Rolle der deutschen Außenpolitik: Wo bleiben die Diplomaten, die in Schulen gehen?
In Deutschland bleibt Außenpolitik zu oft Sache von Expertenzirkeln. Unsere Rolle in der Welt muss der Bevölkerung besser erklärt werden. Ein Gastkommentar.
Bei aller Unsicherheit nach der Wahl von Donald Trump, zwei Erkenntnisse sind diesseits des Atlantiks bereits angekommen. Erstens, die Verantwortung Deutschlands in und mit Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik wird weiter und deutlich wachsen. Zweitens, auch in Deutschland und Europa fühlen sich viele Menschen abgehängt. Das Misstrauen gegenüber der Politik nimmt zu – auch hier angeheizt durch rechtspopulistische Kräfte.
Vor diesem Hintergrund wächst auch die Notwendigkeit, die Außenpolitik Deutschlands im eigenen Land besser zu erklären. Die Rolle Deutschlands in der Welt hat sich in letzten Jahren rasant gewandelt, in den nächsten Monaten könnte es noch schneller gehen.
Politik, Beamten, Experten fehlt der Mut zum Erklären
Doch fehlt Politik, Beamten, und Experten in Denkfabriken und Zivilgesellschaft bisher der Mut zum Erklären. In jeder Diskussionsveranstaltung in Expertenkreisen kommt der Punkt, an dem die vermeintlichen Grenzen des politisch Machbaren erreicht werden. Da heißt es dann: Es wäre kostengünstiger und würde mehr Leben retten, wenn mehr Geld in die Prävention ginge, statt immer der nächsten Krise hinterherzulaufen. Aber der politische Druck! Es richtet mehr Schaden als Nutzen an, wenn wir versuchen, anderen Ländern unsere Rechtssysteme aufzudrücken. Wir sollten sie zum Beispiel nicht dazu zwingen, möglichst schnell nach einem Konflikt Wahlen auszurichten. Aber das kann man ja keinem Wähler hier in Deutschland erklären!
Wirklich? Wie viele von uns in der außenpolitischen Community haben das denn eigentlich schon mal versucht? Meistens kapitulieren alle Anwesenden an diesem Punkt, anstatt die eigentliche Konsequenz zu ziehen: Die Politik – Parlamentarier, Parteimitglieder, Vertreter der Bundesregierung – müssen mehr und besser erklären. Und dabei brauchen Sie die Rückendeckung und tatkräftige Unterstützung von allen anderen, die tagtäglich zu diesen Themen arbeiten: in Denkfabriken, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat das verinnerlicht. „Wenn wir vernünftige Lösungen nicht nur aushandeln, sondern auch auf gesellschaftlichen Rückhalt stützen wollen, muss es uns gelingen, die Abwägungsprozesse der Diplomatie anschaulich und glaubwürdig zu kommunizieren,“ so schrieb er kürzlich in der FAZ. Im Kontext der Debatte zur gestiegenen globalen Verantwortung Deutschlands führte das Auswärtige Amt vor zwei Jahren im „Review2014“ eine Reihe von Veranstaltungen durch, um die Rolle der Außenpolitik mit einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren. Das war ein Fortschritt, aber so wichtig diese sind: ein paar mehr Veranstaltungen und Ministerreden reichen nicht aus. Sie werden vor allem nicht diejenigen erreichen, die nicht sowieso schon ein grundsätzliches Interesse an der Außenpolitik mitbringen.
Kommunikation sollte nicht mehr als Nebengeschäft betrachtet werden
Also was tun? Ein guter Anfang wäre ein strategisch-politisches Signal: Die Bundesregierung arbeitet derzeit an neuen „Leitlinien“, die ihr ziviles Handeln in Krisenprävention, Stabilisierungseinsätzen und langfristiger Friedensförderung für das nächste Jahrzehnt leiten sollen. Genau hier könnte sie Anfang nächsten Jahres gemeinsam und verbindlich verankern, Kommunikation in Zukunft nicht mehr als ein Nebengeschäft zu sehen, sondern als notwendige Bedingung für ihre Politik. Die Bundesregierung hat bereits vor 10 Jahren eine Kommunikationsstrategie zur eigenen Krisenpolitik angekündigt, die weiterhin auf sich warten lässt.
