Putin, Syrien und die Fußball-WM: "Wir werden alle verhöhnt"
Was ist, wenn Fußball für Schönfärberei missbraucht wird? Niemand sollte vergessen, welche Rolle Putins Regime in der syrischen Tragödie spielt. Ein Gastbeitrag.
Bei der Fußball-WM in Russland werden wir alle verhöhnt. Diese Verhöhnung trat bereits im Jahr 2010 deutlich zutage, als dem Russland trotz schwerwiegender Verdachtsmomente die WM zugesprochen wurde, und als Präsident Putin erklärte, für welche Werte die WM stehen solle: „Fair Play, Toleranz [und] Ehre“. Vergangenen Donnerstag ist er nun als Gastgeber des weltweit größten Spektakels aufgetreten – der Mann an der Spitze einer Regierung, die der Weltordnung mehr Schaden zugefügt hat als andere in Jahrzehnten. Der Mann, der seit Jahren das brutale Assad-Regime finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützt, der mit Waffengewalt Territorium eines Nachbarlandes an sich reißt und anderswo Wahlen manipuliert, wird sich im Glanz eines weltumspannenden Sportereignisses sonnen, das er seinem Land durch Bestechung gesichert hat.
Fußball bringt die Menschen zusammen, sagt man, und die WM sollte für die Fans in aller Welt, die ihre Mannschaften anfeuern, Anlass zum Feiern sein. Doch was ist, wenn Fußball für Schönfärberei missbraucht wird, und als Vorwand, um Gräueltaten und Korruption nie dagewesenen Ausmaßes zu vertuschen?
Diejenigen, die fordern, dass Politik und Sport nicht vermengt werden sollten, leiden an Gedächtnisschwund. Sie vergessen, dass Präsident Putin die Bewerbung Russlands zur Chefsache erklärt hat – eine Bewerbung, bei der es so korrupt und hinterhältig zuging, dass die Untersuchung nach acht Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Sie vergessen, dass im Verlauf der Geschichte immer wieder Sportereignisse wie dieses von Autokraten missbraucht wurden. Solche Ereignisse bieten einen willkommenen Anlass für positive Berichterstattung auf der Weltbühne und stellen in diesem Fall eine Belohnung für politische Kriegführung dar.
Für Putin ist die Fußball-WM nach eigenem Bekunden ein Traumturnier, das Gelegenheit bietet, den Zuschauern überall auf der Welt die Erfolge Russlands zu präsentieren. Doch richten wir den Blick auf Syrien, wo Putins Erfolg darin besteht, ein Regime zu unterstützen, das systematisch Gräueltaten an Zivilisten begeht, und wo heute gewiss kein Anlass zum Träumen besteht. Erst vor kurzem haben Angriffe auf das belagerte Ost-Ghuta nahe Damaskus die Welt erneut in Aufruhr versetzt.
Was sind die Folgen des öffentlichen Flirts mit Putin?
In zynischer Missachtung der Weltordnung und in eigentlich schockierender, jedoch nur allzu bekannter Weise stimmte Russland zwar für eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, mit der zu einer humanitären Waffenruhe aufgerufen wurde, um den Betroffenen Hilfe zu bringen, nur um anschließend Assads unbarmherzige militärische Angriffe weiter zu unterstützen. Und die Kampfhandlungen gehen weiter. Seit Jahresbeginn mussten mehr Menschen aus ihrer Heimat fliehen als jemals zuvor seit Beginn des Konflikts. In Idlib feierten die Einwohner gerade das Fastenbrechen zum Ende des Ramadan, als das russische Militär in einem Doppelschlag 44 Menschen tötete, darunter sechs Kinder.
Wenn jetzt während der WM führende Politiker aus aller Welt mit Putin feiern, ihm die Hand schütteln und ihm zu seiner Rolle als Gastgeber der „größten Show der Welt“ gratulieren, dann ist es für uns alle an der Zeit, an die Bilder der Kinder zu denken, die bei dem jüngsten Giftgasangriff auf die syrische Stadt Duma Vergiftungen erlitten haben. An die Kinder, die im Mittelmeer ertrunken sind bei dem Versuch, der Verwüstung, die Russland über Syrien gebracht hat, zu entkommen,. An die Zerstörung von Wohnhäusern und Sportstätten, an blutüberströmte alte Menschen und an Familien, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und nun vor Grenzen stehen, wo sie nicht willkommen sind. Und dann sollten wir an die Rolle denken, die Russland bei all diesen Tragödien gespielt hat.
Diese führenden Politiker sollten über Ursache und Folgen ihres Flirts mit einem Mann nachdenken, der ihre demokratischen, pluralistischen und offenen Gesellschaften in keiner Weise respektiert. Der – erhielte er die Gelegenheit dazu – die gesamte Weltordnung nach seinem Gutdünken umgestalten würde. Und für den dieser Augenblick des internationalen Ruhms und der Ehrerbietung in seinen Augen bereits der erste Schritt auf dem Weg dorthin sein könnte.
- Raed al-Saleh ist Chef der syrischen Weißhelme, einer Zivilschutzorganisation, die 2016 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Die syrische Regierung und Russland werfen ihr Propaganda vor.
Raed al-Saleh