EVP-Chef Manfred Weber zum Brexit: "Zweites Referendum oder Neuwahlen"
Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen EVP für die Europawahl, über CDU und CSU, den Brexit und Viktor Orban. Ein Interview.
Herr Weber, was muss in Großbritannien passieren, damit am 12. April ein „harter Brexit“ vermieden werden kann?
Es gibt zwei Varianten. Entweder wird das britische Volk durch Neuwahlen oder in einem zweiten Referendum befragt. Oder das Unterhaus nimmt den Austrittsvertrag doch noch an. Das muss Großbritannien innenpolitisch klären. Ansonsten ist das Risiko eines harten Brexits sehr hoch.
Kann der EU-Austrittsvertrag noch geändert werden?
Nein. Wir halten an dem Austrittsvertrag fest, weil dort entscheidende europäische Grundprinzipien verankert sind. Dazu gehört, dass wir keine harte Grenze in Nordirland wollen, die neue Konflikte in Irland bedeuten könnte.
Während Kanzlerin Merkel offenbar bis zur letzten Sekunde einen harten Brexit abwenden will, scheint Frankreichs Staatschef Macron da weniger bemüht. Auf welcher Seite stehen Sie?
Meine Position lautet: Die 440 Millionen anderen Europäer haben vor den Europawahlen das Recht, von London zu erfahren, was Sache ist. Deshalb hat die britische Politik jetzt die Pflicht, Klarheit zu schaffen. Sowohl ein zweites Referendum als auch Neuwahlen, die schnell organisiert werden könnten, könnten notwendige Klarheit schaffen. Vor dem EU-Sondergipfel am 10. April, zu dem EU-Ratschef Donald Tusk eingeladen hat, muss klar sein, wie es weitergeht. Wenn eine Verlängerung nur dazu dient, ohne Ziel Zeit zu gewinnen, dann verschwenden beide Seiten nur ihre Kapazitäten.
Was wäre gegen eine Teilnahme der Briten an der Europawahl einzuwenden, wenn damit ein „harter Brexit“ abgewendet würde?
Die täglich dramatischere Unsicherheit in Großbritannien darf nicht auf die anderen EU-Staaten übergreifen. Davor warne ich. Wenn ein Land die EU verlassen will, dann kann es keinen wesentlichen Einfluss auf die Zukunftsgestaltung Europas nehmen. Es ist jetzt schon schwierig, dass britische Abgeordnete und Vertreter in den Ministerräten in der EU-Gesetzgebung über Zukunftsfragen bestimmen. Aber wenn demnächst ein neues Europäisches Parlament gewählt wird und eine neue EU-Kommission ins Amt kommt, dann kann es nicht sein, dass ein großes Land, das die EU verlassen will, weiter eine wesentliche Mitsprache hat. Deshalb brauchen wir vor der Europawahl eine Klärung.
Aber wenn es diese Klärung gibt, sollen dann die Briten bei der Europawahl dabei sein?
Es ergibt keinen Sinn zu spekulieren. Bisher haben bei allen vorliegenden Optionen die Nein-Sager im britischen Parlament eine Mehrheit.
Seit Monaten sind Sie als Kandidat für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf einer Zuhörtour durch ganz Europa unterwegs. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Zunächst gibt es die schöne Erkenntnis, dass die Menschen es positiv aufnehmen, wenn ein europäischer Kandidat zum Zuhören kommt. Was dabei frappierend ist: Über die Ländergrenzen hinweg stellen die Menschen ähnliche Fragen. Ein Beispiel: In einem Gemeindezentrum in Zypern meldete sich bei meinem ersten Termin während der Zuhörtour im Januar ein Landwirt und beklagte sich über die Bürokratie bei der Vergabe von EU-Fördergeldern. In Irland dasselbe. Das kenne ich genauso von meinen niederbayerischen Landwirten. Insgesamt gibt es zwei Megathemen, die den Kontinent prägen: Das ist nach wie vor die Migration und die Frage, wie es wirtschaftlich angesichts sich eintrübender Konjunkturaussichten weitergeht.
Vor fünf Jahren war der Europawahlkampf zwischen dem EVP-Vertreter Juncker und dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz eher eine zahme Angelegenheit. Wird das diesmal beim Duell mit dem Sozialdemokraten Timmermans anders?
