Albtraum Wahl: Wovon träumen die Parteien nachts?
Traumergebnisse will jede Partei. Aber es lauert die dunkle Seite der Möglichkeiten. Wir zeigen sie, die Schrecken der Schrecken, den Albtraum Wahl.
Jede Partei erhofft sich nicht nur bei der Bundestagswahl am 24. September ein Traumergebnis und die Chance für ihre Wunschkoalition. Aber es kann auch ganz schlimm kommen. Die Albträume der Parteien können Sie hier nachlesen.
Die Linke oder: Oppositiön ist schön
Merzig/Saar, Ortsteil Silwingen. Ein Schlafzimmer. Nachts. Die Uhr: Tickt.
„Sahra, schläfst Du?“
„Hmmmrn...“
„Sahra, wach’ auf, bitte!“
„Wasnlos!?“
„Und wenn der Schulz doch genug Stimmen kriegt?“
„Oskar! Wie oft hab’ ich dir schon gesagt, das wird nichts mit Rot-Rot-Grün! Das tun wir dir nicht an. Nicht, so lange ich da den Ton angebe. Und außerdem kriegt dieser Filzpantoffel Schulz nicht genug. Jetzt schlaf’!“
Die Uhr: Tickt.
„Bist Du sicher?“
„Jaaa!“
Man hat ihn vor der Saarland-Wahl mit Behagen in die Zukunft blicken sehen, den Oskar Lafontaine. Der Schulz- Effekt ließ die SPD träumen und den Chef der lokalen Linkspartei gleich mit. Der Oskar ist jetzt 73. Da kann man Feindschaft nicht ewig pflegen. Und so hat er großmütig erkennen lassen, dass er den Bann gegen seine alte Partei aufheben und den Sozialdemokraten im kleinsten Flächenland zur Macht verhelfen würde.
Nach der Saarland-Wahl hat der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hastig seinen Vorab-Segen für ein rot-rot-grünes Bündnis einkassiert. Nach den Umfragen wird’s ja auch nichts. Sogar dem CSU-Generalsekretär Andi Scheuer ist es zu blöd geworden, vor einer Regierung von Sahra Wagenknechts Gnaden zu warnen.
Saarland. Immer noch nachts. Die Uhr: Tickt.
„Aber ... Schatzi ... wenn doch??“
„Oskar!!“
FDP oder: Oh Mist, wir regieren
Der Mann schaut nach unten, sinnend, sich besinnend; vielleicht ein ganz leichtes Lächeln im Mundwinkel? Schwer zu sagen. So blütenweiß das Hemd, so unschuldig! „Ungeduld ist auch eine Tugend“, behauptet der Wahlkampfspruch. Wetten, dass dieser Christian Lindner in der nächsten Plakatstaffel aufblicken wird?
Dem Bürger ins Auge und mitten in die Seele hinein: Du willst es doch auch, Wähler, dass ich die Freie Demokratische Partei heimführe an die Fleischtöpfe der Abgeordnetendiäten ... nein, halt, falsch, sofort löschen! Es geht um die hehren Prinzipien der Freien Demokratischen Marktwirtschaft und um vier Jahre lustige Opposition, dann bin ich erst 42 und kann immer noch Dreitagebart tragen.
Doch der Wähler, wenn es ihm gefällt, durchkreuzt den schönen Plan. Wahlabend, 18 Uhr: Klarer Sieg für CDU und CSU ... und – es reicht für Schwarz-Gelb! Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus kratzt sich das Parteipräsidium die Köpfe. Hm. Keiner guckt den anderen an. Ein falscher Blick, schwupps, biste designierter Minister für Irgendwas. Nur Hermann Otto Solms erklärt sich bereit. Sicherheitshalber fragt keiner, wozu.
Die Generalsekretärin Nicola Beer schnippst auch mit den Fingern. Alle stellen sich taub. Der Bundesgeschäftsführer blättert unterm Tisch durch die Liste mit den Bundestagsabgeordneten. Neuling. Neuling. Neuling. Noch’n Neuling.
Das blütenweiße Hemd am Kopfende aber zeigt auf einmal Schwitzflecken, und auf dem Gesicht darüber zeichnet sich eine einzige bange Frage ab: Ich, Vizekanzler ... mit dieser ... Gurkentruppe?
Die Grünen oder: Welche Grünen?
Nein, hat der Parteienforscher gesagt, nein, Frau Göring-Eckardt, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wirklich nicht. Was ist denn bloß los bei Ihnen? Der Jürgen Trittin hat vorhin auch schon ganz aufgelöst angerufen. Und gestern war der Cem Özdemir am Hörer, den hab’ ich aber nicht richtig verstanden, weil er vor lauter Hektik geschwäbelt hat wie ... also wie ein Schwabe eben.
So, jetzt aber noch mal zu Ihrer Frage. Nein, die Grünen müssen keine Angst haben wegen dieser einen Umfrage. Alle verfügbaren Daten weisen auf eine stabile Stammwählerschaft von ... Entschuldigung, was sagen Sie? Das weiß ich auch, dass Sie 1990 schon mal aus dem Bundestag geflogen sind. Ja, heftig, genau.
Aber ich bitte Sie, das war doch eine andere Zeit! Die Leute liefen alle dem Kanzler der Einheit hinterher, für Anti-Atom-Proteste interessierte sich kein Schwein ... bitte? Dafür interessiert sich heute auch kein Schwein mehr, und die Leute laufen alle der Kanzlerin der Alternativlosigkeit hinterher?