Mit der entsprechenden finanziellen Rückendeckung aus dem Bundestag könnten das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium außerdem den eigenen Beitrag zum Erklären ihrer Politik enorm erhöhen, wenn sie es dem Verteidigungsministerium gleich tun würden: Das Ministerium beschäftigt seit über 50 Jahren mehrere „Jugendoffiziere“ pro Bundesland – hauptamtliche Erklärer, die mit nichts anderem beschäftigt sind, als sicherheitspolitische Grundkenntnisse zu vermitteln und sich dabei den schwierigen Fragen einer breiteren Bevölkerung zu stellen. Wozu brauchen wir eigentlich die Nato? Ist Amerika nicht genauso korrupt wie Putin? Warum nicht einfach unsere Grenzen abriegeln und den Rest der Welt ignorieren? Zum Ende des Jahres 2016 sind klare Antworten auf diese Fragen dringender als je zuvor. Wie kann es sein, dass es vor allem die Bundeswehr und nicht das Auswärtige Amt ist, die in diese Form von Basiskommunikation investiert? Wo sind die Diplomaten, die zwei Jahre abgestellt werden – zum Erklären in Schulen, Universitäten, Gewerkschaften, Altersheimen?
Es gibt schon eine beträchtliche Infrastruktur
Wenn die Bundesregierung als Ganzes die Debatten zu Instrumenten und Dilemmata in der auswärtigen Politik in Zukunft mehr in der breiteren Gesellschaft verankern möchte, stünde ihr bereits eine beachtliche Infrastruktur in Deutschland zur Verfügung: Sechs politische Stiftungen, Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, ein Institut für Auslandsbeziehungen, unzählige Nichtregierungsorganisationen – viele teilweise oder vollständig aus staatlichen Geldern finanziert. Alle diese Organisationen könnten ihre Arbeit am Dialog zu Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik nicht nur ausweiten, sondern vor allem darauf achten, dass sie dabei neue Zielgruppen ansprechen. Mehr Platz für Außenpolitik in Lehrplänen, ein Ausbau von Austauschprogrammen wie „weltwärts“, digitale Plattformen zum Austausch zur Außenpolitik, mehr Partnerschaften zwischen Bundesländern und einzelnen Entwicklungsländern – es gäbe eine Menge Luft nach oben.
Doch nicht nur die Bundesregierung könnte die Debatte in Deutschland voranbringen. Notwendig wäre auch ein stärkerer Einsatz beim Erklären der grundsätzlichen Fragen zur Rolle Deutschlands in der Welt durch Mitarbeiter in Think Tanks, Universitäten und NGOs, zu denen ich mich zähle. Warum bearbeiten wir mit unseren Ideen für eine bessere Politik eigentlich immer die Bundesregierung und Abgeordnete und fast nie die Menschen, die diese wählen? In unseren Politikempfehlungen zur deutschen Politik in anderen Ländern deklinieren wir hoch und runter, dass es letztendlich immer um gesellschaftliche Veränderungsprozesse geht – um Überzeugungsarbeit und um Politik. Das ist auch bei uns der Fall.
Wir wären gefragt – die wir zu diesen Themen forschen und beraten, aber wenn wir ehrlich sind, dabei schon seit Beginn des Politikstudiums die Blase der sowieso-schon-Interessierten selten verlassen. „Öffentlichkeitsarbeit“ ist Teil des Portfolios einiger Denkfabrikmitarbeiter, aber hier sind meist Radiointerviews im Deutschlandfunk und gelegentliche Meinungsartikel gemeint. Wenn uns jemand fragt, warum man die Europäische Union noch braucht, wissen wir gar nicht so richtig wo wir anfangen sollen.
Hier könnten wir alle etwas ändern. Wir könnten beginnen mit kleinen, persönlichen Entscheidungen dazu, mal außerhalb des Expertenkreises ins Gespräch zu kommen – zum Beispiel mit einem Vortrag in der ehemaligen Schule. Längerfristig könnten wir auch unsere Institutionen verändern: Think Tanks und Universitäten könnten zum Beispiel Karriereanreize so setzen, dass ein Forscher belohnt wird, wenn er einen Teil seiner Zeit mit Erklären in Ortsvereinen verbringt anstatt bei der zwanzigsten Konferenz im Jahr mit den immer gleichen Leuten zu sprechen. Profitieren würden wir alle davon.
Sarah Brockmeier ist Projektmanagerin am Global Public Policy Institute in Berlin.
Sarah Brockmeier
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