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Vier Stunden haben Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel (hinter ihr) und die Ministerpräsidenten (im Vordergrund Winfried Kretschmann und Torsten Albig) über die EEG-Reform verhandelt. Mit Ergebnis.
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Kompromiss bei Energiegipfel: Wirtschaft findet Einigung beim EEG gar nicht gut

An Land sollen doch mehr Windräder gefördert werden als geplant. Bei Biogas bleiben die Privilegien erhalten. Und die Kosten dafür sollen bis 2020 nicht mehr als 0,2 Cent pro Kilowattstunde Strom mehr sein. Und warum ist die Wirtschaft unzufrieden?

Nach vier Stunden haben sich Bund und Länder am Dienstagabend im Kanzleramt auf einen weitgehenden Kompromiss im Streit um das Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte im Anschluss an den Energiegipfel, dass „von diesem Abend ein wichtiges Signal ausgeht“. Alle fühlten sich der Energiewende verpflichtet. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wertete die Einigung als Beweis dafür, „dass der deutsche Föderalismus gut ist, viel besser als sein Ruf“. Seine Thüringer Kollegin Christine Lieberknecht (CDU) sprach davon, dass Bund und Länder auf einem guten Weg seien, „aus 16 Energiewenden eine zu machen“.

Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) rechnete vor, dass die Zugeständnisse beim Ausbau von Windenergie an Land und bei der Biomasse die Stromkunden im Jahr 2020 lediglich 0,2 Cent pro Kilowattstunde Strom mehr kosten würden. Das sei „sehr vertretbar“.

Bund und Länder wollen die Industrie noch weiter entlasten

Bei der Windenergie hatte Gabriel in der EEG-Novelle einen jährlichen Ausbau von 2500 Megawatt Leistung vorgesehen. Wenn Windräder durch leistungsstärkere Anlagen ersetzt werden, soll nur die Leistung auf diesen Ausbaudeckel angerechnet werden, die über den alten Wert hinaus geht. Das hatten vor allem die Nordländer gefordert, weshalb der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) mit dem Kompromiss auch zufrieden war. Auch für Windstrom auf See haben Bund und Länder die Investitionsbedingungen leicht verbessert.

Auch beim Biogas-Ausbau ist Gabriel den Ländern, vor allem Bayern und Thüringen, etwas entgegen gekommen. So sollen die Boni für bestehende Anlagen erhalten werden, auch dann, wenn sie noch einmal erweitert werden. Allerdings dürfen die Kosten dafür bis 2020 nicht mehr als 0,1 Cent pro Kilowattstunde Strom in der EEG-Umlage betragen. Dass die Industrie weitgehend von der EEG-Umlage verschont werden soll, war zwischen Bund und Ländern ohnehin Konsens.

Die Bundesregierung steht unter hohem Zeitdruck, die EEG-Reform vor der Sommerpause durch den Bundestag zu bringen. Wegen des Konflikts mit der EU-Kommission über die Industrierabatte fehlt für das kommende Jahr eine gültige Rechtsgrundlage, um die Unternehmen weiter zu entlasten. Deshalb war der Einigungsdruck zwischen Bund und Ländern hoch. Gabriel kündigte an, die Bedingungen für die Industrie bei seinen Verhandlungen in Brüssel noch weiter verbessern zu wollen. Allerdings kostet nach Berechnungen von Felix Matthes vom Öko-Institut schon der erzielte Kompromiss die Stromkunden bis zu 0,4 Cent pro Kilowattstunde mehr EEG-Umlage, weil mehr Branchen in den Genuss der Rabatte kommen sollen als bisher.

Dennoch kritisiert die Wirtschaft die Energiepolitik scharf. „Die steigenden Energiekosten gefährden Arbeitsplätze in Deutschland“, warnte Ingeborg Neumann, Vizepräsidentin des Industrieverbands BDI, in Berlin. In einer Befragung der rund 400 größten deutschen Familienunternehmen hielt es ein Drittel für denkbar, Produktion und Dienstleistungen wegen der Energiewende ins Ausland zu verlagern. „Die Basis der Industrie beginnt zu erodieren“, warnte Neumann. „Wenn wir die Energiewende nicht in den Griff kriegen, fahren wir gegen die Wand.“

