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2007 endeten die deutsch-polnischen Grenzkontrollen - wie hier an der Grenzstation Ahlbeck. Jetzt gibt es in der Wirtschaft Befürchtungen, dass die Vor-Schengen-Zeit zurückkehrt.
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Flüchtlingskrise und Schengen: Wirtschaft stemmt sich gegen Grenzkontrollen

Die EU-Kommission hat in der Frage, ob die Kontrollen im Schengen-Raum wegen der Flüchtlingskrise verlängert werden, eine Schlüsselrolle. Deshalb stemmt sich die Wirtschaft in Brüssel gegen verschärfte Grenzkontrollen.

Es war eine dunkle Ahnung, die der Kieler Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zu Beginn des Jahres äußerte. „Dies kann das gute Zusammenleben in der deutsch-dänischen Grenzregion beeinträchtigen und insbesondere die Pendler belasten“, erklärte der Ministerpräsident. Albig sprach von den Grenzkontrollen, die Dänemark zuvor eingeführt hatte. Bislang bekommen die 9000 Berufspendler, die täglich die deutsch-dänische Grenze überqueren, die Kontrollen nur in Form von Stichproben zu spüren. Aber die Gefahr wächst, dass die im Zuge der Flüchtlingskrise eingeführten Kontrollen europaweit zur Dauereinrichtung werden. Es wäre das Ende des Schengen-Systems, in dem das passfreie Reisen eigentlich die Regel sein soll.

Vorübergehende Kontrollen, die auch von den deutschen Behörden seit dem vergangenen September an der Grenze zu Österreich durchgeführt werden, sind im Schengen-Regelwerk durchaus vorgesehen. Inzwischen mehren sich allerdings die Anzeichen, dass die Stichproben an den Grenzen noch monatelang in Kraft bleiben werden. So hat Dänemark die Kontrollen erst einmal bis Anfang Februar verlängert. Und in Deutschland denkt auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) offenbar darüber nach, dass die Bundespolizei auch über den kommenden Mai hinaus an der Grenze zu Österreich im Einsatz bleiben soll.

Speditionsverband Clecat führt Gespräche mit Verkehrsausschuss des EU-Parlaments

Die Sorge, dass die Kontrollen an Schengen-Binnengrenzen wie zwischen Deutschland und Dänemark das grenzenlose Europa zur Makulatur werden lassen, treibt nicht nur Landespolitiker wie Torsten Albig um. Längst hat das Thema auch den Brüsseler Politikbetrieb erreicht. Mitte des Monats warnte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: „Wer Schengen killt, wird den Binnenmarkt zu Grabe tragen.“ Aber auch schon vor der Intervention Junckers waren Lobbyisten in Brüssel aktiv, um auf die Gefahr eines plötzlichen Todes des Schengen-Systems hinzuweisen.

Zu denen, die in der EU-Hauptstadt schon seit Längerem vor einem Ende des reibungslosen Grenzübertritts in Europa warnen, gehört Nicolette van der Jagt. Die Generaldirektorin des europäischen Speditionsverbands Clecat hat bereits in mehreren informellen Gesprächen mit Mitgliedern des Verkehrsausschusses im EU-Parlament darauf hingewiesen, was passieren könnte, wenn die Kontrollen noch weiter verschärft werden. Van der Jagts Verband vertritt kleinere Spediteure, aber auch große Logistiker wie DHL und Schenker. Vor allem die niederländischen, schwedischen und britischen Ableger ihres Verbands haben sich an die EU-Institutionen gewandt, um vor den wirtschaftlichen Folgen der Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen zu warnen. „In Brüssel hat man erkannt, dass dies den Binnenmarkt gefährden könnte“, sagt Nicolette van der Jagt.

DIHK will Termin in Brüssel zur Warnung vor Kontrollen nutzen

Nach den Angaben von Martin Wansleben, des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), könnten sich die Kosten strikterer Grenzkontrollen für die deutsche Wirtschaft „schnell auf zehn Milliarden Euro pro Jahr summieren“. Wansleben prognostiziert, dass Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie oder die Umstellung der Just-in-time-Lieferung auf deutlich teurere Lagerhaltung für die Unternehmen negativ zu Buche schlagen würden. Am Mittwoch will Wansleben bei einer EU-Konferenz zur Legalisierung der Migration, zu der Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos eingeladen hat, noch einmal auf die wirtschaftliche Bedeutung des Schengen-Raums hinweisen.

