EU-Gipfel: Wohin steuert die europäische Flüchtlingspolitik?
Nicht nur bei der Wirtschaftspolitik prallen beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Auch beim Thema Flüchtlinge sind sich die EU-Staaten nicht einig - vor allem Italien hat hohe Erwartungen an das Treffen.
Vor dem EU-Gipfel richtete Italiens Regierungschef Matteo Renzi einen Appell an seine europäischen Amtskollegen, ihre Länder müssten mehr zur Rettung zehntausender Bootsflüchtlinge tun, die ihr Leben auf dem Weg über das Mittelmeer riskieren.
Italien fordert – zusammen mit anderen Mittelmeer-Anrainern wie Spanien, Griechenland und Malta – schon seit Jahren eine Änderung der Dublin-II-Bestimmungen. Diese sehen vor, dass dasjenige Land für das Asylverfahren und damit auch für die Betreuung zuständig ist, in welchem ein Flüchtling zum ersten Mal europäischen Boden betritt.
Vor dem Parlament in Rom kündigte Renzi an, er wolle beim Gipfel ein europäisches Mandat zur Rettung von Bootsflüchtlingen vorschlagen. Konkret würde das bedeuten, dass die europäische Grenzschutzagentur Frontex jene Aufgaben übernehmen soll, die Italien seit Oktober mit der Mission „Mare Nostrum“ übernommen hat. Nach der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa im vergangenen Herbst hatte Italien die Operation begonnen. Dank des Einsatzes sind seit Januar rund 50 000 Flüchtlinge gerettet worden. Zum Vergleich: 2013 waren es genauso viele Menschen, die mit Booten das europäische Festland erreichten – über zwölf Monate verteilt. Die Mission kostet Italien 9,5 Millionen Euro pro Monat.
Schlepperbanden stellen oft nur seeuntüchtige Schiffe zur Verfügung
Wie dramatisch mittlerweile die Flüchtlingssituation ist, zeigt eine neue Studie der Kinderrechtsorganisation „Save the Children“. Der Report verdeutlicht, dass die Schutzsuchenden bei der Flucht über den Seeweg ein hohes Risiko in Kauf nehmen. Schlepperbanden stellen oft nur seeuntüchtige Schiffe zur Verfügung – und nehmen dennoch für die Überfahrt nach Italien zwischen 1500 und 3000 Dollar pro Person. Unter extremen Bedingungen kann eine derartige „Reise“ bis zu 15 Tagen dauern, einschließlich großer Gefahren. Überlebende berichten von beängstigenden Beinah-Unfällen, zu wenig Lebensmitteln und Trinkwasser. Oft ist die Wartezeit bis zur Rettung aus Seenot eine traumatische Erfahrung. Wenn es die Menschen überhaupt bis in einen sicheren Hafen schaffen: Allein in diesem Jahr hat die Flucht über das Mittelmeer Hunderte das Leben gekostet.
Besorgniserregend ist vor allem die Lage der Kinder
„Auf der Suche nach Schutz und Sicherheit müssen Familien extreme Notlagen, Ausbeutung und Diskriminierung in anderen Ländern überstehen, bevor sie sich trotz der Lebensgefahr zur Flucht über die See entschließen“, betont Carlotta Bellini, Kinderschutzbeauftragte von Save the Children Italien. Besorgniserregend ist nach der Auffassung der Organisation vor allem die Lage der Kinder. Denn immer häufiger werden sie allein auf die weite Fahrt nach Europa geschickt. Das gilt insbesondere für syrische Familien. Zwischen August und Oktober 2013 landeten mehr als 9300 Menschen aus dem Bürgerkriegsland an der italienischen Küste. Darunter waren 1400 Kinder – viele von ihnen ohne jede Begleitung.
Dennoch werden auch Minderjährige häufig inhaftiert, wenn ihr Aufenthaltsstatus nicht klar ist. Aus Sicht von Save the Children ein Unding. Deshalb müsse auf dem EU-Gipfel auch über einen verbesserten Schutz von Kinderflüchtlingen geredet werden, fordert die Hilfsorganisation. Und über ein deutlich großzügigeres Aufnahmeprogramm für schutzbedürftige Syrer.
Bei der Vorstellung des Programms für die am 1. Juli beginnende italienische EU-Ratspräsidentschaft hat Renzi erklärt: „Ein Europa, das beim Fang von Thunfischen alles bis ins letzte Detail vorschreibt, aber wegschaut, wenn im Meer Tote schwimmen, verhält sich unwürdig.“ In der EU-Kommission wird allerdings der Eindruck zurückgewiesen, dass Italien bei der Aufnahme von Flüchtlingen mehr tue als andere EU-Länder. Pro 1000 Einwohner nimmt Italien weit weniger Asylbewerber auf als andere Länder wie Malta, Schweden, Luxemburg, Belgien und Österreich. (mit dsr)