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Bundeskanzlerin Merkel, SPD-Chef Gabriel, Frankreichs Präsident Hollande, Bundespräsident Gauck und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Kraft verfolgten den Festakt in Reihe eins.
© Reuters

150. Jubiläum der SPD: Worte, Tränen und eine Ode

Alle sind sie gekommen, zum Festakt zum 150. Geburtstag der SPD in Leipzig. Gauck, Hollande und Gabriel setzen eigene Akzente. Und selbst die Kanzlerin ist in Feierstimmung.

Plötzlich gegen den Strom schwimmen und alle überraschen, das kann Sigmar Gabriel. Kaum ist der SPD-Vorsitzende am Donnerstagmittag im Leipziger Gewandhaus aufs Podium getreten, bricht er mit nur zwei Sätzen die gravitätische und erhabene Stimmung, die in einer Feierstunde zum 150. Geburtstag der ältesten deutschen Partei mit wichtigen Reden wohl aufkommen muss.

Gerade sind die ehemaligen Breakdance-Weltmeister von den „Flying Steps“ mit Rückwärtssalti und Kopfstandpirouetten zu fetziger Musik über die Bühne gewirbelt, da sagt der bekanntlich nicht eben schlanke Gabriel trocken: „François Hollande meint, ich soll das jetzt auch machen.“ Und fügt nach einer Kunstpause hinzu: „Ich mach’s nur, wenn Frau Merkel mitmacht.“

Eine ungewöhnliche Versammlung ist zum 150. Geburtstag der SPD zusammen gekommen

Da lachen die 1600 Gäste auf den Rängen des Konzerthauses und auch die in der ersten Reihe, wo an diesem Tag eine ungewöhnliche Versammlung Platz genommen hat. Der französische Präsident und Sozialist François Hollande sitzt dort neben Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie Spitzenrepräsentanten der Verfassungsorgane und des Europaparlaments, das der Sozialdemokrat Martin Schulz vertritt. Ganz rechts außen schauen die Altkanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu. Der darf erleben, wie er für seine Reformen gelobt wird.

Das deutsche Staatsoberhaupt tut das, auch wenn Joachim Gauck weder Schröder noch dessen Agenda 2010 ausdrücklich beim Namen nennt. Manchmal gelinge es Parteien sogar, „gerade den eigenen Wählern Zumutungen aufzuerlegen, mit Entscheidungen, die bisherigen Linien oder kurzfristigen Parteiinteressen widersprechen“, meint der Bundespräsident. Das sei zwar parteiintern nicht populär. „Aber wir haben es erlebt: Gerade solche Entscheidungen waren oftmals verantwortungsbewusste Entscheidungen für das ganze Land.“

Hollande will das Jubiläum der SPD feiern - und sich nicht in den Wahlkampf einmischen

Aus dem Lebensweg Gaucks ist es folgerichtig, dass er in der Frühgeschichte der SPD besonders die Absage an den revolutionären Umsturz und an die Klassendiktatur der Arbeiter hervorhebt, dass er ihren Kampf für die parlamentarische Demokratie würdigt und die spätere Abgrenzung der Partei gegenüber dem Kommunismus. Wie alle Redner erinnert der Bundespräsident an den Auftritt von Otto Wels gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz im März 1933. Als er den verstorbenen Peter Struck mit dem Satz zitiert, Wels’ Nein sei „die mutigste Rede, die je in einem deutschen Parlament gehalten wurde“, klatscht der Saal spontan.

Dann tritt Hollande auf die Bühne, als Staatspräsident, wie er sagt, aber „auch als Sozialist und als Europäer“. Als die SPD ihn im vergangenen Jahr einlud, verband sie damit noch die Hoffnung, gemeinsam Stärke zu demonstrieren. Doch die Mehrzahl der Deutschen weiß im Wahljahr wohl, dass der Präsident bei seinen Bürgern wenig Achtung genießt und schwer mit den Schulden und der schlechten Wettbewerbsfähigkeit seines Landes kämpft. Im Vorfeld hat er zudem versprochen, dass er sich nicht in den deutschen Wahlkampf einmischen wolle.

Die SPD als Rückgrat der deutschen Demokratie

Das macht er dann auch nicht, große Worte findet er trotzdem: Die SPD sei nicht nur eine prägende Kraft für Deutschland, sondern für ganz Europa. Auch der Sozialist lobt Schröder: „Der Fortschritt besteht auch darin, dass man in schwierigen Phasen Entscheidungen trifft, um Arbeitsplätze zu erhalten.“ Diese Reformpolitik erlaube es Deutschland heute, „die Nase vorn zu haben“. Ob er selbst zu ähnlichen Mitteln greifen will, lässt er offen und betont stattdessen, dass von Deutschland auf Frankreich „nicht alles übertragbar ist“. Auch seine Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung spricht er an. Fast in Kennedy-Manier schließt der Präsident dann mit deutschen Sätzen: „Es lebe Deutschland, es lebe Frankreich, es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Danke schön!“ Da rührt auch die Kanzlerin wieder heftig die Hände.

Das ändert sich, als Gabriel seine Partei nicht nur als „Rückgrat der deutschen Demokratie“ würdigt, sondern auch soziale Missstände in Deutschland beklagt und in einer kleinen Spitze gegen Merkel ihre Rüstungsexporte rügt. Er wolle ein friedfertiges Deutschland, das „weniger Waffen in die Welt bringt und nicht immer mehr“, ruft er. Die Kanzlerin verschränkt die Arme. Gerührt sind viele Gäste, als der Parteichef mit Luise Nordhold, Herbert Pietschmann und Johannes Geerken dann drei Ehrengäste begrüßt, die als Sozialdemokraten die Nazi-Zeit überstanden haben und mehr als 80 Jahre in der Partei sind. Luise Nordhold muss sich eine Träne aus dem Auge wischen, auch die Kanzlerin klatscht wieder. Zum Abschluss ertönt im Gewandhaus Beethovens Ode an die Freude, bevor draußen dann noch lange weitergefeiert wird.

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