Thailand: Yingluck: Ich weiß nicht, wie ich noch nachgeben könnte
Die Demonstranten in Bangkok wissen, dass sie an der Urne nicht gewinnen können und sind deshalb gegen Neuwahlen. Die Ministerpräsidentin zeigt langsam Nerven. Thailands Wirtschaft und Gesellschaft ändern sich schneller als die politischen Institutionen.
Thailands Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra hat unter Tränen an die Demonstranten in Bangkok appelliert, die Proteste zu beenden und die angesetzte Neuwahl als Lösung zu akzeptieren. „Ich habe schon so viel nachgegeben, ich weiß nicht, wie ich noch weiter nachgeben soll“, sagte sie am Dienstag nach Angaben des Nachrichtenportals „Khao Sod“ auf einer Pressekonferenz. Die Übergangs-Ministerpräsidentin strebt bei der Neuwahl am 2. Februar erneut das Amt der Regierungschefin an. Sie sei von ihrer Partei Pheu Thai als Spitzenkandidatin nominiert worden, berichtete die Zeitung „The Nation“. Bei der Pressekonferenz bracht es schließlicht aus Yingluck heraus: „Der Mob will die ganze Shinawatra-Familie vertreiben, dürfen wir also gar nicht mehr in Thailand bleiben?“ Dann begann sie zu weinen.
Am Montag hatte Yingluck Shinawatra das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angekündigt – sehr zum Ärger der mehr als 100 000 Demonstranten, die am Montag durch die Hauptstadt Bangkok zogen. „Die Regierung ist gegen den Verlust von Menschenleben“, sagte Yingluck Shinawatra. Bei den Protesten sind bisher fünf Menschen getötet und hunderte verletzt worden.
Der Anführer der Proteste, Suthep Thaugsuban, ein früherer Vize-Premier, hat kein Interesse an Neuwahlen. Seit den 1990er Jahren gelang es den alten thailändischen Eliten nicht mehr, eine Wahl zu gewinnen. Deshalb hat Suthep Thaugsuban einen nicht gewählten „Volksrat nach dem Vorbild der DDR“ vorgeschlagen, um das Land aus der Krise zu führen. Marc Saxer, Büroleiter der SPD-nahen Friedrich- Ebert-Stiftung in Bangkok, sagte dem Tagesspiegel: „Inzwischen hat sich die gesamte Opposition von der Demokratie verabschiedet.“ Marco Bünte vom Hamburger Giga-Institut, der in Malaysia an der Monasch-Universität arbeitet, sieht im Versuch, Wahlen gleich ganz abzuschaffen, einen „Ausdruck der mangelnden demokratischen Kultur des Landes“, wie er dem Tagesspiegel sagte.
Marco Bünte beschreibt den Konflikt so: „Im Wesentlichen geht es um Thaksin.“ Yingluck Shinawatras Bruder hatte Thailand bis 2006 regiert, bis das Militär ihn absetzte. „Thaksin und seine Partei haben den Stadt-Land-Gegensatz politisiert“, mit dem Ergebnis, dass seine Partei alle Wahlen gewonnen hat. „Der Landbevölkerung – beziehungsweise der neu entstandenen ländlichen Mittelschicht geht es um demokratische Teilhabe“, sagt Bünte. Dazu gehöre aus deren Sicht auch, dass Geld aus Bangkok in die Provinzen zurückfließt. „Dies ist in den Augen der Bangkoker Elite jedoch Korruption.“
Bünte sagt: „Wenn Gelder in die falsche Richtung fließen, wird das von der jeweils anderen Seite häufig als Korruption bezeichnet. In der thailändischen Geschichte wurde jeder Militärputsch mit überbordender Korruption begründet.“ Auf einen Militärputsch scheinen die Demonstranten auch dieses Mal zu hoffen. Doch bisher verhält sich die Armeeführung neutral. Sie ist aus Sicht von Marc Saxer bisher „der einzige Gewinner“.
Saxer vermutet, dass nicht wenige der Demonstranten, die in Bangkok derzeit auf die Straße gehen, auch 2010 schon zu den Protestierenden gehört haben. Die städtische, Steuer zahlende Mittelschicht wehre sich gegen die ausufernde Korruption im Land. Saxer deutet die Lage in Thailand als „Transformationsschmerz“. Wirtschaft und Gesellschaft, vor allem auf dem Land, hätten sich schnell entwickelt und dramatisch verändert. Die alten thailändischen Eliten empfänden diese neuen Machtzentren jenseits ihrer Kontrolle als Bedrohung, berichtet er. Dabei beherrschten die alten Eliten weiterhin die Justiz und das Militär. Der eigentliche Anlass für die Massendemonstrationen ist Saxers Einschätzung nach der Versuch der Regierung Yingluck, den ebenfalls von der alten Elite beherrschten Senat wählen zu lassen. Das Verfassungsgericht habe diesen Plan kassiert, Yingluck habe aber angekündigt, weder das Urteil noch das Gericht anzuerkennen. „Danach hat die Gewalt und die Stürmung der Ministerien begonnen“, berichtet Saxer.
Oppositionsführer Suthep Thaugsuban, gegen den auch wegen seiner Rolle bei der Niederschlagung der Proteste der Thaksin-Anhänger 2010 mit 90 Toten und 2000 Verletzten ermittelt wird, hat derweil vor dem Verfassungsgericht einen Erfolg erzielt. Das Gericht, das noch ganz in der Hand der alten Eliten ist, hat den Haftbefehl gegen Suthep wegen "Aufruhrs" aufgehoben. Eine Lösung der politischen Krise ist nicht in Sicht. Die Proteste sollen nach Angaben des Wortführers Suthep Thaugsuban bis „zum Sturz des Thaksin-Regimes“ weitergehen. Trete Yingluck nicht bis zum Dienstagabend um 22 Uhr Ortszeit zurück, werde er den nächsten Schritt ankündigen. mit dpa
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