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Wer hört hier künftig auf wen? Martin Schulz hat Andrea Nahles als Fraktionschefin vorgeschlagen.
© Reuters

Andrea Nahles soll SPD-Fraktionsvorsitzende werden: Zum Neuanfang gezwungen

Am Montag schlug Martin Schulz die bisherige Arbeitsministerin als Oppositionsführerin im Bundestag vor. Er selbst hatte ursprünglich andere Pläne.

Am Wahlabend stand sie mit ernster Miene neben Martin Schulz auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses, am nächsten Tag schlug der Parteichef sie an gleicher Stelle für den Job der Oppositionsführerin im Bundestag vor: "Ich habe empfohlen, dass Andrea Nahles, die bisherige Sozial- und Arbeitsministerin, die Fraktion anführen soll", sagte der gescheiterte Kanzlerkandidat am Montagmittag.

Schulz wollte den Personalvorschlag als Signal der Erneuerung einer Partei verstanden wissen, die in den Abgrund schaut. Die Parteiführung stellte sich hinter seine Entscheidung. Doch manche Mitglieder werten den Schritt auch als ein Eingeständnis. Der Parteichef, so wird es von etlichen gesehen, hat sich in einer Machtfrage schwer verkalkuliert.

Denn am Sonntag, als sich das 20,5- Prozent-Debakel schon abzeichnete, versuchte Schulz in der Parteizentrale auszuloten, ob er selbst Fraktionschef werden könne. Das versichern jedenfalls Eingeweihte. Es sei schließlich Thomas Oppermann, der bisherige Anführer der Bundestagsabgeordneten, gewesen, der dem Parteichef diesen Zahn gezogen habe. Wenn Schulz kandidiere, werde er keine Mehrheit bekommen, warnte Oppermann.

Ein Parteichef, der sich in einer historischen Niederlage mit dem eigenen Fortkommen beschäftigt? Dieses Bild will Schulz keinesfalls stehen lassen. Mit Verve bestritt er am Montag vor Journalisten eigene Ambitionen auf das Fraktionsamt: "Ich habe nie darüber nachgedacht, Fraktionsvorsitzender zu werden."

Nominierung von Nahles könnte Signal für Neuanfang sein

Wirklich nicht? Aus Parteikreisen hieß es am Montag, Schulz habe vor der Wahl sehr wohl den Fraktionsvorsitz in den Blick genommen. Sein ursprünglicher Plan sei es gewesen, den Posten im Fall für sich zu reklamieren, falls seine Partei 23 Prozent erreiche.

Womöglich hängt es mit dieser Vorgeschichte zusammen, dass das Lob des Parteichefs für die Parteifreundin und künftige Oppositionsführerin im Bundestag eher spärlich ausfiel. Andrea Nahles sei "eine erfahrene Politikerin, die hier in Berlin, aber auch in ihrem Landesverband über eine hohe Reputation verfügt", sagte Schulz und fügte noch hinzu, sie sei "als Frau der mittleren Generation sehr gut geeignet, die Fraktion zu führen".

Begeisterung klingt anders. Dabei könnte die Nominierung von Nahles ein Signal von Schulz für einen entschlossenen Neuanfang sein. Überzeugten Nahles-Fans in der Partei jedenfalls fallen viele gute Gründe ein, warum die 47-Jährige die richtige Frau zur richtigen Zeit sein soll.

Die ehemalige Juso-Chefin und Ex-Generalsekretärin, so loben ihre Unterstützer, kennt ihre Partei in- und auswendig. Als Arbeitsministerin hat sie fast 40 Gesetze durch den Bundestag gebracht, darunter SPD-Herzensanliegen wie den Mindestlohn und die Rente mit 63. Dass sie sich von der linken Flügelfrau zur pragmatischen Politikerin gewandelt hat, bestreiten selbst frühere Gegner nicht. Von einem hohen Maß an Verantwortung für die Entwicklung der SPD ist die Rede. Um sich herum hat sie über Jahre ein Team loyaler Mitarbeiter aufgebaut, das politische Entscheidungen vorbereitet und das Image der Minister als beharrliche Arbeiterin pflegt. Viele in der SPD erwarten deshalb, dass sie im neuen Amt keine lange Einarbeitungszeit brauchen wird.

"Seeheimer Kreis" meldet Zweifel an

Und doch gibt es auch Widerstand. Der "Seeheimer Kreis", in dem sich die Abgeordneten vom rechten Flügel des SPD zusammengeschlossen haben, meldete am Montag Zweifel an. Allerdings galt die Kritik nicht Nahles selbst, sondern dem Tempo der Entscheidung. Dahinter verbirgt sich aber offenbar eher ein machttaktisches Manöver. Den "Seeheimern" gehe es darum, ihren Sprecher Carsten Schneider als Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer durchzusetzen. Der "PGF", wie die Funktion im Bundestag heißt, ist nach dem Fraktionschef der wichtigste Posten, den die Abgeordneten zu vergeben haben.

Doch Schneider ist nicht der einzige Bewerber. Im Gespräch ist auch Hubertus Heil. Der Niedersachse hatte im Juni in der Endphase des Wahlkampfs das Amt des SPD-Generalsekretärs übernommen und wird für seine Arbeit von allen Parteiflügeln gelobt. Heil ist 44, Schneider 41 Jahre, beide würden für einen Generationenwechsel stehen. Heil war in der auslaufenden Wahlperiode als Fraktionsvize für die Themen Wirtschaft und Bildung zuständig, Schneider in der gleichen Funktion für Haushalt und Finanzen.

Für den Thüringer Abgeordneten spricht, dass er aus dem dem Osten kommt. Das könnte für eine Partei wichtig sein, die am Wahlsonntag in den neuen Ländern miserable Ergebnisse eingefahren hat. Heil wiederum, der zu den pragmatischen "Netzwerkern" zählt, ist ein politischer Profi, der 19 Jahre Erfahrung im Bundestag mitbringt.

Glaubt man Parteichef Schulz, hat ihn der Widerstand gegen die Nahles-Wahl nicht überrascht. Es sei normal, dass Vorschläge des Vorsitzenden "nicht immer auf sofortigen Jubel treffen", sagte er am Montag. Er werde mit den Beteiligten reden. Viel Zeit bleibt nicht, denn an diesem Dienstag oder einen Tag später soll die neu konstituierte Fraktion wählen.

Auch wenn Schulz Nahles ursprünglich nicht aus eigenem Antrieb ins Spiel gebracht hat: Nun muss er dafür sorgen, dass die bisherige Arbeitsministerin mit einem guten Ergebnis an die Spitze der Fraktion gewählt wird. Andernfalls könnte aus dem versprochenen Neuanfang ein peinlicher Fehlstart werden, der auch den Parteichef beschädigen würde.

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