakt zu dem Schweizer Unternehmen mit deutscher Vertriebsniederlassung kam über den früheren Potsdamer Weltklasse-Schwimmer Uwe Daßler zustande.

Auch ein paar weitere neue Unterstützer konnten in der jüngeren Vergangenheit für den Schwimmsport am Luftschiffhafen gewonnen werden, der sich nach etlichen Jahren mit mageren Erfolgsbilanzen zuletzt wieder positiv entwickelte. Bei der Europameisterschaft 2014 hatte beispielsweise Yannick Lebherz Gold mit der 4x200-Meter-Freistilstaffel geholt, sein Vereinskollege Christian Diener – die zweite große Olympia-Hoffnung des PSV – wurde EM-Zweiter über 200 Meter Rücken. Dies waren die ersten Podestplätze von Potsdamer Schwimmern bei internationalen Langbahn-Meisterschaften seit elf Jahren. 2015 gewannen die PSV-Männer zudem erstmalig die deutsche Mannschaftsmeisterschaft und wurden für diesen Triumph als Brandenburger Team des Jahres ausgezeichnet.

Alternatives Höhentraining in Singapur

„Erfolge sind immer die besten Argumente, wenn es darum geht, neue Sponsoren an Land zu ziehen. Es ist in den vergangenen Jahren Fortschritt bei uns zu erkennen – und Fortschritt ist interessant“, begründet Lebherz den zwar nicht riesigen, aber immerhin vorhandenen Förderungszuwachs für den hiesigen Schwimmstützpunkt. „Dadurch haben wir inzwischen mehr finanziellen Spielraum für die Trainingslagerreisen und können diese entsprechend etwas freier gestalten. Also das machen, was wir gerne machen wollen und auch brauchen.“

Wie zum Beispiel ein dreiwöchiges Camp in Singapur, zu dem die Trainingsgruppe von Jörg Hoffmann am kommenden Mittwoch aufbrechen wird. In einem neuen Sportzentrum werden die Potsdamer dann ihre Kilometer zurücklegen und dort auch ein besonderes Apartment beziehen. „Darin werden auf künstliche Art Höhenverhältnisse simuliert“, erzählt Coach Hoffmann. „Live high, train low“ – so heißt diese Methode, bei der die Einheiten in normalen äußeren Bedingungen durchgeführt werden und die Ruhephasen wiederum in Höhenluft erfolgen. Es ist eine Alternative zum klassischen Prinzip des Höhentrainings, wo 24 Stunden am Tag eine Sauerstoff-Unterversorgung des Körpers vorliegt, an die sich der Organismus adaptiert und so die Ausdauerleistung gesteigert wird. Sportwissenschaftler haben herausgefunden, dass ähnliche Positiveffekte auch bei „Live high, train low“ entstehen und es dabei zugleich den Vorteil gibt, dass die Trainingsintensität nicht so stark eingeschränkt ist wie beim sportlichen Bewegen in dünner Luft.

Freundschaftliche Trainer-Verbindung zwischen Potsdam und Singapur

In ihren heimischen Gefilden praktizieren die Potsdamer Schwimmer das Prinzip auch regelmäßig andersherum. Da leben sie in normaler Umgebung und trainieren im Strömungskanal, der unter Höhenbedingungen gesetzt wird. Auch dieses „Train high, live low“ wirkt sich laut Studien förderlich auf den Sportlerkörper aus. „Mit dem Trainingslager in Singapur können wir die beiden Methoden gut miteinander verbinden“, meint Hoffmann, der mit seinen Spitzenathleten zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Südostasien reist. Im Januar stand bereits ein Lehrgang des Deutschen Schwimm-Verbandes in Thailand auf dem Programm.

Der jetzige Trip ist hingegen eine reine Potsdamer Angelegenheit und wurde durch Hoffmanns Beziehungen möglich. Er ist mit Sergio Lopez, dem Chefcoach des Schwimm-Nationalteams von Singapur, befreundet, der das Angebot gemacht hatte, mal eine gemeinsame Trainingsmaßnahme zu bestreiten. „Die Gegebenheiten vor Ort scheinen optimal und in der Truppe von Lopez schwimmen einige starke Leute, mit denen sich meine Sportler gegenseitig pushen können“, sieht Hoffmann vielversprechendes Potenzial. Das Band zwischen ihm und dem spanischen Trainer besteht übrigens bereits seit deren Zeit als Aktive. Beide gewannen einst Olympia-Bronze. Jörg Hoffmann 1992 in Barcelona über 1500 Meter Freistil, Sergio Lopez 1988 in Seoul über 200 Meter Brust. Geschwommen wurden die olympischen Finals damals ganz normal am späten Nachmittag – und nicht wie in Rio abends ab zehn.

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