Nach der Atomkatastrophe in Fukushima: Zonen mit beschränktem Nutzen
Die Innenminister beraten darüber, wie die Bevölkerung vor schweren Atomunfällen geschützt werden soll. Aber die Berater für den Strahlenschutz haben ihnen bisher noch keinen Ratschläge gegeben.
Zweieinhalb Jahre sind seit der Atomkatastrophe in Fukushima vergangen. Aber Änderungen beim Notfallschutz, also dem Schutz der Bevölkerung vor Strahlenbelastungen im Falle eines Atomunfalls, hat es bisher nicht gegeben. Das Thema steht am Freitag auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz. Doch Beschlüsse sind nach Auskunft des bayerischen Innenministeriums nicht zu erwarten. Und das liegt vor allem an der Strahlenschutzkommission (SSK), dem wichtigsten Beratungsgremium des Bundesumweltministeriums. Die SSK hat es bisher nicht geschafft, sich auf Empfehlungen zu einigen, wie die Vorsorge im Katastrophenfall geändert werden müsste, um auf einen mit Fukushima vergleichbaren Unfall vorbereitet zu sein. Und ohne den Rat der Experten wollen die Innenminister nicht entscheiden. Etwas „Druck“ würden sie der SSK aber machen, heißt es in Verhandlungskreisen.
Was bedeutet Fukushima für den Katastrophenschutz?
Schon 2011 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) damit begonnen, über mögliche Konsequenzen aus der Katastrophe in Fukushima nachzudenken. Zu diesem Zweck hat das BfS für zwei mögliche Unfallhergänge anhand realer Wetterdaten aus dem Jahr 2010 Berechnungen darüber angestellt, wie sich die Radioaktivität ausbreiten würde, wenn sie über zwei oder über 15 Tage freigesetzt würde. Für das stillgelegte Atomkraftwerk Unterweser und den Standort Philippsburg, wo ein Reaktor abgeschaltet wurde, der zweite aber bis Ende 2019 weiterlaufen wird, hat das BfS Ausbreitungskarten erstellt. Das wichtigste Ergebnis, das sich auch aus den realen Unfallerfahrungen in Tschernobyl und Fukushima ableiten lässt: Die Ausbreitung verläuft sehr ungleichmäßig. Die in den deutschen Notfallplänen festgelegten drei Zonen rund um ein Atomkraftwerk sind für den Schutz der Bevölkerung nur ein grober Anhaltspunkt.
Bisher planen die Landratsämter in der Nähe von Atomkraftwerken mit drei Zonen: zwei Kilometer, zehn Kilometer und 25 Kilometer um die Anlage. Je nach Verlauf des Unfalls und Informationsstand der Katastrophenschützer wird die Bevölkerung aufgefordert, im Haus zu bleiben, alle unter 45-Jährigen können aufgefordert werden, Jodtabletten zu schlucken; womöglich werden ganze Orte evakuiert. In einem Umkreis von 100 Kilometern müssen Jodtabletten für Kinder und Schwangere vorgehalten werden.
Das BfS schreibt in seiner Studie, dass der Radius je nach Wetterlage und geologischen Gegebenheiten womöglich nicht ausreicht. Die Eingreifwerte könnten viel weiter weg immer noch hoch genug sein, um die Bevölkerung im Haus zu halten oder in sichere Regionen zu bringen. Das gilt vor allem für das Atomkraftwerk Philippsburg, wo entlang des Rheingrabens eine Ausbreitung der Radioaktivität nach Süden und Norden bis zu 170 Kilometer betragen kann, im Zehn-Kilometer-Kreis aber womöglich gar keine Kontaminierung vorläge. Außerdem könnte bei einer länger anhaltenden Freisetzung von Radioaktivität die Einnahme von mehr als einer Jodtablette nötig werden. Auch darauf sind die Behörden nicht vorbereitet.
Die Strahlenschutzkommission berät erst 2014
Das Bundesumweltministerium hat die SSK schon vor mehr als einem Jahr gebeten, auf der Grundlage der BfS-Studie über mögliche neue Vorgaben nachzudenken. Das hat eine SSK-Arbeitsgruppe auch getan und unter anderem vorgeschlagen, die zweite Zone von zehn auf 20 Kilometer zu vergrößern, was viele Kommunen dazu zwingen würde, dafür Evakuierungspläne zu erstellen. Die gesamte Kommission hat darüber noch nicht entschieden, und bei der SSK-Tagung kommende Woche steht das Thema nicht auf der Tagesordnung. Der SSK-Vorsitzende Professor Wolfgang-Ulrich Müller rechnet nicht vor dem Frühjahr 2014 mit einer Befassung.
„Deutschland macht da gerade den Vorreiter“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Die EU-Nachbarn seien „sehr zurückhaltend“. Lediglich die Schweiz arbeitet an neuen Katastrophenschutzplänen. Müller sieht vor allem ein Kommunikationsproblem auf seine Kommission, aber auch auf die Innenminister zukommen. „Wenn man sich auf Szenarien vorbereitet, die extrem unwahrscheinlich sind, werden die Leute doch gleich denken: Aha, das ist also doch möglich.“ Außerdem ist der Katastrophenschutz in Deutschland Ländersache, die Umsetzung aber sogar Sache der Kommunen. Müller befürchtet, dass die Katastrophenschützer vor Ort mit einer „differenzierten Planung“ schnell überfordert sein könnten. Die Innenminister jedenfalls werden wohl erst im Sommer 2014 entscheiden, welche Schlüsse sie aus der Atomkatastrophe in Fukushima für die Notfallplanung ziehen werden.
Dagmar Dehmer
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