US-Justizreform: "Zu viele Menschen hinter Gittern"
Die Gefängnisse in den USA sind überfüllt. Nach 25 Jahren Härte gegenüber Kriminellen unterstützen die Gesetzeshüter nun Barack Obama, der das Strafmaß senken will.
Hätten die Insassen US-amerikanischer Gefängnisse einen eigenen Bundesstaat, dann läge dieser auf Rang 36 der bevölkerungsreichsten der Vereinigten Staaten. Selbst im Weltmaßstab lägen diese mehr als zwei Millionen Häftlinge noch vor der Einwohnerzahl von Ländern wie Namibia, Lettland, Slowenien oder dem Kosovo. Die USA stellen fünf Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel aller Häftlinge weltweit. Seit die USA in den 90er Jahren strenge Strafen gegen Drogen- und Kleinkriminelle einführten, ist die Zahl der Häftlinge um 400 Prozent gestiegen. 80 Milliarden Dollar kosten dabei die überfüllten Gefängnisse den Staat jährlich. Selbst harte Verfechter von „Law and Order“ wenden sich jetzt dagegen.
Geringere Strafen für Kleindelikte gefordert
130 Polizeichefs, Staatsanwälte und Sheriffs, darunter die prominentesten wie der New Yorker Polizeichef Bill Bratton, sind jetzt mit einem Aufruf zur Reduzierung der Länge von Haftstrafen an die Öffentlichkeit gegangen. „Das Ausmaß der Inhaftierung hat einen kritischen Punkt erreicht“, schreiben sie in einem Manifest. Als Gesetzeshüter seien sie verpflichtet, auf die Einhaltung der Gesetze zu achten, die zu einer Überkriminalisierung führten. Die Gruppe fordert, Kleindelikte auch als solche einzustufen und damit die Strafen zu verringern. Sie fordern die Abschaffung von Mindeststrafen auch bei Drogendelikten und alternative Maßnahmen wie Drogenentzug und Therapien. „Zu viele Menschen sind hinter Gittern, die dort nicht hingehören“, heißt es im Manifest.
Am Donnerstag trafen Vertreter der Sicherheitsexperten den US-Präsidenten im Weißen Haus. Barack Obama hat angekündigt, die Justizreform zu einem Schwerpunkt in seinem letzten Amtsjahr zu machen. Sie soll Teil seines Vermächtnisses werden. Im Juli hatte er als erster amtierender US-Präsident ein Gefängnis besucht und dort mit Insassen und Sicherheitsbeamten gesprochen. Er begnadete im Juli außerdem 46 Häftlinge. Liberale Befürworter einer Justizreform kritisieren allerdings, Obama nutze sein Recht zur Begnadigung nicht mehr als seine Vorgänger.
40 Prozent der Häftlinge sind Afro-Amerikaner
Der ehemalige Chefredakteur der „New York Times“, Bill Keller, hat nach seinem Ausscheiden bei der Zeitung das „Marshall Projekt“ ins Leben gerufen, ein Informationsportal, das sich als Ziel mehr Gerechtigkeit im amerikanischen Justizsystem gesetzt hat. Am Donnerstag veranstaltete das Marshall-Projekt zusammen mit Obama eine Podiumsdiskussion zum Thema im Weißen Haus. Am kommenden Dienstag spricht Obama vor dem jährlichen Treffen der amerikanischen Polizeichefs.
Die Überfüllung amerikanischer Gefängnisse ist auch Ausdruck von institutionellem Rassismus. Fast 40 Prozent der Häftlinge sind Afro-Amerikaner, bei einem Anteil an der Bevölkerung von nicht einmal 13 Prozent. Neben den Schwarzen machen die Lateinamerikaner weitere 20 Prozent der Häftlingsbevölkerung aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass schwarze Männer ins Gefängnis kommen, ist sechs mal höher als bei weißen Männern, für Lateinamerikaner liegt die Quote immerhin noch beim 2,4-Fachen. Einer von zehn schwarzen Männern in seinen 30er Jahren wandert ins Gefängnis.
Die Initiative der Polizeichefs könnte eine entscheidende Bewegung im Ringen um eine Justizreform in den USA werden. Männer wie Bratton stehen für die Polizeiphilosophien der Null-Toleranz-Generation. Ihre Abwendung hat Einfluss auf jene Politiker, die sich einer Reform, allen finanziellen Aspekten zum Trotz, verweigern. Auf eine kleine Reform der Strafmaßrichtlinien konnten sich Demokraten und Republikaner im vergangenen Jahr indes einigen. Auf der Grundlage werden in der kommenden Woche 6000 Männer und Frauen aus Gefängnissen entlassen, die eine Reduzierung ihres Strafmaßes beantragt haben.