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Asylbewerber in Karlsruhe
© Uwe Anspach/dpa
Update

Gipfel zur Asylpolitik: Zahl der Flüchtlinge aus Albanien steigt deutlich

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seine Prognose über die Asylbewerber deutlich nach oben korrigiert. Es rechnet jetzt mit 400.000 Erstanträgen in diesem Jahr. Die Behörde spricht von einer Migrationswelle aus Albanien.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) begründet seine neue Prognose über eine steigende Zahl von Flüchtlingen vor allem mit einen deutlich wachsenden Zahl von Asylantragstellern aus Albanien. In einem am Donnerstag versandten Brief an die Länder, der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, der schon länger anhaltende Zustrom aus den Westbalkanstaaten sei seit Beginn dieses Jahres "von Antragstellern aus dem Kosovo und neu derzeit aus Albanien dominiert" worden. "Deutschland ist für Staatsangehörige dieser Region Hauptzielland."

Noch 2014 hatten albanische Staatsgehörige demnach 7865 Erst- und 248 Folgeanträge gestellt - zwischen 400 und 900 im Monat. In diesem Jahr seien die Zahlen dramatisch angestiegen, vorläufiger Höhepunkt: der März mit 6300 albanischen Asylsuchenden. Damit kamen in einem Monat aus diesem Mittelmeerland fast so viele Flüchtlinge wie im ganzen Jahr zuvor. Über das Verteilungssystem Easy werden laut BAMF rund 20.000 asylsuchende Personen aus Albanien registriert, es sei mit stark ansteigenden Asylanträgen zu rechnen.

Hintergrund für die "Migrationswelle" ist laut BAMF die "unverändert schlechte wirtschaftliche und soziale Lage in Albanien". Gerüchte über die bereitwillige Aufnahme albanischer Migranten in Westeuropa sowie über gewährte Sozialtransferleistungen erhöhten die Ausreisewilligkeit der Migranten und erleichterten kriminellen Reiseunternehmen zunehmend das Geschäft. Kosovarische Busunternehmen in Albanien würden mittlerweile Reisen nach Deutschland anbieten.

Zahl der Flüchtlinge verdoppelt sich gegenüber 2014

Das BAMF hatte noch im Februar die Zahl der Asylanträge in diesem Jahr auf insgesamt 300.000 prognostiziert, die Länder zweifeln diese Zahl seit Wochen an. In dem Brief an die Länder hebt das Bundesamt die voraussichtliche Zahl der Erstanträge nun offiziell auf 400.000 an, dazu kommen rund 50.000 Folgeantragsteller. Im vergangenen Jahr hatte die Zahl der Asylsuchenden bei rund 200.000 gelegen. Die Verbesserung der Lage bei der Versorgung der Flüchtlinge ist Thema eines Asylgipfels von Bund und Ländern, zu dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für diesen Freitag nach Berlin eingeladen hat.

In dem Brief an die Länder erwähnt das BAMF weiter die wachsende Migration über das Mittelmeer, vor allem in Booten aus Libyen nach Italien. Italien spiele darüber hinaus auch als Ankunftsland von aus Griechenland und der Türkei kommenden Migranten zunehmend eine Rolle. Hier hätten sich im Zeitraum von Jahresanfang bis zum 20. April die Seeanlandungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdreifacht. "Es ist damit zu rechnen, dass der Zustrom auf der Mittelmeerroute anhaltend sein wird", heißt es in dem Brief.

Anreizfaktoren: Hohe Sozialleistungen, gute wirtschaftliche Lage

Ursache für den wachsenden Flüchtlingsstrom sind nach Einschätzung des Bundesamtes auch die Anreizfaktoren in Deutschland. Die gute wirtschaftliche Lage stelle im Zusammenhang mit der anhaltenden Diskussion um die demographische Situation, den Fachkräftemangel und die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland einen gewichtigen Anreiz für Migration dar. Ein weiterer Aspekt seien die - insbesondere im Vergleich zu den meisten anderen Mitgliedsstaaten der EU - hohen Sozialleistungen, die Asylantragsteller während der Dauer des Verfahrens - und nach dessen Abschluss - erhalten würden. Ein "nicht unerhebliches Motiv" bei der Wahl des Ziellandes sei zudem die Verfahrensdauer.

Innenminister de Maizière stellte den Ländern konkrete Vorschläge zur Verbesserung ihrer Lage bei der Versorgung von Flüchtlingen in Aussicht. Wenn man von 400.000 Asylerstanträgen in diesem Jahr ausgehe, "können wir in vielerlei Hinsicht nicht so weitermachen wie bisher", sagte der CDU-Politiker am Mittwochabend in Berlin. Er wolle beim Flüchtlingsgipfel am Freitag einige neue Vorschläge machen. Die bezögen sich "auf Verfahren, auch auf Geld und Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge". Details nannte de Maizière nicht.

Ramelow fordert zwei Milliarden Euro für Länder und Kommunen

Am Flüchtlingsgipfel nehmen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Vertreter ausgewählter Länder teil, die Kommunen sind nicht beteiligt. Der thüringische Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) kritisierte diese Auswahl. "Es ist kein gutes Signal, dass nicht alle Beteiligten am Tisch sitzen", sagte er dem Tagesspiegel. Die Auswahl der Beteiligten sei "mehr als ein Schönheitsfehler". Ramelow forderte zudem "deutlich mehr Unterstützung für die Länder und Kommunen". Im laufenden Jahr seien "zwei Milliarden Euro nötig, damit die Länder Luft zum Atmen haben".

Ramelow sagte weiter: "Auf mittlere Sicht müssen wir das Thema offener diskutieren. Wir brauchen Lösungen, um den Hunderttausenden, die inzwischen hier leben, den Weg zu einem legalen Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Außerdem müssen wir das Instrument der Aufnahme humanitärer Flüchtlingskontingente stärker nutzen." Der Linken-Politiker erklärte: "Das Schlüsselwort heißt Integration."

Integrationsbeauftragte Özoğuz warnt vor "Gefeilsche um Geld"

Konkrete Verabredungen zwischen Bund und Ländern erwartet auch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz. Die SPD-Politikerin sagte dem Tagesspiegel: "Flüchtlingspolitik darf nicht zu einem Gefeilsche um Geld verkommen." Ihr sei es deshalb wichtig, "dass wir endlich klare Strukturen schaffen, statt uns immer nur über die Höhe einer Summe zu verständigen". Özoğuz weiter: "Das heißt, wir müssen uns grundsätzlich darauf verständigen, welche Kosten der Bund sinnvollerweise übernimmt und welche die Länder. Eine solche klare Struktur hätten wir beispielsweise, wenn der Bund die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge von der Erstaufnahme bis zum ersten Entscheid übernehmen würde." Dies würde auch den Druck auf den Bund erhöhen, über die Anträge schneller zu entscheiden, sagte die Politikerin. "Für ebenso sinnvoll halte ich die Übernahme der Gesundheitskosten durch den Bund über eine bundeseinheitliche Regelung und Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber. Mit dieser Chipkarte können Asylbewerber zum Arzt gehen - und zwar ohne vorherige umständliche Beantragung eines Krankenscheins beim Sozialamt. Das ist nicht nur human, sondern auch unbürokratisch."

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