NSU-Prozess: Zwei Angeklagte, die von Freunden zu Feinden wurden
Carsten S. und Ralf Wohlleben - in München sitzen zwei Angeklagte vor Gericht, die von Freunden zu Feinden wurden. Das zeigt sich auch in ihrer Verteidigungsstrategie: Der eine schweigt, der andere versucht ihn zum Sprechen zu bringen.
Sie waren Freunde und „Kameraden“, heute sind sie Gegner, wenn nicht Feinde. Die Angeklagten Carsten S. (33) und Ralf Wohlleben (38) sitzen im NSU-Prozess nur wenige Meter voneinander entfernt, aber die persönliche Distanz zwischen den beiden ist gewaltig. Carsten S. ist im Jahr 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen, er hat vor dem Oberlandesgericht München ein umfassendes Geständnis abgelegt und Wohlleben massiv belastet. Carsten S. berichtete unter anderem, Wohlleben habe an der Beschaffung der Pistole Ceska 83 mitgewirkt, mit der die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten ermordeten.
Von Wohlleben allerdings, ehemals Vizechef der NPD in Thüringen, ist kein Abschied aus dem Rechtsextremismus bekannt – und er schweigt beharrlich. Das führt nun zum Konflikt.
Carsten S. wollte nur aussagen, wenn auch Ralf Wohlleben aussagt
Am Donnerstag haben die Verteidiger von Carsten S. verkündet, ihr Mandant werde Fragen der Anwälte von Ralf Wohlleben nur beantworten, wenn dieser sich ebenfalls umfassend äußere und seinerseits Fragen beantworten würde. Ein Verteidiger Wohllebens reagierte prompt. „Wir lassen uns nicht erpressen“, sagte Olaf Klemke. Dass Carsten S. auf seine Fragen nicht antworten wolle, sei als „Teilschweigen“ zu werten. Klemke stellte damit indirekt den Wert des Geständnisses in Frage. Doch Carsten S. ließ sich nicht umstimmen. „Mir ist die Waffengleichheit wichtig, dass er auch seine Geschichte erzählt und nicht nur ich mich nackig mache“, sagte er, als eine Nebenklage-Anwältin wissen wollte, warum er sich ausgerechnet Fragen der Verteidiger Wohllebens verweigere.
Der Angeklagte im NSU-Prozess schildert Details aus seinem Leben in der rechten Szene
Den Anwälten der ungefähr 80 Nebenkläger steht Carsten S. bereitwillig zur Verfügung. Er schilderte am Donnerstag mit weiteren Details, in welchem Ausmaß er mental in der Jenaer rechten Szene gesteckt hatte, bis er im Herbst 2000 ausstieg. Er hörte Musik von Bands, deren Namen schon die Inhalte verraten: „Vergeltung“, „Radikahl“, „Zillertaler Türkenjäger“, „Landser“. Vor allem die Zillertaler Türkenjäger, die Melodien deutscher Stimmungslieder mit rassistischen Texten neu vertonten, „fand ich lustig“, sagte S.
Szenetypisch hatte er sich auch für Waffen begeistert. „Ich hab’ so’n Bajonett gehabt“, sagte S. am Donnerstag. In den Tagen zuvor hatte er bereits von einem Teleskopstock berichtet, von einer Schreckschusspistole, von einem in Tschechien gekauften Schlagring, von einem Ninja-Stern, einer Zwille, einem „Springmesser“ und einem „Abwehrspray“. In einem „Tarnanzug“ nahm er an einer „nationalen Herbstwanderung“ teil, zum Übernachten hatte sich S. einen französischen Armeeschlafsack gekauft. Die Schreckschusspistole warf er Ende 2011 in Düsseldorf in den Rhein, als der NSU aufgeflogen war.
Er ahnte, dass die Polizei wegen der Ceska 83 auch zu ihm kommen würde und wollte nicht, wie er sagt, wegen der Schreckschusspistole immer noch für einen Nazi gehalten werden. Carsten S. hatte nach dem Bruch mit der rechten Szene Jena verlassen und in Düsseldorf ein Studium der Sozialpädagogik absolviert. In der Stadt am Rhein war er bis zur Festnahme im Februar 2012 in schwul-lesbischen Projekten tätig.
Die Bundesanwaltschaft wirft S. und Wohlleben wegen der Ceska Beihilfe zu neunfachem Mord vor. Carsten S. befindet sich im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts, um Racheaktionen von Neonazis vorzubeugen. Auch der ebenfalls geständige Holger G. (39) wird vom BKA versteckt gehalten. Holger G. wollte im Prozess bislang keine Fragen zu seinem Geständnis beantworten.
Frank Jansen