Jürgen Trittin zum Irak-Mandat: „Wir sind nicht umgefallen"
In der Opposition bekämpften die Grünen das Mandat zum Kampf der Bundeswehr gegen die IS-Terrormiliz. Ihr außenpolitischer Sprecher begründet, warum sie nun zustimmen.
Jürgen Trittin (67) ist außenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Der Vertreter des linken Parteiflügels war unter anderem (1994 bis 1998) Vorsitzender der Grünen und Bundesumweltminister (1998 bis 2005).
Herr Trittin, die Grünen haben im Bundestag in der Opposition das Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr am Kampf gegen den Islamischen Staat stets geschlossen abgelehnt. Werden Sie der Verlängerung des Mandats nun zustimmen, da Sie in der Regierung sind?
Das alte Mandat hätten wir auch weiter abgelehnt. Aber hier handelt es sich um ein neues, anderes Mandat. Das alte Mandat war völkerrechtswidrig, denn es erlaubte Operationen über Syrien ohne nachvollziehbare Begründung. Deshalb haben wir es abgelehnt. Wir haben das Mandat auf eine saubere völkerrechtliche Grundlage gestellt. Das ist ein Verdienst unserer Außenministerin Annalena Baerbock. Wir haben sogar noch mehr erreicht. Es ist mit Zustimmung der Amerikaner die Ermächtigungen zu Kampfhandlungen im Irak zurückgenommen worden.
War Ihre frühere Kritik nicht weit umfassender – dass die deutschen Soldaten gefährdet seien und die politischen Ziele nicht erreicht würden?
Wir haben dafür gesorgt, dass in dem Mandat die Überprüfung dieses Einsatzes innerhalb der kommenden neun Monate festgeschrieben wird. Deshalb wird es eben nicht um ein Jahr verlängert. Welche Gefahren drohen, welche Erfolgsaussichten der Einsatz hat – all das wird nun einer soliden Überprüfung unterzogen und je nach Ergebnis können wir im Oktober entscheiden.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Und Ihre Warnungen, das Mandat könne seine politischen Ziele nicht erreichen?
Es gab Befürchtungen, vor allem in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump, dass wir in eine Eskalation hineinlaufen. Das ist aber nicht geschehen. Es hat mittlerweile Wahlen im Irak gegeben, der Einfluss iranisch dominierter Parteien ist zurückgedrängt worden. Die irakische Regierung ist sehr daran interessiert, dass europäische Länder sie weiter bei der Ausbildung ihrer Sicherheitskräfte unterstützen, damit sie nicht in eine einseitige Abhängigkeit vom Iran geraten. Und es hat Wahlen in den USA gegeben. Der Präsident heißt jetzt Biden.
Wer evaluiert den Einsatz?
Das wird das Außenministerium in Absprache mit dem Verteidigungsministerium koordinieren.
Das heißt, die Regierung bewertet sich selbst. Wäre es nicht sinnvoller, zum Beispiel unabhängige Experten zu beauftragen?
Die Regierung hat ein Interesse daran, im Herbst wieder eine Mehrheit für die Verlängerung des Mandats zu bekommen. Sie hat also auch ein eigenes Interesse daran, bei der Überprüfung den Sachverstand der Fraktionen zu nutzen. Es ist ein neuer Stil, die die Regierung schon im Vorfeld des neuen Irak-Mandats mit den Fraktionen intensiv eingebunden hat.
Wenn Sie militärische Aktionen auf syrischem Territorium für völkerrechtswidrig halten, warum betankt die Bundeswehr dann weiter alliierte Kampfjets, die genau dort IS-Ziele angreifen? Dann müssten Sie sich dem doch auch verweigern…
Ich hätte auch auf die Luftbetankungskomponente als Ganzes verzichten können, aber mir ist wichtig, dass sich deutsche Soldaten in einem völkerrechtskonformen Einsatz befinden. Aber auch das wird Gegenstand der Evaluierung sein.
