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Putin und Erdogan wollen, dass ihre Länder wieder kooperieren – in wirtschaftlichen und politischen Fragen.
© picture alliance / dpa

Krieg in Syrien: Zweckbündnis zwischen der Türkei und Russland

Der türkische Staatschef Erdogan und Russlands Kremlchef Putin sind ein Tauschgeschäft eingegangen. Freie Hand in Aleppo - freie Hand gegen die Kurden. Eine Analyse.

Die neue Partnerschaft zwischen der Türkei und Russland schafft Fakten im benachbarten Syrien. Nach Einschätzung von Beobachtern sinkt der westliche Einfluss auf die Ereignisse in dem Bürgerkriegsland durch die neue Allianz weiter, die USA werden aus der Region abgedrängt. Doch auch auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kommen wegen der neuen Nähe zu Wladimir Putin unangenehme Entscheidungen zu.

Mit dem ersten Besuch Putins in der Türkei seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe im November vergangenen Jahres besiegelten Ankara und Moskau diese Woche ihre Wiederannäherung. Bei dem Treffen unterzeichneten beide Länder eine Vereinbarung zum Bau der Gas-Pipeline Turkish Stream, die russisches Erdgas unter Umgehung der Ukraine durch das Schwarze Meer in die Türkei und von dort aus nach Europa transportieren soll. Auch an russischen Luftabwehrsystemen ist der Nato-Staat Türkei laut Medienberichten interessiert.

Erdogan habe in der Zeit der Krise mit Moskau in den vergangenen Monaten eingesehen, dass die Türkei in Syrien gegen Russland nichts ausrichten könne, sagt Behlül Özkan, Politologe an der Istanbuler Marmara-Universität. Die Abhängigkeit der Türkei von russischem Erdgas und der Vormarsch der syrischen Kurden im Grenzgebiet habe Staatschef Erdogan dazu bewogen, sich mit Kremlchef Putin wieder zu vertragen, sagt Özkan im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Erdogan darf die Kurden zurückdrängen

Das zahlte sich für Erdogan demnach sofort aus: Die türkische Militärintervention in Syrien Ende August hätte niemals ohne Genehmigung Russlands – die entscheidende Militärmacht in Syrien– stattfinden können, meint Özkan. Putin ließ die Türken gewähren, die mit ihren Truppen und Panzern nicht nur den „Islamischen Staat“ (IS), sondern vor allem die syrische Kurdenpartei PYD in der Gegend zurückdrängen will.

Im Gegenzug sei Erdogan offenbar bereit, die Einnahme der Wirtschaftsmetropole Aleppo durch syrische Regierungstruppen hinzunehmen, sagt Özkan. Jedenfalls komme aus Ankara nur gemäßigte Kritik am Vorgehen der syrischen Armee und der russischen Luftwaffe in der umkämpften Stadt.

Das Zweckbündnis mit Russland gibt Erdogan auch die Möglichkeit, im Verhältnis mit der westlichen Führungsmacht USA Druck zu machen; Ankara und Washington streiten unter anderem über die türkische Forderung nach Auslieferung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Türkei nicht in die Arme Russlands treiben“, sagt Joshua Landis, Nahostexperte an der Universität Oklahoma.

Darüber hinaus stärke die russisch-türkische Annäherung die Machtposition Moskaus in Syrien und im Nahen Osten insgesamt, betonte Landis in einer Telefonkonferenz der Denkfabrik Wilson Center in Washington. Putin strebe eine „neue Sicherheitsarchitektur“ unter russischer Vorherrschaft im Nahen Osten an.

Die USA ziehen sich zurück

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint Erdogans Wiederannäherung an Russland als logischer Schritt zur Wahrung türkischer Interessen: Die USA halten sich schließlich aus dem Syrienkonflikt weitgehend heraus und sind auch sonst in Nahost-Fragen „auf dem Rückzug“, wie Landis formuliert. Dagegen schicke sich Putins Russland an, zum entscheidenden Akteur in der Region zu werden, sagt der türkische Politologe Özkan.

Laut türkischen Medienberichten gibt es inzwischen erste diskrete Kontaktaufnahmen zwischen der Türkei und der Assad-Regierung. Bestätigt sind diese Informationen nicht, doch überraschen würden solche Gespräche angesichts der Reparatur der türkisch-russischen Beziehungen nicht.

Völlig sorgenfrei kann Erdogan nach seinem Treffen mit Putin allerdings nicht sein. Bisher hatte sich die Türkei in eine Phalanx sunnitischer Staaten unter der Führung Saudi-Arabiens eingereiht, die Assads Sturz und ein Gegengewicht gegen den in Syrien wachsenden Einfluss der schiitischen Großmacht Iran anstreben. Wenn Erdogan nun plötzlich Vereinbarungen mit dem Assad-Partner Russland in Syrien trifft, dann dürfte das am Golf für erhebliche Irritationen sorgen.

Bis auf Weiteres versucht Erdogan, auf zwei Hochzeiten zu tanzen: Er spricht sich mit Putin ab, um im Norden Syriens gegen die Kurden vorgehen zu können, und will gleichzeitig sein Verhältnis zu Saudi-Arabien und den anderen sunnitischen Akteuren pflegen. Das werde auf Dauer nicht gutgehen, sagt Özkan voraus: „Die Türkei wird sich für eine Seite entscheiden müssen.“

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