Kernkraft: Wo in Deutschland der Atommüll lagert
Rostende Tonnen, strahlende Druckbehälter: Eine Bestandsaufnahme von Umweltschützern listet auf 270 Seiten erstmals detailliert alle deutschen Atommüll-Standorte auf.
„Es gibt nicht ein Atommüllproblem, das man an einen einzelnen Standort delegieren kann, sondern es gibt eine Vielzahl von Problemen im ganzen Land“, sagt Ursula Schönberger. „Jeder und jede“ sei unmittelbar davon betroffen. Mit Peter Dickel von der atomkraftkritischen Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad legte die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete am Dienstag die bislang wohl umfassendste Bestandsaufnahme von radioaktiven Abfällen in Deutschland vor.
Der schlicht mit „Atommüll“ betitelte Bericht listet nach Bundesländern unterteilt auf rund 270 Seiten alle bekannten Orte auf, an denen Kernbrennstoff produziert wird und an denen radioaktive Abfälle entstehen oder vorhanden sind. Dazu zählen die stillgelegten und noch laufenden Atomkraftwerke, die Forschungsreaktoren, die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau, die bestehenden Endlager Asse und Morsleben, die Zwischenlager für Castorbehälter an den Akw-Standorten sowie die Landessammelstellen für schwach radioaktive Abfälle.
Insgesamt porträtiert die Studie etwa 90 Standorte in Form von Datenblättern. Die Autoren – meist Mitglieder von Bürgerinitiativen und Experten der Umweltverbände – zeigen dabei die jeweiligen Probleme auf: die rostenden Tonnen im Fasslager Brunsbüttel, das Plutonium im sächsischen Forschungszentrum Rossendorf, der Reaktordruckbehälter in Jülich, der so stark strahlt, dass ein eigenes Zwischenlager für ihn gebaut werden muss. Damit unterscheide sich der Bericht wesentlich von den jährlichen „Abfallmengenprognosen“ der Bundesregierung, in denen der Atommüll lediglich als Gesamtmenge erfasst werde, sagte Schönberger.
Die Studie verweist auch auf radioaktive Abfälle, die zwar in Deutschland entstanden, sich aber dauerhaft oder zeitweise im Ausland befinden. So wurden zwischen 1995 und 2009 rund 27 000 Tonnen abgereichertes Uran aus der Anreicherungsanlage Gronau in Westfalen nach Russland transportiert. Deklariert als Wertstoff, lagert es nach Angaben von Atomkraftgegnern an Standorten des russischen Nuklearkonzerns Rosatom in teils rostigen Fässern unter freiem Himmel. Aus dem niedersächsischen Zwischenlager Leese sowie von der Strahlentechnikfirma Eckert & Ziegler dürfen in den nächsten fünf Jahren etwa 1000 Tonnen schwach radioaktive Abfälle zur Verbrennung in die USA gebracht werden.
Claudia Baitinger vom Bund für Umwelt und Naturschutz kritisiert in einem Beitrag die Praxis, bestimmte Abfälle aus dem Rückbau von Atomkraftwerken durch „Freigabe“ oder „Freimessen“ als „nicht mehr Atommüll“ zu deklarieren. Diese könnten dann billig auf Hausmülldeponien verscharrt oder in Baustoffen und als Straßenbelag verwendet werden. So seien Radionuklide aus dem stillgelegten Akw Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern bereits im Sickerwasser einer Deponie nachgewiesen worden.
Herausgeber des Berichts ist die „Atommüllkonferenz“ – unter diesem Namen treffen sich Bürgerinitiativen an den Zwischen- und Endlagerstandorten. Nach der Präsentation in Hannover soll der Report in den kommenden Wochen bei Veranstaltungen in ganz Deutschland vorgestellt werden. Die Einrichtung einer Datenbank im Internet werde ebenfalls vorbereitet, kündigte Dickel an.
Reimar Paul