Palästinensische Flüchtlingslager: Zuhause auf Zeit
1,4 Millionen Palästinenser leben in Flüchtlingslagern. Eine Ausstellung zeigt, wie sie ihre Lebenssituation verbessern können – durch Mitbestimmung.
Berlin - „Wer mag nicht den Ort, an dem er aufgewachsen ist?“, fragt er. „Ich bin dort geboren – aber es ist nicht mein Zuhause.“ Abwechselnd in gebrochenem Englisch und schnellem Arabisch versucht Ziad Hamouz diesen Widerspruch zu erklären, der den Kern des Problems zwischen Israel und Palästina treffender nicht beschreiben könnte. „Ich werde gezwungen, dort zu leben“, sagt er einige Zigaretten später. „Ich sollte doch das Recht haben, selbst zu entscheiden, wo ich lebe.“ Sein Zuhause, das keines ist, liegt in einem Flüchtlingscamp im südlichen Westjordanland.
Ziad Hamouz ist einer von knapp fünf Millionen Palästinensern, die von den Vereinten Nationen offiziell als Flüchtlinge gezählt werden. Ein Drittel von ihnen lebt in Camps, die einst infolge des arabisch-israelischen Konflikts 1948 entstanden. Damals wurden mehr als 750 000 Menschen aus ihrer Heimat verdrängt. Im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jordanien, in Syrien und im Libanon entstanden hinter den Waffenstillstandslinien temporäre Zeltstädte. Während des Sechstagekriegs im Jahr 1967 kamen noch etwa 400 000 Flüchtlinge hinzu. Heute leben 1,4 Millionen Menschen in 58 Flüchtlingslagern. Ziad Hamouz’ Familie blieb im Westjordanland, in Fawwar Camp, nahe Hebron.
Die Übergangslösung ist längst zum Dauerzustand geworden. Die einstigen Zeltsiedlungen haben sich zu kleinen Städten entwickelt, deren Bevölkerung rasant wächst. In Fawwar Camp, in dem einst die Bewohner aus 18 Dörfern angesiedelt wurden, lebten 2007 noch 6500 Menschen, heute sind es bereits 8500. Er habe nur fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Jungs, sagt Hamouz, eine kleine Familie sei das. Mit den Familien seiner beiden Brüder lebt der 53-Jährige auf zwei Stockwerken, 24 Personen auf 140 Quadratmetern. Die Straßen im Camp seien so eng, dass in die Häuser keine Sonne scheine – und jeder könne hören, was die Nachbarn sagen. „Der Platz im Camp reicht nicht aus“, sagt er. „Wir können es nicht vergrößern, aber wir können unsere Lebensumstände verbessern.“
Genau da setzt das „Camp Improvement Programme“ des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (Unrwa) an. Das Besondere ist, dass das Programm erstmals die Flüchtlinge mit einbezieht: Die Bewohner der Camps entscheiden selbst, wie sie ihren Lebensraum gestalten und was sie verändern möchten – in Zusammenarbeit mit Architekten, Stadtplanern und Künstlern. Die Ergebnisse sind derzeit im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin unter dem Titel „Space, Time, Dignity, Rights: Partizipative Planungsstrategien für palästinensische Flüchtlingslager“ zu sehen.
In Zeichnungen, Skizzen, Modellen und Videobeiträgen wird dort präsentiert, wie die Menschen durch kleine und größere Maßnahmen ihre Lebensumstände verbessert haben oder das noch tun: durch Infrastrukturmaßnahmen – breitere Straßen, offene Plätze, Spielplätze oder Grünflächen –, aber auch durch langfristige Graffiti- und Videoprojekte oder Kulturzentren. „Das Ergebnis ist wichtig“, sagt Unrwa-Generalkommissar Filippo Grandi. „Viel wichtiger ist aber der Weg dahin: Dass die Leute es selbst tun.“ Denn Camp Improvement heißt vor allem: diskutieren, sich Gedanken machen, planen. „Daraus resultieren Menschenwürde, Selbstbewusstsein und Hoffnung“, sagt Grandi. „Dieses Projekt ist auch eine Übung in Demokratie.“ Die Bundesregierung unterstützt das Programm. „Das Selbstbewusstsein, das die Menschen durch die Partizipation bekommen, trägt dazu bei, dass Konflikte friedlich gelöst werden können“, sagt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP).
Weitere Bilder aus der Ausstellung:
Ziad Hamouz und andere Flüchtlinge sind zur Ausstellungseröffnung nach Berlin gekommen. „Wir haben einen Prozess der Identifizierung durchgemacht“, sagt Hamouz. „Wir haben unsere Bedürfnisse herausgefunden in Workshops und Diskussionen. Es hat sich sehr viel verändert durch das Projekt.“ Hamouz ist ein drahtiger kleiner Mann mit freundlichen Augen und gewinnendem Lächeln. Auch für ihn war es ein schwieriger Prozess. Denn bei jeder Maßnahme schwingt immer auch Angst mit, durch die Verbesserungen im Camp indirekt auf das Rückkehrrecht zu verzichten. Seine Eltern besaßen etwas Land, nicht weit von Ziads heutigem Wohnort entfernt, in Bayr Jibrin, einem Dorf nördlich von Hebron, das von Israel besetzt wurde. Ob er je dorthin zurückkehren kann, ist nicht klar. „Wir haben ein Recht darauf“, sagt er. „Aber das heißt ja nicht, dass wir bis dahin schlecht leben müssen.“ Seit 64 Jahren wohnten die Flüchtlinge nun in diesem Camp, „vielleicht werden es noch weitere 64 sein“.
Die Ausstellung „Space, Time, Dignity, Rights“ ist noch bis Sonntag im DAZ zu sehen, Köpenicker Straße 48-49, Mitte.
Anke Myrrhe
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