Ich habe Lust darauf. Ich möchte den Menschen Alternativen aufzeigen. Deshalb trete ich mit einem klaren Programm im Wahlkampf an. Beispielsweise will ich die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara beenden, weil die Türkei nicht Mitglied der EU werden kann. Da ist die SPD in ihrem Wahlprogramm sehr schwammig. Ein anderes Beispiel: Ich werde im Wahlkampf klarstellen, dass wir Europäer nur dann eine wirtschaftliche Zukunft haben, wenn wir weiterhin Handelsverträge abschließen. Das war bei der SPD bei der Diskussion um den Ceta-Vertrag mit Kanada nicht klar, und die Grünen waren sogar immer dagegen.
In der deutschen Innenpolitik ist die geplante Verschärfung der Rüstungsexport-Richtlinien ein Streitthema zwischen Union und SPD. Wie passt die Verschärfung, für die sich in erster Linie die SPD einsetzt, zu der von Ihnen geforderten europäischen Verteidigungspolitik?
Europa braucht mehr Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. Das ist etwa bei der Drohnentechnologie offensichtlich. Wenn die Technologie europäisiert wird, dann brauchen wir auch ein gemeinsames Verständnis von der Exportpolitik. Dabei spreche ich mich für einen europäischen Ansatz aus, der sowohl die Erfordernisse für die Industrie als auch unser Ziel, nicht in Kriegsgebiete zu exportieren, unter einen Hut bringt. Es bringt nichts, dies nur bilateral zwischen Deutschland und Frankreich zu regeln. Aber in jedem Fall kann die SPD da nicht nur allein aus innenpolitischen Motiven herangehen.
Sie sprechen immer wieder davon, dass Sie die „Blackbox“ Brüssel den Leuten näherbringen wollen. Nehmen wir mal ein Beispiel: Die EU-Gesetzgebung im sogenannten Trilog zwischen Kommission, Europaparlament und Mitgliedstaaten läuft ohne Öffentlichkeit ab. Würde sich daran unter einem Kommissionspräsidenten Weber etwas ändern?
Ich stehe für einen viel breiteren Ansatz: Wir brauchen in der EU mehr Demokratie, Transparenz und einen anderen Stil. Die beste Garantie dafür ist die Parlamentarisierung Europas. Wenn die Zukunftsentscheidungen im Plenum des Europäischen Parlaments getroffen werden, dann müssen sie für die Kommission bindend sein. Ich möchte ein Kommissionspräsident des Parlaments sein. Das Parlament ist der Ort, wo die Bürger in erster Linie eingebunden werden. So funktioniert Demokratie: Wenn die Abgeordneten ihre Versprechen nicht halten, werden sie bei der nächsten Wahl abgewählt.
Zu Ihren Zielen gehört es, den Prozentanteil der Populisten bei der Europawahl möglichst gering zu halten. Wie wollen Sie das erreichen?
Zum einen müssen die Sorgen der Menschen, etwa bei der Migration oder Digitalisierung, ernst genommen werden. Konkret bedeutet das, dass wir wissen müssen, wer sich auf dem Gebiet der EU befindet. Der Staat muss die Kontrolle haben, nicht Schlepperbanden. Und zum anderen müssen wir mit aller Härte gegen Radikale vorgehen. Die AfD ist eine Gefahr für Deutschland. Sie marschiert Seite an Seite mit Pegida, der NPD und den Neonazis. Diese Partei darf nicht in relevanter Größe ins Europäische Parlament kommen.
Die EVP hat die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz suspendiert. Sind Sie sicher, dass dies den ungarischen Regierungschef Orban davon abhalten wird, vor der Europawahl weiter Stimmung gegen Brüssel zu machen?
Die Entscheidung zur Suspendierung der Fidesz-Mitgliedschaft hat klare Konsequenzen: Die Fidesz stimmt innerhalb der Europäischen Volkspartei nicht mehr mit und darf keine Kandidaten für EVP-Posten vorschlagen. Viktor Orban sitzt nicht mehr am Tisch, wenn die Staats- und Regierungschefs aus den Reihen der EVP ihre Vortreffen vor EU-Gipfeln abhalten. Damit ist klar, dass Entwicklungen in Ungarn nicht im Sinne der Werte sind, für welche die EVP steht. Es liegt jetzt in der Hand der ungarischen Freunde, Vertrauen wieder aufzubauen. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Der Ausschluss des Fidesz aus der EVP ist nach wie vor eine Option.
Nach der Ansicht des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen ist der traditionelle demokratische Rechtstaat heute von illiberalen Demokratien à la Orban herausgefordert. Sehen Sie das auch so?
