zum Hauptinhalt
Klare Ansage an Martin Schulz: SPD-Parteichefin Andrea Nahles soll mit ihrem Vorgänger eine Aussprache gehabt haben - und nicht unglücklich darüber sein, dass die bekannt wurde.
© imago/photothek

Die SPD und der Wahlsonntag: Zwischen Panik und Putschgerüchten

Mit Bangen schauen die Sozialdemokraten auf die Wahl zum Europaparlament und in Bremen. In einer Machtdemonstration knöpft sich Andrea Nahles Martin Schulz vor.

Andrea Nahles erwartet am Sonntag voraussichtlich kein schöner Abend. Bei der Europawahl droht ein Verlust von über zehn Prozentpunkten, Bremen könnte die SPD erstmals nach 73 Jahren an die CDU verlieren. Durchhalteparolen der Partei- und Fraktionschefin könnten da zu wenig sein. Wie sehr es intern brodelt, zeigen Putschgerüchte um Ex-Parteichef Martin Schulz. Dass ein Vier-Augen-Gespräch zwischen ihm und Nahles ausgerechnet am Freitag publik wurde, ist bezeichnend.

Der frühere Präsident des Europaparlaments ist seit Monaten unzufrieden mit der Entwicklung seiner Partei und mit der Europapolitik – ähnlich wie sein Vorgänger Sigmar Gabriel und viele andere in der SPD. Schulz macht fast 100 Termine im Europawahlkampf, hat den überparteilichen Verein „Tu was für Europa“ gegründet und leidet am Niedergang seiner Partei.
Und er hegt Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz. Während es für den Parteivorsitz kaum Alternativen gibt, schielt nicht nur Schulz auf die attraktivere Aufgabe des Fraktionsvorsitzes, von der aus sich Regierungspolitik aktiv gestalten lässt.

Sie höre, er wolle sie an der Fraktionsspitze ablösen, habe Nahles Schulz in einem Vieraugengespräch zur Rede gestellt, berichtet nun der „Spiegel“. Dieser habe zwar akute Putschpläne bestritten, nicht aber seine grundsätzlichen Überlegungen. Schulz habe im Gespräch mit Nahles ein Szenario entworfen, wonach sie stattdessen wieder das Arbeitsministerium übernehmen könnte. Nahles war in der vergangenen Wahlperiode Arbeitsministerin und bekam für ihre Arbeit viel Lob, sie brachte auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auf den Weg.

Dem Tagesspiegel wurde das Gespräch bestätigt. Das sieht für Schulz blöd aus, so kurz vor wichtigen Wahlen wirkt das nicht mannschaftsdienlich – damit scheinen solche Ambitionen erledigt. Am Freitag wurde der Verdacht geäußert, das Nahles-Umfeld habe die Infos gestreut. Es ist ein alter machtpolitischer Trick, mit Durchstechereien Konkurrenten in Schach zu halten. Aber die Zahl ihrer Gegner wird gerade nicht geringer. Und nachdem der ganze Erneuerungsprozess zumindest bei den Wählern bisher kaum verfängt, während viele Funktionäre sich in ihrer Blase für all die neuen Sozialstaatspläne feiern, wächst der Druck auf Nahles, mal für einen Umschwung zu sorgen. Zumal der Europawahlkampf kaum zündete. Da war etwa der Widerspruch, der darin besteht, dass die SPD im Europawahlprogramm Einnahmen aus einer (noch nicht existierenden) Finanztransaktionssteuer dem EU-Haushalt verspricht. Nun aber soll das Geld plötzlich zur Finanzierung der deutschen Grundrente herhalten.

Nahles hatte 2018 den Parteivorsitz von Schulz übernommen und nach internem Widerstand konnte er auch nicht seinen Traumjob, das Amt des Außenministers, antreten. Auftritte im Bundestag wie seine Attacken gegen AfD-Fraktionschef Alexander Gauland („Sie gehören auf den Misthaufen der deutschen Geschichte“) gaben ihm Auftrieb, er will mehr klare Kante und das Profil schärfen. Aber Schulz werden kaum Chancen auf ein Comeback eingeräumt.

Krisensitzungen im Willy-Brandt-Haus sind schon geplant

Viel spannender wird bei den erwarteten Pleiten, wie sich die Parteilinke verhalten wird, die immer stärker an Einfluss gewinnt. Von allen Parteiflügeln sieht sie die große Koalition am kritischsten. Juso-Chef Kevin Kühnert, der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch und SPD-Vize Ralf Stegner sprechen sich eng miteinander ab.

Bisher wird in der SPD aber nicht mit einem Rücktritt von Nahles oder einem Putsch direkt nach dem kommenden Wahlsonntag gerechnet. Ihr politisches Schicksal dürfte weniger an Brüssel oder Bremen hängen, sondern vielmehr an Brandenburg. Dort und in Sachsen wird am 1. September gewählt. Wenn die SPD in Brandenburg die Macht verliert, könnte der Druck zu groß werden, zumal kurz danach im September die turnusmäßige Wahl der neuen Fraktionsführung ansteht. Schulz sondiert nach Tagesspiegel-Informationen seit Monaten seine Chancen, wieder eine wichtigere Aufgabe zu übernehmen. Aber er hat schon in der eigenen Landesgruppe Nordrhein-Westfalen mit Fraktionsvize Achim Post einen Konkurrenten. Doch beiden werden intern aktuell kaum Chancen eingeräumt. Auch über Posts mögliche Ambitionen sickerten zuletzt Indiskretionen nach außen. Fakt ist: Es wird viel telefoniert und sondiert, Bundesminister bereiten sich auf Krisensitzungen am Sonntag oder Montag im Willy-Brandt-Haus vor.

Nach 27,3 Prozent mit Spitzenkandidat Martin Schulz bei der Europawahl 2014 droht ein Absturz am Sonntag auf 17,5 bis 16 Prozent. Bei der parallel stattfindenden Wahl in der einstigen roten Hochburg Bremen liegt die SPD mit 23 bis 24,5 Prozent in Umfragen hinter der CDU. Seit Nahles den Parteivorsitz übernommen hat, gab es nur Wahlniederlagen – und Umfragen taxieren die älteste deutsche Partei fast kontinuierlich unter dem Bundestagswahlergebnis von 2017. Die damaligen 20,5 Prozent waren bereits das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.

Trotz viel Verdruss über Nahles: Viele zweifeln nach Schulz’ Zeit als Parteivorsitzendem und Kanzlerkandidat an seinen Führungsqualitäten. So sei er vor seiner Ablösung als Parteichef in den Koalitionsverhandlungen 2018 oft nur Statist gewesen, das Kommando hätten Nahles und der spätere Vizekanzler Olaf Scholz übernommen. Bei den Planspielen für einen Wechsel in der Fraktion fällt oft der Name Matthias Miersch. Er kommt aus dem einflussreichen Landesverband Niedersachsen und wäre schon bei der Regierungsbildung fast Umweltminister geworden. Öffentlich äußert er sich nicht zu den Überlegungen. Der 50-jährige Rechtsanwalt könnte im Herbst Chancen haben, heißt es. Dass Nahles das Ruder noch herumreißen kann, glauben nur wenige in der Partei. Viele Beistands- und Lobesbekundungen hören sich schon sehr pflichtschuldig an. Bald nach dem Wahlsonntag, so heißt es in der SPD, muss die Parteichefin unbedingt in die Offensive kommen.

Zur Startseite