Flüchtlinge in Griechenland: Wut, Hass und Verzweiflung in Idomeni
Der Dresden-Balkan-Konvoi engagiert sich aktuell für Flüchtlinge in der griechischen Grenzstadt Idomeni. Ein Helfer schildert die katastrophale Lage.
Herr Kluttig, Sie sind gerade zurückgekehrt von einem Hilfseinsatz mit dem Dresden-Balkan-Konvoi aus Idomeni. Das ist ein griechisches Grenzdorf, in dem sich die Flüchtlingskrise in den vergangenen Tagen zugespitzt hat. Wie ist die Lage aktuell?
Idomeni ist ein sehr kleiner Ort direkt an der mazedonischen Grenze. Die Einwohner stehen der Situation, dass nahe des Ortes ein Flüchtlingscamp entstanden ist, recht hilflos gegenüber. Das Camp wird inzwischen von 3500 Menschen bewohnt. Die Bevölkerung ist zwar insgesamt sehr hilfsbereit, aber sie kann relativ wenig tun. Wir hatten auch Kontakte mit der Polizei, die uns Lagermöglichkeiten für Hilfsgüter zur Verfügung gestellt hat. Das Flüchtlingscamp ist etwa ein Kilometer vom Ort entfernt, direkt an der ehemaligen Bahnstation…
… weil der Zugverkehr zwischen Thessaloniki und Skopje vor einigen Jahren eingestellt wurde.
Direkt an der Grenze ist nun ein sicherheitsbewehrter Zaun installiert worden. Dahinter patrouilliert die mazedonische Polizei und Armee.
Wer von den Flüchtlingen, die in Idomeni sind, darf über die Grenze?
Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak und Syrien dürfen die Grenze passieren. Die meisten, die in das Lager kommen, sind auch schon registriert worden, sie waren zuvor meist in Lagern in Athen oder anderen Städten Griechenlands. Aber es kommen jeden Tag zu Fuß aus allen möglichen Richtungen weitere Asylsuchende nach Idomeni.
Wie sieht die Perspektive für die aus, die nicht aus Afghanistan, dem Irak oder Syrien kommen?
Von den 3500 Flüchtlingen in Idomeni sind etwa 1500 bereits sehr lange da, Leute aus Pakistan, aus Marokko, aus dem Iran, selbst aus Indien. Auch sie versuchen, die Grenze zu passieren, stecken aber seit Wochen dort fest. Für die ist eigentlich keine Lösung in Sicht, eine sehr unbefriedigende Lage.
Sind das Wirtschaftsflüchtlinge, wie es jedenfalls die Behörden behaupten?
Wirtschaftliche Gründe mögen bei einigen ein Motiv für die Flucht gewesen sein. Aber sie haben ihre Heimat nicht verlassen, weil sie in den reichen Westen wollen, sondern weil sie in ihren Ländern keine Lebensgrundlage mehr sehen. Krieg spielte oder spielt dabei oft eine Rolle.
Unter welchen Bedingungen leben die Asylsuchenden in Idomeni?
Es hapert vorn und hinten. Zum Glück gibt es noch keine Minusgrade, tagsüber scheint derzeit noch die Sonne. Nachts aber ist es nur knapp über null Grad. Die Leute liegen teilweise ohne Obdach auf der blanken Erde oder einem Feld. Sie haben einfache Decken, nur manchmal Schlafsäcke. Die Unterkunftsmöglichkeiten reichen bei weitem nicht aus. Die hygienischen Bedingungen sind äußerst schlecht. Die Leute schlafen im besten Fall in Zelten. Sie haben Hunger. Einige von uns leben inzwischen unter den Flüchtlingen im Camp, auch um für die Sicherheit der von uns mitgebrachten Zelte und Kücheneinrichtung zu sorgen.
Sind auch Flüchtlingsfamilien in Idomeni?
Es gibt auch sehr viele komplette Familien, viele Kinder, manche Großfamilien. Doch überwiegend sind es junge Männer, die wahrscheinlich vorausgeschickt wurden.
Wer hilft?
