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Für Boris Johnson ist es wichtig, dass die Fangrechte britischer Fischer in den eigenen Gewässern ausgeweitet werden.
© dpa
Update

Vor Gespräch Johnsons mit von der Leyen: Woran die Verhandlungen um den Brexit zu scheitern drohen

Die EU und Großbritannien können sich noch nicht auf ihre zukünftigen Beziehungen verständigen. Nun muss es ein Telefonat der Spitzenpolitiker richten.

Zurzeit wollen beide Seiten nicht miteinander reden – die Brexit-Gespräche wurden unterbrochen. Als Mitte der Woche zu abendlicher Stunde Pizzas an die Verhandlungsteams der Briten und der EU in London geliefert wurden, keimte die Hoffnung auf einen baldigen Durchbruch noch auf.

Am Freitag versuchte der EU-Chefverhandler Michel Barnier in der britischen Hauptstadt zwar, den geplanten Handelsvertrag mit dem Vereinigten Königreich über die Ziellinie zu bringen, doch mit zunehmender Gesprächsdauer nahm auch der Theaterdonner auf beiden Seiten zu.

Barniers Mühen halfen nicht – und gegen Abend waren die Gespräche über einen Brexit-Handelspakt in London unterbrochen worden. Nach einer Woche intensiver Verhandlungen in London sei gemeinsam mit dem britischen Unterhändler David Frost entschieden worden, „dass die Bedingungen für eine Einigung nicht erfüllt sind“, schrieb Barnier auf Twitter.

Bei einem für den späten Nachmittag (17.30 Uhr) geplanten Telefonat von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Premierminister Boris Johnson gehe es darum zu analysieren, wie man die Gespräche wieder in Gang bekommen könnte. Echte Verhandlungen der beiden oder Angebote der EU seien nicht zu erwarten.

95 Prozent des Vertrages sind dem Vernehmen nach fertig. Auf den letzten Metern der Gespräche, die zum Erliegen gekommen sind, kristallisieren sich allerdings noch einmal jene drei Konfliktthemen, an denen sich die Verhandler schon die ganze Zeit in den Gesprächen seit März abgearbeitet haben:

  • Fischerei
  • faire Wettbewerbsbedingungen
  • der künftige Mechanismus für die Streitschlichtung zwischen Brüssel und London

Für Großbritannien ist die Fischerei wirtschaftlich unbedeutend

Obwohl die Fischerei weniger als 0,1 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht, gilt insbesondere der Streit um die Fangrechte als Prestigethema auf beiden Seiten. Gegenwärtig fangen französische Fischer beispielsweise 80 Prozent des Kabeljaus im Ärmelkanal. Für den Londoner Regierungschef Boris Johnson gilt es als unerlässlich, nach dem Brexit vom vergangenen Januar die Fangrechte britischer Fischer in den eigenen Gewässern erheblich auszuweiten.

Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune.
Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune.
© REUTERS

Immer noch liegen die Positionen der EU und Großbritanniens weit auseinander: Barnier verlangte, dass die EU-Trawler weiterhin einen erheblichen Teil der Fische aus den britischen Gewässern holen dürfen - nämlich 80 Prozent des Werts der Fänge aus Vor-Brexit-Zeiten. Nach der Ansicht von Barniers Kollegen David Frost soll die Schwelle hingegen lediglich bei 40 Prozent liegen.

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Mehrere EU-Staaten befürchten, dass Barnier in dem Bemühen, einen Handelsdeal endlich in trockene Tücher zu bringen, zu große Zugeständnisse macht. Vor allem Frankreich, Belgien, die Niederlande und Dänemark pochen darauf, dass der Zugang der EU-Fischereiflotten zu britischen Gewässern zu einem Gutteil erhalten bleibt.

Johnson steht unter dem Druck der Brexiteers

Der französische Europastaatssekretär Clément Beaune drohte vorsorglich schon einmal mit einer Blockade des geplanten Abkommens. „Wenn eine Vereinbarung herauskommt, die nicht gut ist, werden wir uns dem entgegenstellen“, sagte Beaune dem Radiosender „Europe 1“. Jedes der 27 EU-Länder habe ein Vetorecht, erläuterte Beaune.

Unter Druck steht allerdings auch Johnson, der den Brexiteers am Ende ein Ergebnis präsentieren muss, das eine Wiedererlangung britischer Souveränität markiert, auch wenn die Insel mit einem Abkommen ab dem 1. Januar 2021 mit der EU wirtschaftlich mehr oder weniger verbunden bleibt.

Zusätzlich kompliziert werden die Gespräche durch ein in London geplantes Finanzgesetz, mit dem ein Teil des bereits beschlossenen Austrittsabkommens wieder ausgehebelt werden könnte. Das Gesetz würde den Briten entgegen den Bestimmungen des Austrittsvertrages die Möglichkeit geben, den Handel mit Nordirland nach eigenem Gusto zu betreiben.

Der politische Test für einen möglichen Deal, der am Wochenende zwischen Johnson und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen finalisiert werden könnte, steht in der nächsten Phase an. In London bräuchte der Handelsvertrag im Fall einer Einigung den Segen des Kabinetts. Und in Brüssel müssten vor der Ratifizierung durch das Europaparlament die Vertreter der EU-Staaten ihre Zustimmung geben.

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