Politik: Zu Gast in einem geschundenen Land
Außenminister Guido Westerwelle besucht Kolumbien – nach mehr als vier Jahrzehnten Bürgerkrieg ringt der Staat weiter um Frieden und Entwicklung
Seit dem Amtsantritt von Staatschef Juan Manuel Santos vor knapp einem Jahr ist Kolumbien bemüht, sich auch europäischen Ländern als viel versprechender Partner zu präsentieren. Die Sicherheitspolitik im Land sei erfolgreich, so der Konservative Santos, das Land eine „lebendige Demokratie“. Erst im April hatten sich Santos und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin getroffen und vereinbart, etwa im Bereich erneuerbarer Energien stärker zusammenzuarbeiten. Am Donnerstag machte nun Außenminister Guido Westerwelle (FDP) während seiner Amerika-Reise in Bogotá Station.
Westerwelle reiste jedoch in ein Land, dessen innenpolitische Situation keineswegs so friedlich und demokratisch ist, wie es Santos, dessen Familie eine der reichsten in Kolumbien ist und die größte Tageszeitung des Landes besitzt, gerne darstellt. Seit Jahrzehnten wird in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt zwischen Guerilla-Bewegungen wie der Farc und paramilitärischen Gruppen der extremen Rechten ausgefochten, der immer stärkere Verflechtungen mit dem Drogenhandel aufweist. Zwar produzierte Kolumbien laut dem diesjährigen Welt-Drogenbericht der UN deutlich weniger Kokain als noch im Vorjahr, zählt aber nach wie vor zu den wichtigsten Exporteuren in die USA und nach Europa. Darunter zu leiden hat vor allem die ländliche Bevölkerung in Kolumbien, denn noch immer werden große Gebiete von Drogenbossen kontrolliert.
Auch legale Bodenschätze wie Kohle oder Erdöl haben Kolumbien zu einer der führenden Wirtschaftsmächte Lateinamerikas gemacht. Die Schere zwischen Arm und Reich jedoch ist die größte des ganzen Kontinents – und für Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter, die dagegen ankämpfen, ist Kolumbien eines der gefährlichsten Länder weltweit. Allein in den ersten 300 Tagen von Präsident Santos’ Amtszeit wurden 34 Aktivisten und 24 Gewerkschafter ermordet, außerdem 15 Menschen, die sich für die Rückgabe von Land für Inlandsvertriebene eingesetzt hatten. Rund 97 Prozent der Verbrechen dieser Art wurden in den vergangenen Jahren nicht vor Gericht gebracht.
Der vormalige Präsident Álvaro Uribe, den Santos ablöste, hatte – noch mit Santos als Verteidigungsminister – acht Jahre lang Aufständische und Terroristen hart bekämpft. Während die Guerilla mit enormen militärischen Mitteln zurückgedrängt wurde, setzte Uribe, dem selbst immer wieder Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen nachgesagt wurden, mit diesen auf eine Verhandlungslösung. Vor fünf Jahren legten die Paramilitärs, auf deren Konto laut Staatsanwaltschaft mehr als 170 000 Morde und 35 000 Verschwundene gehen, offiziell die Waffen nieder. Obwohl Paramilitärs im Sprachgebrauch der Regierung seitdem nicht mehr existieren, sind die Strukturen der nachwachsenden Todesschwadronen jedoch dieselben geblieben.
Santos schlägt seit seinem Amtsantritt als Präsident etwas moderatere Töne an als sein Vorgänger, der auch Journalisten und Menschenrechtler schon mal als „Terroristen“ bezeichnete. Im Juni wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem Vertriebene des bewaffneten Konflikts Land zurückfordern können. Ob das Gesetz zur Versöhnung beitragen und die Sicherheit der Opfer garantiert werden kann, muss sich erst zeigen.
Im Großen und Ganzen werden die Leitlinien der Politik der vergangenen Jahre allerdings beibehalten. Kolumbien setzt auf Sicherheit durch militärische Mittel und Wirtschaftswachstum. Bald soll ein Freihandelsabkommen mit der EU ratifiziert werden. Mehr als 200 kolumbianische und europäische Organisationen haben sich in einer Erklärung gegen das Abkommen gewandt. Durch den Abbau von Handelsbeschränkungen sollen vor allem Investitionen im Bergbau, im Agrar- und Energiesektor gefördert werden – Bereiche, in denen es in Kolumbien immer wieder zu Landkonflikten und Menschenrechtsverletzungen kommt. Das Abkommen werde zu weiteren Inlandsvertreibungen und der Zerschlagung von Gewerkschaften führen, so die Befürchtung. Auch die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Heike Hänsel, die gemeinsam mit Westerwelle in Kolumbien war, forderte, das Abkommen nicht zu ratifizieren.
Weitere Stationen der Reise Westerwelles werden bis Sonntag noch Mexiko und Haiti sein.
Patricia Hecht
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