Journalist Glenn Greenwald: "Zerstörung von Festplatten ist eine dumme Aktion"
Der Journalist Glenn Greenwald enthüllte den NSA-Skandal um Edward Snowden. Im Interview spricht er über die Festnahme seines Partners am Flughafen Heathrow, neue Veröffentlichungen und die Frage, wie gut sich USB-Sticks verschlüsseln lassen.
ZEIT ONLINE: Ihr Partner David Miranda ist am vergangenen Wochenende neun Stunden lang am Flughafen Heathrow in London verhört worden. Haben Sie da selber noch Lust, international zu verreisen? In die USA zum Beispiel, Ihr Heimatland?
Glenn Greenwald: Das Risiko liegt natürlich auf der Hand. Die USA halten Journalismus für ein Verbrechen, das haben sie sehr klar ausgedrückt. Das war auch schon vor den Ereignissen am vergangenen Wochenende der Fall, aber nach dieser Eskalation ist das Risiko sicherlich noch größer einzuschätzen. Andererseits: Das ist doch mein Heimatland! Die Verfassung garantiert eine freie Presse, und ich habe keine Verbrechen begangen.
ZEIT ONLINE: Also werden Sie demnächst zurück in Ihre Heimat reisen oder nicht?
Greenwald: Wenn die Zeit dafür gekommen ist.
ZEIT ONLINE: Sie leben zurzeit in Rio de Janeiro, und die brasilianische Regierung hat Ihnen kürzlich Schutz vor den USA angeboten. Fast ist ein wenig ironisch, wo ja auch in Brasilien allerlei Übergriffe gegen die Pressefreiheit bekannt sind ...
Greenwald: Nennen Sie mir mal bitte ein Land, wo es keine Probleme mit der Regierung gibt. In Fragen von Asyl oder internationalem Schutz läuft es ja nicht so, dass man sich ein Land sucht, das in jeder Hinsicht perfekt ist. Es geht darum, einen Ort zu finden, an dem man nicht verfolgt wird. Auch die USA, die eine ganze Fülle von Menschenrechtsverletzungen begehen, bieten jedes Jahr Tausenden von Menschen Asyl an.
ZEIT ONLINE: Mal eine ganz praktische Frage. Warum musste Ihr Partner David Miranda Dokumente oder Daten persönlich für Sie von Berlin nach Rio transportieren? Hätte man sie nicht verschlüsseln und über das Internet verschicken können? Dann wäre er in Heathrow vielleicht gar nicht erst festgehalten worden.
Greenwald: Ich will nicht genau erzählen, was er transportiert hat, aber es gibt eine Menge Dinge, die sich für eine solche Übertragung nicht eignen. Man kann keine physischen Gegenstände per Internet verschicken, und bestimmte Dateien sind dafür zu groß. Und dann ist da noch die Sicherheitsfrage. Man meint vielleicht, dass man die Daten bei der Übertragung schützt, aber ganz sicher ist man nie. Die US-Regierung hat eine Riesenmenge Geld und Expertise in das Internet gesteckt, um es unter Kontrolle zu behalten. Also bleibt als einzig sicherer Weg, Dinge persönlich zu überbringen.
ZEIT ONLINE: Das ist allerdings gerade ordentlich schief gegangen. Können Sie jetzt wenigstens ganz sicher sein, dass die Daten auf den beschlagnahmten USB-Sticks oder Festplatten wirklich effektiv geschützt sind?
Greenwald: Nun, wenn ich mich da auf die Dokumente der Vereinigten Staaten beziehen darf, zu denen ich ja Zugang habe, dann kann ich sagen: Die Behörden können offenkundig keine Verschlüsselung knacken, wenn sie richtig angewendet wird. Zumindest nicht auf viele Jahre hinaus. Also fühle ich mich bei verschlüsselten Informationen auf einem USB-Stick viel sicherer, als wenn ich die Daten irgendwo hochlade.
ZEIT ONLINE: Sprich, Sie sind ganz sicher, dass die Polizei oder Geheimdienste keine Daten bei David Miranda beschlagnahmen konnten, auf die sie jetzt Zugang hätten.
Greenwald: Alles, was er mit sich trug, sogar seine rein persönlichen Sachen fürs Studium, war durch Verschlüsselung geschützt, und das halten wir ohnehin immer so.