Die Linkspartei wirft Ihnen vor, Sie seien jetzt an der Regierung aus opportunistischen Grünen umgefallen…
Wir sind nicht umgefallen, sondern wir haben uns durchgesetzt. Wir haben die schlimmsten Missstände beseitigt und gehen nun in die Evaluierung. Es wäre keine verlässliche Außenpolitik, wenn eine Regierungspartei sich einen schlanken Fuß machen wollte, indem sich die Bundesrepublik Deutschland innerhalb weniger Wochen aus einem seit Jahren bestehenden internationalen Einsatz verabschiedet. Was die Linkspartei betrifft: Auch eine grün-rot-rote Bundesregierung wäre nicht von heute auf morgen rausgegangen, das Mandat hätte genau so ausgesehen, wie das jetzige. Das wissen vor allem die, die sich jetzt aufplustern.
Die Grünen haben vor der Wahl versprochen, anders mit autokratischen Staaten umzugehen als die Vorgängerregierung – von „Dialog und Härte“ sprach Annalena Baerbock. Halten Sie angesichts der Spannungen zwischen Russland und dem Westen an diesem Ziel fest?
Wir sind in einer schwierigen Situation mit Russland, aber die Grünen zeigen auch jetzt, dass wir nach unseren Prinzipien handeln. Ein Beispiel: Nach dem gewaltsamen Vorgehen der kasachischen Regierung gegenüber Demonstranten hat das grüne Wirtschaftsministerium umgehend jede Form deutsche Rüstungsexporte in dieses Land gestoppt. Daran sehen Sie: Wir machen ernst mit einer menschenrechtsorientierten Politik.
Außenministerin Annalena Baerbock hat seit Amtsübernahme ihren Ton geändert – sie spricht nur noch von Dialog, nicht mehr von Härte und Dialog. Hat Sie ihre alten Ziele aufgegeben?
Nein. Auch der Nato-Russland-Rat am Mittwoch hat gezeigt, dass wir eine Politik der Abschreckung und des Dialogs verfolgen. Die Bundesregierung hat gegenüber Russland klar gesagt: Wenn es zu einer weiteren Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine kommt, dann wird das für Russland massive wirtschaftliche und politische Konsequenzen haben. Wir sind aber gleichzeitig bereit, mit Russland über berechtigte Sicherheitsinteressen zu reden.
Verfolgen Grüne und Sozialdemokraten in ihrer Russlandpolitik gegenwärtig die gleichen Ziele?
Die Bundesregierung ist in dieser Frage außerordentlich geschlossen.
Bundeskanzler Olaf Scholz nennt Nord Stream 2 ein privatwirtschaftliches Projekt, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ruft die Grünen auf: Gebt den Widerstand gegen Nord Stream 2 endlich auf! Werden Sie das tun?
Kevin Kühnert sollte mal tief durchatmen. Die gemeinsame Haltung in der Koalition ist klar: Europäische Infrastrukturprojekte unterliegen europäischem Energierecht. nicht einer parteiübergreifenden Mehrheit im US-Senat. Private Investoren bei Nord Stream 2 haben einen - an die Entkoppelung von Lieferant und Pipelinebetreiber gebundenen - Rechtsanspruch auf Genehmigung erworben. Aber trotzdem hat das Projekt eine politische Bedeutung. Wenn Russland anfängt, Energie als Waffe einzusetzen, dann wird Europa eine Antwort darauf geben. Diese wird eine politische und keine privatwirtschaftliche sein. Sie kann dann auch Projekte aus dem Energiesektor umfassen.
Sie spielen an auf die Einigung zwischen Berlin und Washington vom vergangenen Sommer, die geplante US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 überflüssig machen sollte…
Diese Verabredung gilt weiterhin. Das hat ja die Außenministerin in Abstimmung mit Olaf Scholz bei ihrem Besuch in Washington Anfang Januar gegenüber Antony Blinken wie auch Nancy Pelosi deutlich gemacht.
Es gibt US-Medienberichte über eine Verstärkung des russischen Militärs an der Grenze zur Ukraine, unter anderem mit Kampfflugzeugen. Wie bewerten Sie das?
Russland versucht dort, sein Erpressungspotenzial zu vergrößern. Wir sollten uns dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Egal, wie sich Russland militärisch aufbrezelt: Seine Führung muss wissen, wenn es diese militärische Macht gebraucht, wird das Konsequenzen nach sich ziehen, die für Russland verheerend sind. Daran kann niemand Interesse haben, schon gar nicht Russland.