Afghanische Frauen kündigen Widerstand an: „Wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen“
Mehrere Frauen aus Afghanistan berichten per Zoom-Gespräch, organisiert von einem afghanischen Kulturverein in Berlin, über ihre aktuelle Lage
Eine Widerstandsgruppe von Frauen aus allen Teilen Afghanistans hat am Donnerstag per Zoom-Konferenz über die aktuelle Situation im Land berichtet. Eine der wichtigsten Forderungen, die die Frauen unter anderem an die deutsche Regierung haben, lauten: "Keine diplomatischen Beziehungen mit den Taliban aufnehmen, den Taliban nicht glauben, dass sie sich verändert haben und nun moderat sind."
Eine der Frauen in der Runde, die Journalistin Qudsia Shujazada, sagte: "Die Taliban sind und bleiben eine Terrorgruppe. Aber sie sind nicht in der Lage, ein Land zu regieren. Sie können nur Gewalt. Wenn sie ihre Macht verfestigen, wird es andere Terrorgruppen geben, die im Land Anschläge verüben werden." Die Frauenaktivistin Shukria Rahimi sagte: "Es muss der internationalen Gemeinschaft klar werden, dass eine Anerkennung der Taliban langfristig für die ganze Welt eine Gefahr bedeutet."
Organisiert wurde das Gespräch vom afghanischen Kulturverein Yaar. Dessen Vorsitzender Kava Spartak hat gemeinsam mit vielen Nichtregierungsorganisationen und Afghanistan-Expert:innen wie dem Mitgründer der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtstaatlichkeit, Tilmann Röder, die "Luftbrücke Afghanistan" ins Leben gerufen. Über das ehrenamtliche Netzwerk wird versucht, bedrohte Menschen aus dem Land zu holen.
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Besondere Forderungen stellten die Frauen an Deutschland. Gerade weil Deutschland "nicht besonders erfolgreich war bei der Evakuierung der Ortskräfte", wie Qudsia Shujazada sagte, "hat es eine besondere Verantwortung, diese Ortskräfte auch weiterhin zu evakuieren und auch andere Flüchtlinge aufzunehmen". Auch die Nachbarländer Afghanistans hätten eine besondere Verantwortung. Die Frauen baten darum, dass, "wenn diese Länder Flüchtlinge schon nicht aufnehmen wollen", sie diese "zumindest mit Respekt begegnen sollen". Es gehe darum, ihnen das Mindeste, was sie brauchten, zur Verfügung zu stellen: Essen, Zelte, warme Kleidung oder Decken. Viele Flüchtlinge hätten nur noch das, was sie am Leib tragen würden.
Vor allem berichteten die Frauen in dem Gespräch über ihren Widerstand und ihre Erlebnisse in den vergangenen Tagen. Die Widerstandsgruppe, die aus Frauen und Männern besteht, organisiert sich über eine WhatsApp-Gruppe, die mittlerweile in sechs Provinzen des Landes vernetzt sei. Wie viele Menschen in der Gruppe sind, konnten die Frauen nicht sagen, allerdings verwiesen sie darauf, dass ihre Aktionen über sichere und geheime Wege vorbereitet und gut gestreut verbreitet werden. Mittlerweile hat die Taliban allerdings verkündet, die Proteste generell zu verbieten.
Die Erfahrungen mit den Taliban bei Protesten in verschiedenen Städten des Landes ähneln sich. Die Taliban-Führer der jeweiligen Städte oder Provinzen würden zunächst freundlich mit ihnen reden und zusichern, dass sie demonstrieren dürften. In Masar-e-Scharif, berichtet Shukria Rahimi, sei man aber keine 15 Minuten aus dem Büro des Taliban-Führers heraus gewesen, als auf der Straße die ersten Bedrohungen und Einschüchterungen begannen. In der Provinz Tachar, im Norden Afghanistans gelegen, wurden die Organisator:innen der Proteste schon im Vorfeld ausspioniert und zu Hause besucht und eingeschüchtert. Manche wurden verhaftet.
Sie glauben, dass die Taliban sie am liebsten töten würden
In anderen Städten ist es nach Aussagen der Frauen auch zu massiver Gewalt gekommen, vor allem die Männer, die die Frauen schützen wollten, seien geschlagen und verprügelt worden. In der Zoom-Sitzung wurden Fotos von solchen Männern gezeigt. Zwei Männer seien auch erschossen worden.
In Kabul wiederum, berichtet die ehemalige Armee-Angehörige, habe man die Proteste ordnungsgemäß beim inoffiziellen Taliban-Bürgermeister angemeldet. Die genehmigte Demonstration sei dann von einem Taliban-Mob gesprengt worden, Frauen seien beschimpft worden als Prostituierte, ihnen sei gedroht worden, dass man sie erhänge.
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Auf die Frage der Frauen an Taliban-Offizielle während der Demo, warum Frauen ausgesperrt werden sollen aus dem öffentlichen Leben, habe man ihnen geantwortet, dass es im politischen Leben kein Platz für sie gebe; sie gehörten nach Hause, um zu kochen und um zu putzen. Qudsia Shujazada sagt, dass man in diesen Augenblicken den "Hass der Taliban auf uns Frauen sehen kann, diese Männer würden uns, wenn man sie nicht gerade noch international beobachten würde, foltern, verbrennen, töten".
Alle Frauen waren sich darin einig, dass die Taliban nur "auf Zeit spielen, auf jeden Fall ein doppeltes Spiel betreiben und lügen". Es gebe eine große Angst davor, was passiert, wenn die Taliban sich ihre "moderaten Masken" vom Gesicht reißen und der Gewalt freien Lauf ließen.
Sie wollen "bis zum letzten Blutstropen kämpfen"
Uneinigkeit herrschte bei den Frauen darüber, ob militärische Interventionen oder ein Guerillakrieg Teil einer Lösung sein könnte. Manche finden, dass militärische Lösungen keine Option sein dürften, andere sagten, dass es gut sei, zu wissen, dass beispielsweise ein Kämpfer wie Ahmed Massud "extra aus seinem Exil in England gekommen sei, um für das Land, in dem er geboren wurde, zu kämpfen". Massud gehört der Nationalen Widerstandsfront (NRF) an, die zuletzt in der Provinz Pandschir gegen die Taliban kämpfte. Die Taliban hatten die Einnahme der Gebirgsregion verkündet, die NRF hatte behauptet, weiterhin strategische Posten zu besetzen und weiterkämpfen zu wollen.
Shukria Rahimi sagte stellvertretend für die Frauen im Zoom-Call: "Die Taliban sollen eines wissen, wir Frauen werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Denn was wollen sie machen, einfach die Hälfte der Bevölkerung umbringen?"
(In eigener Sache: Die Frauen, die in diesem Text mit Klarnamen genannt sind, wollten dies explizit so. Sie sind während des Gesprächs ausführlich danach gefragt worden. Einerseits ist diesen Frauen bewusst, dass sie sich in Gefahr begeben. Andererseits wollen sie auch mit ihrer Stimme gehört werden und als unabhängige Personen ihre Geschichten erzählen dürfen. Auch Frauen, die mittlerweile etwa nach Berlin geflüchtet sind, möchten ebenfalls ihre Geschichte erzählen, wie etwa die ranghohe Regierungsberaterin Suhailah Akbari, die bewusst auch fotografiert werden wollte für einen Text, der ebenfalls im Tagesspiegel erschienen und hier verlinkt ist. Auch sie versteht sich als Mitglied der Widerstandsgruppe, wenn auch aus dem fernen Berlin.)