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Bei sich selbst anfangen. Reinhard Bütikofer, Ex-Vorsitzender der Grünen, will nicht über Rot-Rot-Grün nach der nächsten Bundestagswahl diskutieren. Erst mal müssten die Grünen auf sich gucken und ein Ergebnis erzielen, das sie koalitionsfähig macht.
© dpa

Interview mit Reinhard Bütikofer über die Situation der Grünen: "Wir sind nicht angekommen, sondern unterwegs"

Grünen-Ex-Vorsitzender Reinhard Bütikofer spricht im Interview über Streit in der Grünen-Spitze, Steuermodelle von Jürgen Trittin und Farbenspiele im Bund.

Herr Bütikofer, warum sind die Grünen so von der Rolle?

Nicht ganz so düster, bitte. Wir sitzen in sieben Landesregierungen, demnächst sind es mit Thüringen wahrscheinlich acht. So viel Einfluss hatten wir selten.

Mag sein, aber im Bund geben die Grünen ein trauriges Bild ab: zerstrittene Führung, unklarer Kurs. Woran liegt das?
So sehen Sie das, ich sehe Klärungsprozesse. Zur Klärung muss auch mal gestritten werden. Nach der Bundestagswahl waren grundlegende Fehler aufzuarbeiten. Prägend für die Grünen ist der Spannungsbogen zwischen dem Kampf für individuelle Emanzipation und dem Eintreten für die Gemeinwohlverantwortung. Letzteres Motiv überzeugt nicht recht, wenn es den Menschen als Politik mit dem erhobenen Zeigefinger begegnet. Das erste Motive gerät in Zweifel, wenn deutlich wird, dass unter der Fahne der Emanzipation Interessen toleriert wurden, die unakzeptabel sind. Beides, ein gewisser Hang zum Vorsagen, wie die unaufgearbeiteten Positionierungen zur Pädophilie, haben uns auch selbst erschüttert. Beim Bundesparteitag steht das auch auf der Tagesordnung.

Wie stark hat der Steuererhöhungswahlkampf von Jürgen Trittin geschadet?
Ein Erfolgsmodell war es nicht, aber ich will nach vorne schauen.

Wie soll das gehen, wenn die Partei sich nicht von Trittins Erbe löst?
Jürgen Trittin hat für die Grünen viel geleistet, sich viel geleistet und auch etliches vermasselt. Lassen wir das ruhen. Natürlich müssen wir in der Steuerpolitik unsere Konzepte neu vermessen. Das wird auch passieren, in einem geordneten Prozess. Wir wissen, dass man uns da auf die Finger guckt.

Können es sich die Grünen weiter leisten, die Wirtschaft als Gegner zu begreifen?
Unser Bundestagswahlprogramm hat das nicht getan. Leider wurde dessen Wirtschaftsteil im Wahlkampf sehr verkürzt kommuniziert: Da waren wir 2009 schon einmal weiter. Und klar ist, man muss bereit sein zuzuhören, wenn man gehört werden will.

Worüber wollen Sie den Dialog mit der Wirtschaft denn führen?
Unsere wichtigste Botschaft ist: Der ökologische Umbau ist auch eine ökonomische Notwendigkeit und Chance. Die deutsche Wirtschaft wird in der internationalen Konkurrenz auf Dauer nur bestehen können, wenn sie sich so verändert. Wettbewerbsfähigkeit setzt Nachhaltigkeit voraus. Mit diesem Ansatz macht Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg erfolgreich Politik.

Was können die Bundes-Grünen noch von Baden-Württemberg lernen?
Lernen kann man nicht nur von dort. Unser Erfolg in den Ländern hat damit zu tun, dass wir es geschafft haben, uns in der jeweiligen Landeskultur zu verankern. Das ist nicht einfach auf den Bund übertragbar. Der Bund kann nicht von Baden-Württemberg aus ferngesteuert werden und Baden-Württemberg nicht vom Bund aus.

Warum sind in Ihrer Partei so wenige stolz auf Kretschmann als ersten grünen Ministerpräsidenten?
Da höre ich anderes, wenn ich unterwegs bin.