Zerstörte Festplatten: "Es gibt Kopien davon auf der ganzen Welt"
ZEIT ONLINE: Wie erklären Sie sich dann eigentlich, dass Ihrem Partner überhaupt USB-Sticks abgenommen wurden? Und wie ist es zu erklären, dass bei Ihren Kollegen beim Guardian Festplatten zerstört wurden? Wenn das ohnehin alles verschlüsselt ist und in mehrfacher Kopie an verschiedenen Orten vorliegt, bringt so etwas ja nichts.
Greenwald: So haben sie ja auch beim Guardian argumentiert. Dass dort Festplatten mit Kopien der geheimen Unterlagen zerstört wurden, hat überhaupt nichts geändert. Es gibt Kopien davon an vielen Orten auf der ganzen Welt. Die Zerstörung oder Beschlagnahmung ist also, neben allem anderen, auch noch eine recht dumme Aktion.
ZEIT ONLINE: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es trotzdem gemacht wird?
Greenwald: Ja, Einschüchterung. Beim Guardian genauso wie bei der Festnahme von David. Die wussten, dass das Zerstören von Festplatten nichts ausrichtet, aber das wahre Ziel war Einschüchterung. Und im Fall Davids sagen sie: Wir mussten das tun, um an die Dateien heranzukommen. Aber das hätte sie neun Minuten gekostet, nicht neun Stunden! Sie haben ihn neun Stunden lang dort behalten, weil es in Wirklichkeit um Einschüchterung ging.
ZEIT ONLINE: Ihr Vorgehen ist gerade in Ihrem Heimatland USA extrem umstritten. Sie haben leidenschaftliche Anhänger – und erbitterte Gegner, die sie als Feind der Vereinigten Staaten beschimpfen. Wie gehen Sie mit dieser Polarisierung um?
Greenwald: Es gibt in den USA einen sehr starken autoritären Diskurs, der sich seit 9/11 verstärkt hat. Das Ziel der amerikanischen und britischen Regierung ist es, immer lauter "Terrorismus" zu brüllen, damit die Staatsbürger ihnen immer weitere, unkontrollierte Macht überlassen. Aber das wird nun immer weniger akzeptiert. Es gibt derzeit große Unterstützung für Edward Snowden und für den Journalismus in der ganzen Welt. Es gab zuletzt mehrere Regierungen, die auf diese Ereignisse reagiert haben, indem sie die USA kritisieren. Und die öffentliche Meinung, weltweit gesehen, ist klar auf der Seite von Transparenz und Pflicht zur Rechenschaft.
ZEIT ONLINE: Sie haben einmal gesagt, dass es eine gute Sache sei, dass Edward Snowden sich nicht viel zu Wort melde, damit die Aufmerksamkeit nicht von der eigentlichen Geschichte abgelenkt werde – bei der es um die NSA und die Geheimdienste geht. Jetzt stehen aber Ihre Person und die Ihres Partners im Mittelpunkt. Ist das eine gute Entwicklung?
Greenwald: Man hat nicht auf alles Einfluss. Es ist ja nicht meine Schuld, dass sie meinen Partner verhört haben. Und es ist durchaus Teil der Geschichte, wie gegen den Journalismus und gegen Journalisten vorgegangen wird. Das ist inzwischen ein durchaus sehr wichtiger Teil des Ganzen.
ZEIT ONLINE: Führt aber alles dazu, dass man jetzt umso polarisierter über die Sache redet, und dass einige Ihrer Gegner geradezu eine Kampagne gegen Ihre Person führen.
Greenwald: Jeder, der gegen die größten Mächte auf der Welt aufsteht, wird angegriffen werden. Entweder von diesen Mächten selbst oder von Leuten, die loyal zu ihnen sind. Das lässt sich gar nicht verhindern. Ich werde aber die gleiche Art von Berichterstattung fortsetzen, die ich in den vergangenen Monaten gemacht habe. Am Ende wird das es sein, woran sich die Leute erinnern.
ZEIT ONLINE: Wann werden Sie die nächsten Informationen aus den Unterlagen von Edward Snowden veröffentlichen?
Greenwald: Bald. Wir haben eine Reihe von Dingen fast fertig zum Abdruck.
Das Interview erschien zuerst auf Zeit Online.
Thomas Fischermann