Ja, es gibt wieder Grundsatzdiskussionen. In der Tat darf an den Grundprinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, der Meinungsfreiheit, der Gleichberechtigung oder der sozialen Marktwirtschaft nicht gerüttelt werden. Um das sicherzustellen, werde ich als möglicher nächster Kommissionspräsident einen unabhängigen Rechtsstaatsmechanismus für die EU vorschlagen. Er sieht einen regelmäßigen Bericht eines von Expertenrats ehemaliger Richter höchster nationaler und europäischer Gerichte vor. Dabei sollen die EU-Staaten regelmäßig darauf hin geprüft werden, wie die Korruption bekämpft wird und die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Freiheit der Medien gewährleistet wird. Wenn Verstöße festgestellt würden, dann würde ich als Kommissionspräsident diese Einschätzung der Experten dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorlegen. Gegebenenfalls kann es auch Sanktionen geben. In jedem Fall ist entscheidend, dass unabhängige Experten jenseits der Parteipolitik die Situation in den einzelnen EU-Staaten unter die Lupe nehmen. Wir haben in Ungarn und Polen große Sorgen, aber eben auch in Rumänien, wo Sozialdemokraten und Liberale regieren, oder anderen Ländern.
CDU und CSU haben ein gemeinsames Europawahlprogramm veröffentlicht. Wie lange wird der Burgfrieden in der Union zur Europawahl halten?
Das ist kein Burgfrieden, sondern eine neue gewonnene Einheit. Der Streit der letzten Jahre hat uns voneinander entfremdet. Deshalb freue ich mich, dass der Europawahlkampf und ich als Spitzenkandidat zur Einheit beitragen. Das ist umso mehr zu begrüßen, als wir nun gemeinsam die Herausforderungen angehen können. Die Nein-Sager, die heute das britische Parlament dominieren, könnten sich demnächst auch im Europäischen Parlament breitmachen. Es ist gut, dass CDU und CSU in diesen Zeiten klarmachen, dass sie Deutschlands Europaparteien sind.
Unterstützen Sie eigentlich die Forderung der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp- Karrenbauer, dass Straßburg nicht mehr Sitz des Europaparlaments sein soll?
Das Europäische Parlament muss endlich das Recht bekommen, selbst komplett über seine Arbeitsorganisation zu entscheiden – so wie der Bundestag über seinen Umzug von Bonn nach Berlin entschieden hat. Dazu müsste allerdings der EU-Vertrag geändert werden, in dem Straßburg als Sitz festgelegt wird.
Die aus Dänemark stammende EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager gehört zu einem Team aus sieben Politikern, das die liberale Parteienfamilie Alde für die Europawahl aufgestellt hat. Hat sie damit Chancen, Kommissionspräsidentin zu werden?
Ich hätte mich gefreut, wenn die Margrethe Vestager, die ich schätze, in das Spitzenkandidaten-Rennen mit eingestiegen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Mit einem einzigen Spitzenkandidaten oder einer Spitzenkandidatin hätten die Liberalen Klarheit schaffen können. So aber stehen sie nicht für einen Aufbruch.
Vestager hat aber auch die Unterstützung Macrons. Könnte Ihnen am Ende Frankreichs Präsident, der das ganze Spitzenkandidaten-Verfahren ablehnt, einen Strich durch die Rechnung machen?
Wir als EVP gehen unseren eigenen Weg – mit großer Geschlossenheit. Wenn die EVP bei der Europawahl wieder zur stärksten Fraktion werden sollte, dann haben wir einen demokratisch legitimierten Führungsanspruch auf dem Kontinent. Dafür kämpfen wir. Und ich hoffe, dass dann auch alle die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie respektieren.
Was würde ganz konkret passieren, falls Sie die Europawahl gewinnen, aber die Staats- und Regierungschefs am Ende doch einen anderen Kandidaten aus dem Hut zaubern sollten?
Man darf nicht vergessen, dass sich der Großteil der europäischen Parteien und viele Staats- und Regierungschefs für das Spitzenkandidaten-Prinzip ausgesprochen haben. Wenn sie dies plötzlich wieder vergessen sollten, dann wäre das ein gewaltiger Rückschritt für die Demokratie und Mitbestimmung der Wähler in Europa. Es würde einen Konflikt zwischen Europäischem Parlament und dem Rat der Staats- und Regierungschefs geben. Das will in dieser angespannten Situation niemand.
Das Gespräch führte Albrecht Meier.