Jaja, sicher, so bestimmte Parallelen ... Moment mal eben, ich muss kurz ans Handy, das klingelt hier schon die ganze Zeit. Hallo? Ach, Herr Kretschmann! Darf ich Sie gleich zurückrufen, ich habe gerade ein Gespräch am Festnetz. Ja, gerne, bitte, danke, bis gleich.
Hallo, Frau Göring-Eckardt? Jetzt bin ich wieder da. Wo waren wir stehen geblieben ... ach so, ja, die Kanzlerin. Ich meine, nur mal so unter uns: Beim letzten Mal vor vier Jahren hat die Ihnen ja ein Angebot gemacht, das hätte ich an Ihrer Stelle vielleicht lieber angenommen. So was kriegt man nicht so oft. Aber gut, Sie müssen selber wissen, was Sie nicht wollen.
Um es zusammenzufassen: Nein, die Grünen werden nach allen verfügbaren demoskopischen Daten nicht unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen. Ob wir uns schon mal geirrt haben? Äh ... manchmal ... aber in diesem Fall ... hallo? Hallo?
Einfach aufgelegt. Also so was!
Die SPD oder: Ach, lieb’s Vaterland
Schwer würselt sich Martin Schulz in seinem Bett hin und her. Das geht seit Wochen so. Dabei kriegt er schon wenig Schlaf. In aller Herrgottsfrühe auf dem Smartphone nachgucken, was Siggi und der Schröder schon wieder anstellen. Frühstücken, Zähne putzen, draußen wartet der Fahrer. Erster Termin: „Auf ein Lied mit Martin Schulz“ im Seniorenheim „Glück auf“ Recklinghausen-Hochlarmark. Starker Beifall. Na bitte, die Basis steht! Rollator hin oder her.
Danach Interview beim „Recklinghäuser Kreisboten“. Siggi hat gestern gesagt, ich muss unbedingt die Sache mit dem Zwei-Prozent-Nato-Ziel stark machen. „Mit uns wird es keine derart schrankenlose Aufrüstung geben wie die Bundeskanzlerin auch keine ankündigt ... nee, so könnense das nicht drucken, ja, die Müdigkeit ...“ Konzentrieren, Martin! Du wirst Kanzler!
Aber jede Nacht erscheint SIE ihm, riesengroß, sardonisch lächelnd. „Lieber Herr Schulz, wir kenn’ uns doch schon so lange“, sagt SIE. „Ich und Sie, wir sind doch vernünftige Leute. Unser Vaterland braucht Stabilität gerade in diesen Zeiten. Und soo schlimm waren die vier Jahre doch nun wirklich nicht!
Was sagen Sie? Die SPD-Basis? Ach gehnse mir weg mit der Basis! Der Siggi hat mir damit letztes Mal schon im Ohr gelegen, und dann war’s gar kein Problem. Ich würd’ ja sogar sagen ... sehnse, die ham Ihnen doch 100 Prozent gegeben. Lieber Herr Schulz, was wollen die – die SPD sind doch jetzt quasi Sie! Das kann man so nicht ... ach, sind wir genierlich heute? Soll ich lieber jetzt sofort die Göring-Eckardt und den Lindner anrufen?“
Und immer trägt sie diese gelbe Hose und das grünes Jacket, und von irgendwoher dudelt Bob Marley. Schwer wälzt sich Martin Schulz in seinem Bett.
CDU/CSU oder: Einen überm Durst
Rückblende:
Es war vor vier Jahren. Angela Merkel saß vor dem Fernseher im Konrad-Adenauer-Haus und verfolgte die Hochrechnungen, da malten auf einmal die bunten Balken die Katastrophe auf den Schirm. „Oh nein, Scheiße!“ entfuhr es ihr. Absolute Mehrheit? Bloß nicht! So viele Umgehungsstraßen kann sie gar nicht bauen lassen, damit jeder Hinterbänkler bei jeder Abstimmung bei der Stange bleibt. Und erst der Horst – einziger Koalitionspartner, „Bavaria first“ von früh bis spät!
Vorschau:
Es ist der 24. September 2017. Angela Merkel sitzt vor dem Fernseher im Konrad-Adenauer-Haus und verfolgt die Hochrechnungen, da malen auf einmal die bunten Balken die Katastrophe auf den Schirm. „Die Union hat nicht nur einen klaren Sieg eingefahren“, sagt der Mann im Fernsehstudio, „sie kann nach unserer jüngsten Hochrechnung auch in einem klassischen Zweier-Bündnis regieren.
Wir zeigen Ihnen das gleich in der Sitzverteilung ... hier sehen Sie es: Schwarz-Gelb hätte nach dem derzeitigen Stand genau eine Stimme Mehrheit im künftigen Bundestag.“
Merkel sackt zusammen. Wie ihr dieser öffentlich-rechtliche Zahlenfuzzi auf den Nerv geht! Kann mal einer den Jung von der Forschungsgruppe Wahlen anrufen? Hat der Altmaier schon? Das ist bombensicher? Ach du ...
Hinten im Raum schaffen sie leise klirrend die Pulle Rotkäppchen halbtrocken raus. Peter Tauber forscht diskret per Twitter nach, ob irgendwo ein Schnaps im Haus ist.
Merkels Handy klingelt. Der Lindner ist dran: Sie hätten doch bei der CDU so gute Erfahrung aus Niedersachsen – ob sie nicht auf die Schnelle einen CDU-Bundestagsabgeordneten zu den Grünen überlaufen lassen könnten? Hm. Interessanter Vorschlag. Gleich mal Horst anrufen.
Horst geht nicht dran.
Na typisch.