Die EU und Donald Trump: Zeit zum Erwachsenwerden
Die Krise des Westens ist längst auch mitten in der Europäischen Union angekommen. Europa muss nun erwachsen werden, es muss funktionieren - oder es geht kaputt. Ein Kommentar.
Die Rede des neu ins Amt eingeführten US-Präsidenten Donald Trump enthielt eine deutliche Lektion. Wer verstehen will, was die Macht des Populismus ausmacht, konnte die Rhetorik eines Mannes studieren, der sich als Verkörperung eines vermeintlich unteilbaren Volkswillens gegen das Establishment vorstellt. Ist so etwas auch in der EU denkbar? Oder ist Europa ein ewiger Hort von Toleranz von Liberalität, wo Scharfmacher keine Chance haben? Wer so fragt, hat möglicherweise noch nicht das ganze Ausmaß der Krise des Westens verstanden, die längst auch mitten in der EU angekommen ist.
Es ist eine Krise, die unter anderem damit zusammenhängt, dass der Westen sein Wohlstandsversprechen nicht mehr für alle gleichermaßen einlösen kann. Die Wahl von Trump mag das Ergebnis einer außerordentlichen gesellschaftlichen Spaltung in den USA sein. Aber Europa hat zum Hochmut gegenüber den Wählern, die Trump ins Amt brachten, keinen Anlass. Denn auch in der Alten Welt ist der Aufstieg der Populisten wahrscheinlich noch nicht beendet. In Großbritannien folgten Globalisierungsverlierer dem Getrommel von EU-Hassern. Und der Herrschaftsstil rechtskonservativer Regierungen in Polen und Ungarn zeigt, dass auch innerhalb der EU der Radius des liberalen Westens kleiner geworden ist.
Merkel als letzte Verteidigerin des freien Westens? Zu viel der Ehre
Ob die EU langfristig Werte wie Liberalität und Pluralismus hochhält, darauf haben ganz unterschiedliche Politikertypen in der „alten“ und „neuen“ EU entscheidenden Einfluss. Aber auch wenn die „New York Times“ Angela Merkel nach der Wahl Trumps zur „letzten Verteidigerin des freien Westens“ erklärte, so ist das doch zu viel der Ehre für die Kanzlerin. Denn letztlich liegt es in diesem Jahr in der Hand von Millionen Wählern, wie Deutschland und Frankreich künftig regiert werden. Worin die Wahl besteht, verdeutlichte gerade der Auftritt der AfD-Chefin Frauke Petry an der Seite von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des rechtsextremen Front National. Das ungewöhnliche deutsch-französische Treffen gibt einen Vorgeschmack auf den Anti-EU-Wahlkampf, den die beiden Frauen demnächst führen werden. Der gemeinsame Auftritt in Koblenz soll Wählern den Eindruck vermitteln, dass auch die Nationalisten inzwischen den Weg in die Internationalität gefunden haben.
Die Inszenierung Petrys und Le Pens stellt auch eine Kampfansage an Merkel und François Fillon dar – den Mann, der die Rechtsextreme auf ihrem Marsch in den Elysée-Palast stoppen will. Der Kandidat der Konservativen und die Kanzlerin, die sich an diesem Montag in Berlin treffen wollen, kämpfen mit unterschiedlichen Mitteln gegen die Populisten. Während Merkel Maß und Mitte wahren will, fischt Fillon weit rechts. Aber sie teilen die Einsicht, dass ein Zurück zum Nationalstaat keine Vorteile bringt, weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch.
Der Machtwechsel in den USA verstärkt sogar noch den Druck auf die Europäer, gemeinsame Sache zu machen. Es ist schon paradox: Ausgerechnet in einer Zeit, in der die EU von Selbstzweifeln geplagt ist wie nie zuvor, wird von ihr verlangt, erwachsen zu werden. Europa befindet sich in einer Situation, für die Angelsachsen den schönen Ausdruck „make or break“ benutzen: Entweder funktioniert etwas – oder es geht kaputt. Europa muss jetzt beweisen, dass es funktioniert. Oder es ist zum Scheitern verurteilt.