Nach dem Abschuss des russischen Jets: Zwischen der Türkei und Russland herrscht Eiszeit
Nach Abschuss eines russischen Jets wirft der Kreml Ankara vor, mit dem IS zu kooperieren. Erdogan spricht von übler Nachrede und will von einer Entschuldigung nichts wissen.
Eine Woche nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei an der Grenze zu Syrien werden die Gräben zwischen beiden Ländern tiefer. Mit scharfen gegenseitigen Vorwürfen brannten die beiden Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan weitere Brücken zwischen den vor Kurzem noch eng miteinander kooperierenden Staaten nieder. In der Türkei fürchtet vor allem die Fremdenverkehrsindustrie die Folgen der russischen Sanktionen.
Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu lehnen nach wie vor die Forderung Russlands nach einer Entschuldigung für den Abschuss der SU-24 ab, bei der am 24. November einer der beiden Piloten starb. Der Jet war kurzzeitig in den türkischen Luftraum eingedrungen und deshalb von einem türkischen F-16-Kampfjet abgeschossen worden.
Niemand könne von der Türkei eine Entschuldigung erwarten, sagte Davutoglu. Bei einem Treffen mit Erdogan am Rande des Weltklimagipfels in Paris am Dienstag bekräftigte US-Präsiden Barack Obama, die Türkei habe das Recht, sich gegen Luftraumverletzungen zu wehren. Vergeblich hoffte Erdogan in Paris auf ein Treffen mit Putin. Stattdessen bekräftigte der russische Staatschef seinen Vorwurf, Ankara profitiere von illegalen Ölexporten des „Islamischen Staates“ (IS) aus Syrien. Die Türkei habe die SU-24 abgeschossen, um die Routen des Öls vor Luftangriffen zu schützen.
Verärgert über Putins Äußerung erwiderte Erdogan, üble Nachrede sei wohl eine russische Tradition. Der türkische Staatschef rief den russischen Präsidenten auf, Beweise vorzulegen. Sollte Putins Vorwürfe zutreffen, werde er zurücktreten, sagte Erdogan. Gleichzeitig forderte er den Kremlchef auf, ebenfalls sein Amt aufzugeben, wenn er keine Beweise finde.
In den vergangenen Jahren hatte sich die Türkei Russland angenähert
Öl und Diesel aus dem Machtbereich des IS in Syrien wird bereits seit Langem von Schmugglern über die Grenze in die Türkei gebracht und dort auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die Behörden tun nach eigenen Angaben alles, um den Schmuggel zu unterbinden. Seit Jahresbeginn haben sie an der syrischen Grenze rund 600 Tonnen an illegal eingeführtem Treibstoff beschlagnahmt.
In den vergangenen Jahren hatten sich die Türkei und Russland angenähert, während sich Ankara von Europa abwandte. Erdogan dachte vorübergehend sogar laut über eine Kandidatur seines Landes für die „Schanghai Five“ – eine von Russland und China dominierte Organisation – als Alternative zur türkischen EU-Bewerbung nach. Zu den engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen beiden Ländern gehören beträchtliche Öl- und Gaseinfuhren: Die Türkei kauft 57 Prozent ihres Erdgases und 30 Prozent ihres Öls in Russland. Zudem bauen russische Firmen das erste türkische Atomkraftwerk für etwa 20 Milliarden Dollar.
Noch gibt es keine Andeutungen aus Moskau, wonach Öl- oder Gaslieferungen in die Türkei als Protest gegen den Abschuss des Kampfflugzeuges gedrosselt werden könnten. Doch die von Russland an seine Bürger ausgesprochene Empfehlung gegen Urlaubsreisen in die Türkei könnte den dortigen Tourismussektor schwer treffen; nach den Deutschen sind die Russen mit rund vier Millionen Urlaubern im Jahr die zweitstärkste ausländische Besuchergruppe.
Auch Exporte nach Russland könnten leiden; noch kürzlich hatte die Türkei gehofft, die Lücken schließen zu können, die durch die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise entstanden waren. Nun stehen türkische Geschäftsleute in Russland vor großen Schwierigkeiten. So müssen Türken ab Januar bei Reisen nach Russland wieder ein Visum beantragen.
In der Türkei werfen Kritiker der Regierung vor, beim Krisenmanagement nach dem Abschuss der russischen Maschine versagt zu haben. Wenn Erdogan sofort Putin angerufen und den Vorfall bedauert hätte, wäre die Frage einer Entschuldigung jetzt nicht zu einer „Ehrensache“ geworden, schrieb der Journalist Hakan Aksay in einem Beitrag für das Nachrichtenportal T24. So aber bestehe immer noch die Gefahr einer neuerlichen militärischen Konfrontation. Der kleinste Fehler könne verhängnisvoll sein.