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Teilnehmer an einer Demonstration von Rechtsextremisten und Reichsbürgern.
© imago images/Future Image

Entführungspläne gegen Lauterbach: Zwei Razzien innerhalb einer Woche – steigt die Terrorgefahr?

Sie wollten den Gesundheitsminister entführen und einen Bürgerkrieg entfachen. Behörden sehen mit Sorge die Radikalisierung von Rechten und Coronaleugnern.

Die Terrorgefahr in Deutschland nimmt offenbar zu. Zwei große Razzien innerhalb einer Woche zeugen von einem steigenden Risiko militanter Aktionen von Rechtsextremisten, Reichsbürgern, fanatischen Coronaleugnern und Impfgegnern.

Am Mittwoch überzog das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz die Gruppierung „Vereinte Patrioten“ in neun Bundesländern mit Durchsuchungen. Die aus mehreren Chatcliquen bei Telegram bestehende Vereinigung wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen. Außerdem sollte mit Anschlägen auf Umspannwerke ein bundesweiter Stromausfall verursacht und ein Bürgerkrieg entfacht werden.

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Eine Woche zuvor war das Bundeskriminalamt in elf Ländern gegen die rechtsextreme „Atomwaffen Division (AWD)“ und weitere Neonazis vorgegangen. Die AWD will ebenfalls mit Terror einen Umsturz erzwingen. Die Warnungen aus Sicherheitsbehörden vor einer Eskalation des Hasses scheinen sich zu bestätigen.

Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen verweist in seinem kürzlich vorgestellten Jahresbericht 2021 auf den rechtsextremen „Akzelerationismus“, eine Art Turboterror. Es handele sich um eine Ideologie „die durch terroristische Taten den beschleunigten Zusammenbruch der demokratischen Ordnung anstrebt“, heißt es.

Westliche liberale Demokratien seien demnach irreparabel korrupt, ihr Untergang solle beschleunigt werden. Als Beispiel wird im Bericht die in den USA gegründete und weltweit aktive Atomwaffen Division genannt. Die Beschreibung passt offenkundig auch auf die „Vereinten Patrioten“.

Bundesinnenministerin spricht von "Abgrund"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich am Donnerstag geschockt über die Ergebnisse der Razzia gegen die „Vereinten Patrioten“. „Die Ermittlungen offenbaren einen Abgrund“, sagte Nancy Faeser (SPD). Am Mittwoch hatten die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz mit den Durchsuchungen in den neun Ländern die offenbar hochgefährlichen Extremisten gestoppt.

Bei der Razzia stellte die Polizei 22 Schusswaffen sicher, darunter eine Kalaschnikow. Vier Personen wurden festgenommen, ermittelt wird gegen insgesamt zwölf Beschuldigte. In Rheinland-Pfalz war allerdings zu hören, bei der Chatgruppe hätten mehrere hundert Personen mitgemacht.

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Die Sicherheitsbehörden, darunter der Verfassungsschutz, kamen allerdings an die Kommunikation heran. Als die Gruppierung jetzt weitere Waffen beschaffen wollte, machte die Polizei dem Spuk ein Ende.

Die Entführungspläne gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die gewaltsamen Umsturzfantasien „zeigen eine neue Qualität der Bedrohung“, sagte Faeser. Erneut hätten sich „gewaltbereite Extremisten und Corona-Leugner auf Telegram vernetzt und radikalisiert“. Eine Art Symbolfigur für die Radikalisierung bis hin zum Terror scheint einer der mutmaßlichen Rädelsführer der Vereinten Patrioten zu sein.

Kalaschnikow und SS-Uniform

Die Polizei nahm am Mittwoch im brandenburgischen Falkensee den Finanzberater und radikalen Impfgegner B. fest. In seinem Wohnhaus sollen die Kalaschnikow und eine SS-Uniform gefunden worden sein. Der nach außen hin unauffällige, 54 Jahre alte Mann soll eine der treibenden Kräfte bei den „Vereinten Patrioten“ gewesen sein und Treffen jenseits der virtuellen Kommunikation organisiert haben.

Treffen die Vorwürfe zu, wäre B. eine dieser Figuren aus der Bewegung der Coronaleugner, die den Akzelerationismus praktizieren – die Strategie der beschleunigten Eskalation bis hin zum Bürgerkrieg.

Entführen wie einst die Rote Armee Fraktion

Die geplante Entführung von Karl Lauterbach erinnert zudem an den Terror der RAF. Ein Kommando verschleppte 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und erschoss vier Begleiter. Nach sechs Wochen tötete die RAF auch die prominente Geisel.

Lauterbach wird schon länger von Coronaleugnern massiv bedroht. Der Verfassungsschutz NRW sagt im Jahresbericht 2022, "das Spektrum der Einschüchterungsversuche umfasst Drohungen per E-Mail, eine Kundgebung vor seiner privaten Wohnung, eine Sachbeschädigung an seinem Auto und das Einwerfen einer Fensterscheibe seines Kölner Bundestagsbüros."

Der Minister twitterte nun, "Coronapolitik wird zunehmend durch Staatsfeinde missbraucht. Durch Gewalt soll Demokratie beschädigt werden. Danke an Ermittler und BKA, die mir halfen. Gegner und Befürworter meiner Arbeit will ich auch weiter zusammenführen. Aber Gewalt weiche ich nicht." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte bei Twitter seine Solidarität mit Lauterbach.

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