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Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der nächtlichen Koalitionsausschusssitzung zum Thema Klima.
© Axel Schmidt / dpa

Klima-Kompromiss: Zu Recht enttäuscht, zu Unrecht entsetzt

Gemessen am Anspruch ist der Klimakompromiss nahe der Nullbuchung. Trotzdem gibt es Grund zur Hoffnung. Ein Kommentar

Es ist der Dramatik der Klimaerwärmung angemessen: 15 Stunden Verhandlungen im Kanzleramt, bis in den Freitagvormittag hinein. Während in den Straßen in Berlin, in Deutschland, auf der ganzen Welt die Menschen für die vermutlich größte Klimaschutz-Demo, die es bisher gab, zusammenströmen.

Und nun also: Kann der nationale Klima-Gipfel und der Kompromiss der schwarz-roten Koalition erfüllen, was die Bewegung Fridays for Future erwartet – oder auch nur das, was nötig wäre, um Deutschlands Klimaschutz-Verpflichtungen gerecht zu werden?

Nein, auf kurze Sicht nicht. Gemessen an diesem Anspruch ist der Klimakompromiss nahe der Nullbuchung. Zehn Euro als Einstiegspreis, Jahre später 35 Euro für die Emission einer Tonne Kohlendioxid durch Fahrzeuge und durch Heizungen – das klingt wie Hohn, und, um Kanzlerin Angela Merkel beim Wort zu nehmen: Das ist Pillepalle. Der CO2-Preis müsste bei mindestens 50, besser 80 und perspektivisch deutlich über 100 Euro liegen.

Das Verbot neuer Ölheizungen kommt spät, die Investitionsoffensive für die Bahn ist überfällig und wird nur die größte Not mildern, der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht in Schwung gebracht.

Und ein erheblicher Teil der Lenkungswirkung wird aus großer Sorge um die sozialen Auswirkungen gleich wieder neutralisiert, zum Beispiel über die Erhöhung der Pendlerpauschale. Wer lässt da das Auto stehen? Auch die Fliegerei wird kaum teurer gemacht.

Trotzdem: ein Erfolg

Gemessen an der Ausgangslage allerdings sind die neuen Strukturen schon ein Erfolg. Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass die erste Riege der Koalition, zum Beispiel Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles, Finanzminister Olaf Scholz und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier den Klimaschutz ignorierten oder gar aktiv blockierten. In der Union galt als völlig ausgeschlossen, privaten CO2-Emissionen einen Preis zu geben.

Warum ist der der Klima-Kompromiss doch noch möglich geworden? Wegen des Drucks von der Straße und aus den Wahlkabinen. Klimaschutz ist eine Massenbewegung, und die Grünen graben in Umfragen mit 20 Prozent plus X SPD und Union das Wasser ab.

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Zudem: Olaf Scholz hat es geschafft, glaubhaft zu vermitteln, dass die Sozialdemokraten in der Regierung über den kommenden Winter hinaus weitermachen wollen, dafür aber ein Ergebnis brauchen, das halbwegs vorzeigbar ist.

Das hatte Dominowirkung in die Union hinein: Als die SPD nämlich kurz vor dem Ausstieg schien, war es taktisch vor allem aus Sicht der CDU sinnvoll, Verhandlungsmasse für schwarz-grüne Koalitionsgespräche zu erhalten.

Kompromiss verschiebt Achsen

Unter der Oberfläche aber verschiebt der Kompromiss viele Achsen. Erstens: Er enthält die Grunderkenntnis, dass CO2-Emissionen durch die gesamte Volkswirtschaft hindurch einen Preis benötigen. Er müsste viel höher sein, natürlich. Aber es gibt, sofern die rechtlichen Schwierigkeiten ausgeräumt sind, einen Hebel, der jederzeit eine, zwei oder drei Stufen hochgestellt werden kann – zum Beispiel durch die Grünen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Klimakabinetts
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Klimakabinetts
© dpa / Kay Nietfeld

Zweitens: Das Umweltministerium konnte durchsetzen, dass es jahresscharfe Ziele gibt und permanent berichtet und nachgesteuert werden muss. Es ist leicht zu unterschätzen, wie wichtig das ist.

Das Klimaziel 2020 wird auch deshalb ziemlich deutlich verfehlt werden, weil es diese Zwischenziele nicht gab und auch keine klare Disziplinierung vorgesehen war für die einzelnen Sektoren (und ihre Bundesminister), vor allem Verkehr und Gebäudeenergie. So konnte man sich und der Öffentlichkeit so lange vormachen, das klappe schon noch, bis es zu spät war.

Drittens: Eine rein deutsche Klimapolitik ist längst nur noch eine Illusion, den Grundtakt gibt Europa vor – und Ursula von der Leyen hat als neue Kommissionspräsidentin vor, das Tempo noch weiter zu erhöhen.

Zu wenig, trotzdem ein Durchbruch

Auch hier gibt es gute Ansätze, gleich an mehreren Stellen die europäischen Vorgaben endlich mit den nationalen Klimaschutzsystemen zu verbinden – zum Beispiel bei den langfristigen Emissionspreisen für Verkehr und Gebäude.

Die Fridays-for-Future-Bewegung und die Grünen wird dieser Kompromiss enttäuschen und sie haben Recht: Es ist zu wenig. Gemessen in langen, historischen Linien könnte er sich trotzdem als entscheidender Durchbruch, als stark unterschätzter Kompromiss, erweisen. Weil er die Struktur der Klimaschutzpolitik reformiert. Mit Kraft die neuen Hebel umlegen, das müssen dann andere. Das schafft die ermattete schwarz-rote Koalition nicht mehr.

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