Internet-Konferenz in Berlin: Zehn Thesen zu zehn Jahren re:publica
Ist das Internet gut oder böse? Blöde Frage. Es ist da und verschwindet nicht mehr. Mit den Risiken und Nebenwirkungen müssen wir uns arrangieren.
Die Internet-Konferenz re:publica ist zehn Jahre alt. Es ist die nun größte ihrer Art in Europa. 8000 Gäste sind angereist. „Das Internet ist ein Lebensraum, den es zu verteidigen gilt“, sagte deren Mitgründer Johnny Haeusler zur Eröffnung. Aber was genau wird da verteidigt? Zehn Thesen zu zehn Jahren, nicht alle neu oder originell:
Gefährlich. Hacker machen in der Regel nur Blödsinn, Cyberkrieger hingegen bedrohen die lebenswichtige Infrastruktur moderner Gesellschaften. Ob Gesundheitsdienste, Finanzmärkte, die Strom- und Wasserversorgung: Mit Tastatur und Maus lässt sich größerer Schaden anrichten als mit Panzern und Raketen. Durch „Stuxnet“ wurde bereits erfolgreich ein digitaler Erstschlag geführt.
Enthüllend. Was mit Wikileaks anfing, sich über Edward Snowden und die Panama Papers fortsetzte, viele Steuerhinterzieher und Plagiatoren entlarvte und nun TTIP-Dokumente ans Licht bringt, bestätigt den Trend: Alles kommt heraus, potenziell ist jeder nackt, Geheimhaltung funktioniert nicht mehr. Die Träger der Daten werden immer kleiner und mobiler. „Verrat“ brüllen die einen, „Transparenz“ jubeln die anderen.
Global. Wikileaks und Panama Papers wirken bis in die entlegensten Winkel der Welt. Das Publikum ist um ein Vielfaches größer, als von den Verfassern intendiert worden war. Auch Mohammed-Karikaturen, gezeichnet für eine kleine dänische Zeitung, können Tausende Kilometer entfernt zu Aufständen und Toten führen. Und durch unbedachte Tweets hat sich schon mancher selbst in die Malaise gebracht. Informationsfolgenabschätzung ist noch schwieriger als Technikfolgenabschätzung.
Entzaubernd. Jede Herrschaftsform kann durch gezielte Trivialisierung entblößt werden. Ob Despoten (Arabellion), Lehrer (Spickmich), promovierte Politiker (GuttenPlag) – der Nimbus der Makellosigkeit, an den sich Charisma und Autorität knüpfen, ist gefährdet. Das fördert Zynismus („alle korrupt“) oder das Verzeihen („Ein Zeitalter der Transparenz muss ein Zeitalter des Vergebens sein“, sagt David Weinberger).
Empörungsgewitter entladen sich immer heftiger
Enteignend. Eine große digitale Industrie – sie reicht von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken bis hin zu Tauschbörsen – profitiert von der schnellen und zum Teil bewusst forcierten Erosion geistiger Eigentumsrechte. In die Röhre gucken Künstler, Verlage, Autoren, Musiker und andere, die ihre Tantiemen aus der traditionellen Unterhaltungsbranche beziehen. Die Piraten sind an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig.
Hypererregt. Von den Panama Papers spricht schon keiner mehr. Die TTIP-Klamotte wird übermorgen vergessen sein. Wikileaks-Gründer Julian Assange versucht in regelmäßigen Abständen, auf sich aufmerksam zu machen, was sich längst abgenutzt hat. Enthüllungen, die auf Internet-Funden basieren, haben eine kleine Aufmerksamkeitsspanne. Die Empörungsgewitter entladen sich immer heftiger, immer kürzer.
Mobilisierend. Die Meinungsführerschaft im Internet übernimmt gelegentlich eine anonyme, amorphe Masse (Petitionswesen). Hinzu kommen staatlich oder privatwirtschaftlich organisierte Troll-Armeen. Donald Trump hatte sich schon vor Beginn des Wahlkampfes auf Twitter und Instagram eine Anhängerschaft aufgebaut. Wer die Regeln im Netz kennt und die nötigen Mittel zur Verfügung hat, kann relativ unbegrenzt Debatten steuern, Propaganda verbreiten, manipulieren.
Parteiisch. Im Netz gedeihen Gerüchte und Verschwörungstheorien, es fällt leicht, sich in seine eigene ideologische Welt zurückzuziehen. Das Surfen im Kokon. Über Snowden wird intensiv gestreut, er sei ein russischer Agent. Wikileaks dagegen wirft den USA vor, die Panama Papers finanziert zu haben, um Wladimir Putin zu diskreditieren. Die Pluralität digitaler Realitäten und Weltbilder lässt den „common sense“ schrumpfen, den Gemeinsinn.
Überwachend. Geheimdienste und digitale Industriegiganten sitzen am längeren Hebel. Die Kommunikationswege im Netz sind international, was jemand von sich gibt, kann er nicht mehr kontrollieren. Auf Verschlüsselung folgt Entschlüsselung. Und der Schutz der Privatsphäre? Digitale Kommunikation gleicht eher einem Marktplatzgespräch als einem Brief.
Beschleunigend. Wer schreibt, spuckt in einen riesigen Wörterbrei. Millionen andere tun es auch. Mehr Wörter, mehr Schrift, mehr Gedrucktes war nie. Täglich entsteht eine Bibliothek. Stetig wächst nicht nur die Produktion von Wörtern, Sätzen, Geistesblitzen und Dummheiten, sondern auch deren Umlaufgeschwindigkeit. Die unsichtbare Hand, die den Brei verrührt, hat den Mixer angestellt.