Hungerkrise in Ostafrika: Wo der Hunger politisch wird
Kenia zapft die Getreidereserve an, in Uganda mehren sich Proteste – und der Westen überlegt, mit Somalias Islamisten zu reden
Berlin - Die Hungerkrise in Ostafrika setzt die Regierungen der Region zunehmend unter Druck. Am Freitag kündigte der kenianische Premierminister Raila Odinga an, 500 000 Sack Mais aus der strategischen Getreidereserve des Landes für die Nothilfe einzusetzen. Dabei ist die nationale Reserve bereits dramatisch reduziert. Sie beträgt nach Informationen der Tageszeitung „The Daily Nation“ nur noch etwa 2,2 Millionen Sack, acht Millionen Sack wären der Idealzustand. Die Regierung in Nairobi schätzt die Zahl der Kenianer, die wegen der verheerenden Dürre im Norden des Landes auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, auf vier Millionen. Im Mai waren es noch 2,4 Millionen Menschen gewesen.
Odinga kündigte zudem an, dass die Bedürftigen bis auf weiteres mit 2000 Schilling (gut 15 Euro) im Monat unterstützt werden sollen, die ihnen mit dem mobilen Bezahldienst M-Pesa direkt auf ihr Mobiltelefon geladen werden sollen. In Nairobi finden inzwischen jede Woche Proteste gegen die steigenden Lebensmittelpreise statt. Finanzminister Uhuru Kenyatta will deshalb ein Gesetz einbringen, das es der Regierung erlauben würde, Höchstpreise für einige strategische Güter festzusetzen. Schon in der vergangenen Woche entschied die Regierung in Kenia, zur Ernährung der Hungernden auch die Einfuhr von genverändertem Mais zuzulassen. Mehr als zehn Jahre lang hatte Kenia wie die meisten anderen afrikanischen Staaten das verweigert. Der Mais soll aber sofort gemahlen werden, so dass kein genverändertes Saatgut gepflanzt werden kann.
Im Nachbarland Uganda halten die Proteste gegen die steigenden Lebensmittelpreise schon seit mehreren Monaten an. Begonnen haben die Demonstrationen, nachdem die Treibstoffpreise dramatisch gestiegen waren. Die Opposition rief dazu auf, zu Fuß zur Arbeit zu gehen (walk to work). Daraufhin ließ die Regierung hunderte Oppositionelle einsperren. Demonstrationen werden regelmäßig mit Schlagstöcken, Tränengas und manchmal mit Wasserwerfern mit rosa Farbe aufgelöst.
Dazu kommen nun auch noch die Belastungen durch tausende Somalier, die ihr Land in Richtung Kenia oder Äthiopien verlassen. Allein im Juni sind 68 000 Somalier im nordkenianischen Flüchtlingslager Dadaab eingetroffen. Weitere 54 000 Somalier haben es in Lager auf äthiopischer Seite geschafft. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benötigt etwa die Hälfte der somalischen Bevölkerung Nahrungsmittelhilfe, das wären rund 3,7 Millionen Menschen. Am kommenden Montag findet am Sitz der Weltagrarorganisation (FAO) ein Sondergipfel zur Hungerkrise am Horn von Afrika statt.
Während die islamistische Miliz Al Shabbab die Hungersnot schlichtweg leugnet, hat der norwegische Außenminister Jonas Gahr Stoere dazu aufgerufen, die Somalia-Politik des Westens zu überdenken. Er will die Hungersnot nutzen, um mit Al Shabbab ins Gespräch zu kommen. Die Politik der Abschottung gegen die Islamisten habe sich nicht bewährt. So zitiert ihn das somalische Radio Shabelle am Freitag. In Ostafrika sind die meisten Regierungen überzeugt, dass die Krise auch etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, und fordern deshalb mehr Hilfe von den westlichen Geberstaaten. Raila Odinga will für den kommenden Monat zu einer Geberkonferenz nach Nairobi einladen.
Ein einzelnes Ereignis wie die Dürre in Ostafrika lässt sich nicht direkt mit dem Klimawandel in Verbindung bringen. Nach Einschätzung von Professor Jürgen Kropp, Leiter des Nord-Süd-Projekts im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, könnte die extreme Trockenheit aber eine Folge des noch anhaltenden Klimaphänomens La Nina sein. Das aktuelle Ereignis sei das stärkste in den vergangenen 30 Jahren. „Schon seit vergangenem Jahr haben wir im Pazifik ein La-Niña- Ereignis, welches über eine Fernwirkung schon öfter Dürren in Ostafrika“ ausgelöst habe. Dass das Doppelphänomen El Nino/La Nina durch den Klimawandel verstärkt wird, „ist physikalisch plausibel“, wie Kropp sagt. Bereits eine geringfügige Erhöhung der Oberflächentemperatur des Meeres habe beträchtliche Auswirkungen auf die Luft- und Wasserdampfzirkulation „und verändert großskalig die Wetterzirkulation“. Im Falle der El-Nino- und La-Nina-Ereignisse geschehe dies eben sogar mit globalen Auswirkungen.
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