Interessen und Gegensätze

Grenzen des Wachstums. In der EEG-Novelle aus dem Wirtschaftsministerium ist der künftige Ausbau von Biogasanlagen auf 100 Megawatt im Jahr begrenzt. Außerdem soll nicht mehr extra dafür angebauter Mais in die Anlagen wandern, sondern Rest- und Abfallstoffe. Dagegen wehren sich mehrere Länder.
Grenzen des Wachstums. In der EEG-Novelle aus dem Wirtschaftsministerium ist der künftige Ausbau von Biogasanlagen auf 100 Megawatt im Jahr begrenzt. Außerdem soll nicht mehr extra dafür angebauter Mais in die Anlagen wandern, sondern Rest- und Abfallstoffe. Dagegen wehren sich mehrere Länder.
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Den ganzen Nachmittag haben sich die Ministerpräsidenten der Länder frei gehalten, um vor dem Energiewendegipfel mit Kanzlerin und Vizekanzler ihre Interessenunterschiede bei Windstrom, Biomasse oder Netzausbau anzunähern. Offenbar mit Erfolg. Denn am Dienstagabend trennten sich die Ministerpräsidenten mit einem Kompromiss von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Lediglich bei zwei Details waren die Länder noch unzufrieden: Sie konnten dem Bund keinen neuen Stichtag abhandeln, bis zu dem das alte EEG noch gelten soll. Und es gibt noch unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Länder beteiligt werden, wenn das Energieministerium die Verordnungen zur Umsetzung der Novelle erlässt.

Dabei waren sich die Länder ziemlich uneinig – angesichts beträchtlicher regionaler Unterschiede beim Energiemix und der Wirtschaftsstruktur ist das auch kein Wunder. Während in Sachsen-Anhalt etwa die Energiewende praktisch umgesetzt ist – hoher Anteil an erneuerbaren Energien (deren Strom in andere Bundesländer „exportiert“ wird), keine Atomkraftwerke, stetige Stromproduktion durch Braunkohle – und die Nordländer sich zu reinen Windstromländern mausern, hängen die Südländer noch zurück. Bayern und Baden-Württemberg haben viel Atomstrom zu ersetzen, und natürlich wollen sie das so weit wie möglich durch eigene Stromquellen im Land tun.

Binnenstandorte für Windenergie werden etwas besser gestellt

Der Stuttgarter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will daher deutlich mehr Windstromanlagen installieren. Das kann er jetzt wohl auch, weil der Bund auch die Bewertung der Windstandorte übernommen hat, auf die sich die Länder geeinigt hatten. Gabriel sagte, das erhöhe die EEG-Umlage nicht, sondern stelle nur Binnenstandorte im Vergleich zu Küstenstandorten etwas besser.

Der bayerische Regierungschef Horst Seehofer (CSU) dagegen denkt weniger an Windkraft, sondern möchte Strom aus Biogasanlagen fördern. Zumal der auch produziert werden kann, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Auch da ist der Bund den Ländern näher gekommen. Einig waren sich Gabriel und die Länder, dass Industrieunternehmen, die ihren Strom selbst erzeugen, von der EEG-Umlage befreit bleiben sollen. Private und gewerbliche Eigenstromerzeuger, die Solarstrom oder Strom aus der effizienten Kraft-Wärme-Kopplung erzeugen, sollen beim Eigenstrom besser gestellt werden als solche, die konventionelle Anlagen betreiben. Das sagte Gabriel dem Stuttgarter Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) zu, der diesen Vorschlag eingebracht hatte. Auch der Ausbau der Stromtrassen bleibt umstritten. Seehofer hat deswegen Probleme, vor allem in Franken – und sich die verbreiteten Bedenken im Kommunalwahlkampf im März zu eigen gemacht. Nun will er einen Baustopp, um zu klären, was wirklich an neuen Leitungen nötig ist. Das hängt davon ab, wie stark bayerischer Eigenstrom ausgebaut werden kann – je nachdem wächst oder fällt die Abhängigkeit von Windstrom aus dem Norden. Seehofer hat seine Thüringer Kollegin Christine Lieberknecht (CDU) dazu bewegen können, sich ihm anzuschließen.

Und schon wird wieder über die Stromsteuer diskutiert

Im Norden haben Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gemeinsame Interessen – und sich damit auch weit gehend durchgesetzt. Der Kieler Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) wetterte zuvor wochenlang gegen Kürzungen vor allem beim Windstrom an Land. Auch Erwin Sellering, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, will geringere Strompreise nicht über eine Reduzierung des Ökostromausbaus finanzieren – zumal das Einsparpotenzial für die EEG-Umlage auch gering ist. Die Umlage ließe sich durch die Ausbaubegrenzung beim Windstrom an Land lediglich um einen Wert zwischen 0,02 und 0,05 Cent pro Kilowattstunde senken.

Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil (SPD) hat vorgeschlagen, den Strom zu verbilligen – durch eine Senkung der Stromsteuer. Die Hälfte der Kosten gehe auf das Konto staatlicher Abgaben. „Wenn die Preise zu sehr steigen, müssen die Abgaben gesenkt werden“, forderte Weil. Das Problem ist nur: Den Ländern entgingen bei einer Senkung keine Einnahmen, wohl aber dem Bund – die Stromsteuer ist eine reine Bundessteuer.

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