Wegen der Zustimmung zum Asylkompromiss musste er sich vorwerfen lassen, er habe grüne Grundsätze verraten…
Solche Vorwürfe teile ich nicht. Im Übrigen eignet sich der Bundesrat nicht, um parteipolitische Ziele eins zu eins in Gesetze zu gießen. Sein Wesen ist Kompromiss. Die historisch einzige Ausnahme: Oskar Lafontaines Blockadepolitik zum Ende der Kohl-Ära.

Fürchten Sie auf dem Parteitag eine Abrechnung mit Kretschmann?
Diskussion muss sein. Aber niemand wird vergessen, dass die Baden-Württemberg-Wahl 2016 auch für die Grünen im Bund von herausragender Bedeutung ist.

Welches Signal sollte denn vom Parteitag ausgehen?
Wir Grüne entwickeln neues Selbstbewusstsein. Kämpferische Opposition im Bund ist mindestens so wichtig wie die Regierungsaufgabe in den Ländern. Angriffspunkte gibt es genug. Gegen die Abschottungspolitik von Innenminister Thomas de Maizière gegen Flüchtlinge und Zuwanderer. Gegen Sigmar Gabriels unverantwortliche Rückkehr zum Klimakiller Kohle. Gegen Wolfgang Schäubles heroische Inszenierung der „schwarzen Null“, die eine Abkehr von der verflixten Austeritätspolitik in Europa verweigert, obwohl die Wirtschaft abzuschmieren droht.

Bisher kämpft die Führung der Grünen auf Bundesebene aber vor allem gegen sich selbst. Wie lange soll das Ihrer Meinung nach so weitergehen?
Ich habe einmal zu einer Führungsriege gehört, zusammen mit Claudia Roth, Renate Künast, Fritz Kuhn und Jürgen Trittin, die zeitweise als „Pentagramm des Grauens“ verspottet wurde. Heute verklärt man uns bald zu Heroen der grünen Geschichte. Man sollte sich nicht von jeder Polemik aus den Schuhen wehen lassen.

Lässt sich die neue Führung denn zu leicht aus den Schuhen wehen?
Doppelte Doppelspitze ist immer schwierig. Aber das sind die Spielregeln für jede grüne Führung. Das erfordert Zusammenarbeit.

Die vier an der Spitze sollten sich also zusammenraufen, statt sich zu beharken?
Zusammenarbeit muss sein. Aber es bringt nichts, wenn wir nur Parteitagsanträge hätten, unter denen Boris Palmer und Jürgen Trittin gemeinsam stehen. Mir ist es im Zweifel lieber, wenn in der Sache gestritten wird. Wir Grüne sind nämlich noch nicht „angekommen“, wie ein Antrag meint, sondern immer noch unterwegs! Wir sind uns zwar einig, dass wir nicht im Kampfmodus gegen die Gesellschaft sind, aber im Kampfmodus für grüne Ziele schon.

Sind Sie sicher, dass die Grünen mit diesem Führungsquartett in die Bundestagswahl ziehen?
Fragen Sie in zwei Jahren. Ich bin aber ziemlich sicher, dass es wieder eine Urabstimmung über die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten geben wird.

Gestritten wird auch über die Frage, ob die Grünen 2017 im Bund ein Linksbündnis mit SPD und Linken eingehen oder doch lieber auf Schwarz-Grün setzen sollen …
Als wären wir so stark, dass wir uns das bequem aussuchen könnten. Rot-Rot-Grün auf Bundesebene hat in letzter Zeit durch das Agieren der Linkspartei massiv an Plausibilität eingebüßt. Aber dass die Union in der Flüchtlings- oder Klimapolitik, Wirtschafts- oder Sozialpolitik ernsthaft auf uns zukäme, sehe ich auch nicht. Zudem wird sie von rechts durch die AfD unter Druck geraten.

Sie meinen, am Ende bleibt den Grünen nur der erneute Gang in die Opposition?
Als Allererstes müssen wir stärker werden. Ich bin gewiss dafür zu schauen, ob wir in Regierungsnähe kommen. Aber das kommt dann.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Stephan Haselberger.

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