Streit um Familienpolitik: Wohin mit der Milliarde vom Betreuungsgeld?
Weil das Betreuungsgeld verfassungswidrig ist, hat der Finanzminister viel Geld übrig. Soll er damit das Familienressort stärken? Ein Kommentar.
Das war endlich mal eine gute Nachricht. Erstmals seit zehn Jahren wurden 2014 in Deutschland wieder mehr als 700.000 Kinder geboren, teilten die Statistiker Ende August mit. Dass die Zahl der Neugeborenen in diesem Zeitraum um fast fünf Prozent stieg, darüber freuten sich Politiker aller Parteien. Zehn Tage später streitet die Koalition wieder um die Familienpolitik.
Weil das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld gestoppt hat, kann Finanzminister Wolfgang Schäuble bald über rund eine Milliarde Euro jährlich neu verfügen. Die Leistung wird zwar nicht mehr bewilligt, aber auch keiner Familie gestrichen, die sie schon bezogen und sich auf die 150 Euro monatlich verlassen hat. Die volle Summe wird erst in zwei Jahren frei.
Gleich mit zwei Gegnern aus den Koalitionsreihen muss der Finanzminister sich dabei auseinandersetzen. Die sozialdemokratische Familienministerin Manuela Schwesig reklamiert das Geld für Eltern und Kinder und will es in den Kita- Ausbau stecken. Die CSU, deren Erfindung und Lieblingsprojekt das in Karlsruhe gestoppte Betreuungsgeld noch immer ist, will die Leistung dagegen nun auf Landesebene auszahlen – Schäuble soll gefälligst das Geld dafür überweisen.
Mit der gleichen Forderung ziehen auch die CDU-Spitzenkandidaten der wichtigsten Landtagswahlen im kommenden Jahr in die Schlacht, Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz und Guido Wolf in Baden-Württemberg. Dumm nur, dass die Bundes-CDU diese Position bisher nicht unterstützt. Die Mehrheit der Deutschen lehnt das Betreuungsgeld nämlich ab. Unglücklich auch, dass Schäuble offenbar ganz andere Pläne mit der Milliarde hat. Er will Lücken stopfen, die sich auftun – unter anderem beim Elterngeld, das attraktiver ist, als seine Architekten es sich erhofft hatten.
Es geht auch ums Prestige
Aber auch das Verlangen von Manuela Schwesig ist logisch nicht ganz nachvollziehbar. Warum sollen die Mittel für eine Leistung, die von der SPD immer heftig bekämpft wurde, nicht an den allgemeinen Haushalt zurückfallen? Es mag gute Gründe geben, das Geld für Familien auszugeben. Aber die Familienministerin muss sich mit ihrem Verlangen schlicht wieder dem Wettbewerb aller Ressorts bei der Verteilung der Milliardenüberschüsse aus Schäubles Haushalt stellen. Dabei ist jedem klar, dass die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge sehr viel Geld kosten wird.
Der CSU geht es ohnehin nicht nur um Finanzen, sondern vor allem um das eigene Prestige. Das Versprechen eines Betreuungsgeldes war vor vielen Jahren der Preis dafür, dass die CSU trotz ihres traditionellen Familienbildes den massiven Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung mittrug. Nun schmerzt die Wunde, CDU und SPD sollen der bayerischen Andersartigkeit gefälligst Respekt zollen.
Eines ist tröstlich: Der Ausgang des Streits wird die deutsche Familienpolitik nicht umwerfen. Ihr Aufbruch, der mit dem Kita-Ausbau begann, zeigt Wirkung. Das beweisen die neuen Väter, die Elternzeit nehmen, die vielen Mütter, die anders als vor zehn Jahren in ihre Jobs zurückkehren – und nicht zuletzt auch die vielen Neugeborenen aus der jüngsten Statistik. Aber auch für die Familienpolitik gilt: Stillstand ist keine Option. Deshalb muss es bei der Betreuung künftig nicht nur um Zahlen, sondern um mehr Qualität gehen. Umsonst ist Qualität aber nicht zu haben.