Die Kommission hat eine Schlüsselrolle bei der Bewertung der Frage, ob die von Deutschland und anderen Schengen- Staaten eingeführten Stichproben möglicherweise auch über das kommende Frühjahr hinaus verlängert werden können. Bevor Innenminister de Maizière eine solche Entscheidung treffen kann, braucht er grünes Licht aus Brüssel. Die Kommission müsste zu der Einschätzung kommen, dass wegen der mangelnden Kontrollen der Flüchtlinge in Griechenland eine Gefahr für die Sicherheit im Inneren des Schengen-Raums besteht.

Dachverband: Busunternehmen und Spediteure könnten ins Aus geraten

In dieser Situation kann sich die EU-Kommission in den nächsten Wochen und Monaten auf Einflüsterungen aus zwei unterschiedlichen Lagern einstellen: Auf der einen Seite wollen Innenpolitiker wie de Maizière erreichen, dass die Kontrollstellen an den Grenzen zum Nadelöhr für Flüchtlinge werden. Auf der anderen Seite machen Wirtschaftsverbände Druck, damit der Verkehr auch in Zukunft möglichst reibungslos fließt.

So hat sich die internationale Vereinigung der nationalen Straßentransportverbände (IRU), die auch in Brüssel eine Vertretung hat, bereits an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc sowie die zuständigen Generaldirektionen für Mobilität und Verkehr (Move) und Migration und Inneres (Home) innerhalb der Behörde gewandt. IRU-Sprecher Stuart Colley erklärt, dass 85 Prozent der im europäischen Dachverband organisierten Betriebe kleinere und mittlere Unternehmen mit geringen Gewinnspannen seien. Kleinere Busunternehmen und Spediteure könnten ins Aus geraten, wenn sie längere Wartezeiten an den Grenzen in Kauf nehmen müssten, warnt er. Allein die Kontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich führten für österreichische Spediteure und Busunternehmen zu jährlichen Mehrkosten von 100 Millionen Euro, sagt Colley und verweist dabei auf eine Berechnung der Arbeitsgemeinschaft internationaler Straßenverkehrsunternehmer Österreichs (AISÖ).

„Grenzkontrollen behindern den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und führen letztlich zu Wertschöpfungsverlusten und dem Verlust von Arbeitsplätzen“, lautet denn auch das Fazit von Markus Beyrer, des Generaldirektors des europäischen Arbeitgeberverbands Businesseurope. „Wir brauchen echte europäische Lösungen und keinen Rückfall in nationale Egoismen.“

Lkw-Fahrer wollten nicht mehr nach Großbritannien fahren

Ein anderes Problem an der französisch-britischen Außengrenze des Schengen-Raums stellt sich für die Spediteure unterdessen in der Nähe von Calais. Dort wurden nach den Worten von Dirk Saile, Leiter des Brüsseler Büros des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Lkw-Fahrer im vergangenen Sommer von Flüchtlingen angegriffen, die vor dem Euro-Tunnel kampieren und auf den Lastwagen nach Großbritannien gelangen wollten. Nun will Sailes Verband nicht mehr hinnehmen, dass die Fahrer Angriffe von Flüchtlingen in Kauf nehmen und die Speditionsfirmen zudem eine Strafe von bis zu 2000 Pfund (umgerechnet rund 2600 Euro) pro Flüchtling zahlen müssen, wenn Migranten von den britischen Behördenvertretern in Calais in den Lkws entdeckt werden. Daher wollen die Interessenvertreter unter anderem über den Dachverband IRU ein Protestschreiben an die Brüsseler Kommission sowie an die britischen und französischen Behörden verfassen. „Viele Fahrer“, berichtet Saile, „wollten im England-Verkehr nicht mehr eingesetzt werden“.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 26. Januar 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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