Es gibt verschiedene Nichtregierungsorganisationen. Der UNHCR ist da, hat Duschen und Toiletten eingerichtet. Aber insgesamt gibt es zu wenig Waschgelegenheiten und Toiletten. Das gesamte Camp ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Es gibt sehr viele Müllberge, obwohl die griechischen Behörden viel unternehmen, um der Probleme Herr zu werden.
Es gab Übergriffe gegen Flüchtlinge – Amnesty International berichtete von Einsätzen mit Tränengas und Gummigeschossen. Wie haben Sie das erlebt?
Die Lage ist sehr angespannt, weil viele Menschen an der Grenze festhängen, für die in Idomeni Schluss ist. Und deshalb ist dort auch sehr viel Wut und Hass, der sich regelmäßig entlädt. Die Leute demonstrieren an der Grenze. Dabei kommt es immer wieder zu Handgreiflichkeiten und Übergriffen zwischen Polizei und Flüchtlingen, die dann immer wieder eskalieren. Es ist sehr viel Wut unterwegs. Die Leute streifen nachts durch das Lager, die Stimmung heizt sich auf. Auch wir als Helfer geraten dann manchmal in unangenehme Situationen, und auch wir fühlten uns ab und an unsicher.
Es wurde versucht, Flüchtlinge mit Bussen nach Athen zu bringen, um sie dort registrieren zu lassen und teilweise auch abzuschieben. Haben sich die Flüchtlinge darauf eingelassen?
Teils, teils. Wir haben Busse nach Athen abfahren sehen. Dort sind auch Leute mitgefahren. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die versuchen, sich dem zu entziehen und über die grüne Grenze nach Mazedonien wollen. Größere Gruppen brechen immer wieder auf, um entlang des Zauns und dann später über das Gebirge nach Norden zu kommen. Wir wurden oft von Flüchtlingen gefragt, was wir ihnen raten würden. Die Hauptfrage: Was können die Leute unternehmen, die dort seit Wochen festhängen? Wir wissen das nicht. Man kann nur sagen: abwarten. Das macht uns dann auch ganz schön hilflos.
Immer wieder gibt es Gerüchte um eine Räumung des Lagers? Wie ernst ist das zu nehmen?
Die Gerüchte haben sich bisher nicht bestätigt, aber sie sind dennoch sehr ernst zu nehmen. Es fehlt an konkreten Informationen. Die örtliche Polizei schweigt. Trotzdem ist eine Räumung des Flüchtlingscamps jederzeit denkbar.
Wie hilft der Dresden-Balkan-Konvoi in Idomeni, was fehlt?
Wir sind sehr froh, dass wir aus Dresden zusammen mit den vor Ort befindlichen Initiativen aus Leipzig und Stuttgart eine Teeküche unterhalten können. Sie ist täglich von acht Uhr an geöffnet. Zum Mittag gibt es dann eine warme Mahlzeit, das hat die Leipziger Initiative auf die Beine gestellt. Nur reicht das halt leider nicht für alle. Einmal kamen nachts mit 30 Bussen 1500 Leute. In einem solchen Moment platzt das Lager aus allen Nähten, die Versorgungslage bricht schlicht zusammen. Wir haben aus Dresden warme Kleidung und Schuhe mitgebracht, auch Zelte und Schlafsäcke. Kleidung ist jetzt sehr viel da. Ein großer Konvoi kam aus den Niederlanden und hat Spenden gebracht. Vor allem an Zelten und Schlafsäcken fehlt es noch. Viel zu viele in Idomeni schlafen unter freiem Himmel, und der Winter steht unmittelbar bevor. Was jetzt besonders gebraucht wird, sind Menschen vor Ort, die mit anpacken und die Versorgungslage aufrechterhalten. Jede helfende Hand in Idomeni ist überlebenswichtig.
Thomas Kluttig (47) ist Kulturmanager in Dresden. Er war als freiwilliger Helfer im Einsatz für den Dresden-Balkan-Konvoi. Die Initiative bittet um Spenden an Kulturbüro Dresden, Verwendungszweck "Spende Dresden-Balkan-Konvoi 2015", IBAN DE54 8502 0500 0003 6007 04, BIC BFSWDE33DRE. Das Interview führte Matthias Meisner.