Streit um digitalen Impfpass: „Wir sind Hausärzte und nicht das Passamt“
Gesundheitsminister Spahn will Praxen einbinden, um vollständig Geimpften im Nachhinein das Zertifikat auszustellen. Doch Hausärzte wehren sich gegen die Pläne.
Die Zahl der Zweitimpfungen gegen das Coronavirus in Deutschland steigt und damit die Zahl derer, für die nach Ablauf einer zweiwöchigen Wartezeit erhebliche Lockerungen der Auflagen gelten – bisher gegen Vorlage des gelben Impfpasses. Geplant ist aber auch ein digitales Impfzertifikat. Und hier bahnt sich neuer Streit an.
Am Donnerstagabend hatten sich Unterhändler der EU-Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments auf die Ausgestaltung der Bescheinigung geeinigt, mit der dann einfacher eine Covid-19-Impfung nachgewiesen werden kann. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht davon aus, dass der Pass auf dem Smartphone in den nächsten Wochen zur Verfügung steht. Die entsprechende App, in die das Impfzertifikat eingescannt werden kann, solle dann fertig sein. „Es bleibt bei meiner Aussage: zweite Hälfte des zweiten Quartals“, sagte er am Freitag in Berlin.
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Wie Spahn sagte, solle jeder den digitalen Pass bei der Impfung beim Hausarzt oder im Impfzentrum ausgestellt bekommen. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt, wenn in den Impfzentren entsprechende Kontaktdaten vorliegen, sollen die QR-Codes möglichst automatisch per Post zugesandt werden.
Soweit so gut. Aber was ist mit den Millionen in Deutschland, die bis zur Einführung des Zertifikats bereits zwei Mal in Praxen geimpft sind oder den Genesenen, die die für sie nur nötige Einmalimpfung erhalten haben? Bis Donnerstag hatten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland rund 32,6 Millionen Menschen eine erste, 10,9 Millionen bereits die zweite Dosis bekommen. Die Zahl der von Erkrankungen durch das Coronavirus genesenen Menschen bezifferte das RKI auf rund 3,374 Millionen.
Dem RKI-Impfquotenmonitoring zufolge bekamen etwa 10,46 Millionen Frauen und Männer die erste Spritze und 1,4 Millionen auch schon die zweite Dosis bei niedergelassenen Ärzten. Bis Ende des Monats liegt der Schwerpunkt der Impfkampagne zudem auf den Zweitimpfungen.
Viele dieser Menschen müssen sich den digitalen Pass nachträglich besorgen, wenn sie das Zertifikat haben wollen. Spahn möchte dabei - Stand heute - die Hausärzte und auch die Apotheken einbinden, weil sie an das dafür erforderliche IT-System angebunden sind. Ärzte und Apotheken sollen dafür vergütet werden.
Die an der Impfkampagne beteiligten Hausärzte aber wehren sich gegen Pläne einer nachträglichen digitalen Erfassung der Impfungen. „Jeglicher zusätzliche Aufwand ist definitiv zu viel“, hatte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, der Nachrichtenagentur Reuters bereits am Donnerstag gesagt. „Daher kann man unseren Praxen auch nicht zumuten, dass wir zusätzlich noch die nachträgliche Erfassung der Impfungen übernehmen. Wir sind Hausärzte und nicht das Passamt“, fügte er hinzu.
Man könne den Ärzten neben der Patientenversorgung, den Impfungen und den Testungen nicht noch mehr aufbürden, sagte er. Mit der Aufhebung der Priorisierung bei den Impfungen trotz immer noch knapper Impfstoffmengen werde die Belastung in den Praxen ohnehin zunehmen – wegen der ständigen Versuche von Patienten, sich einen Impftermin zu besorgen. Hinzu komme der Druck durch die Enttäuschung und die Wut einiger Patienten, die noch keinen Termin bekommen könnten, sagte Weigelt.
Auch Patientenschützer beklagen den bereits jetzt großen Andrang auf die Praxen. „Es darf nicht sein, dass Patienten mit Arthrose, Diabetes, Asthma oder Herzinsuffizienz Abstriche bei ihrer Therapie hinnehmen müssen“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.
Viele Praxen hätten mittlerweile die telefonische Erreichbarkeit eingestellt. „Oft gibt es lediglich einen Hinweis, dass der Kontakt nur per E-Mail erfolgen kann. So werden ganze Patientengruppen ausgeschlossen. Das ist unzumutbar.“
Der Apothekenverband rechnet dagegen ab Mitte Juni mit einer Digitalisierung von Impfnachweisen. „Wir arbeiten unter Hochdruck an einer Lösung und gehen davon aus, dass Apotheken bereits ab Mitte Juni Impfnachweise digitalisieren können“, sagte der Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Reiner Kern, den Zeitungen der „Funke“-Mediengruppe.
Voraussetzung sei allerdings, dass alle rechtlichen und technischen Vorgaben, die Dritte liefern müssten, schnellstmöglich geregelt würden. Es könnten sich nicht alle Apotheken an der Digitalisierung der Impfnachweise beteiligen, da nicht alle über die nötigen Ressourcen verfügten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die 16 Ministerpräsidenten werden am nächsten Donnerstag über offene Fragen beim Impfen reden. Dazu gehört eben die digitale Erfassung der Impfungen, die für den geplanten digitalen Impfnachweis Voraussetzung ist.
Am Donnerstagabend hatten sich das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten auf die Einführung eines Impfzertifikats für Reisen ab dem Sommer geeinigt. Wie Parlaments-Verhandlungsführer Juan Fernando López Aguilar, soll das digital lesbare Dokument ab dem 1. Juli EU-weit das Reisen erleichtern, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.
Das Zertifikat soll Aufschluss darüber geben, welchen Impfstoff die Inhaberin oder der Inhaber erhalten hat. Zudem sollen auch Informationen zu frischen Tests und durchgestandenen Corona-Infektionen hinterlegt werden sowie der Name, das Geburtsdatum, das Impfdatum und der Aussteller des Zertifikats ausgelesen werden können.
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Zum einen soll es möglich sein, die Nachweise digital auf dem Smartphone in einer sogenannten Wallet App zu hinterlegen – in Deutschland wird das unter anderem die Corona-Warn-App sein. Mit Hilfe des QR-Codes sollen die Informationen in der ganzen EU fälschungssicher ausgelesen werden können. Wer kein Smartphone besitzt oder das Zertifikat nicht digital speichern möchte, kann es zum anderen auch in Papierform bekommen.
Pflicht wird das digitale Zertifikat nicht. „Der digitale Impfnachweis ist lediglich ein freiwilliges und ergänzendes Angebot“, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Wer es nicht besitze, könne eine Impfung weiterhin über den gelben Impfausweis nachweisen.
Für was der digitale Impfausweis aber gelten soll, entscheiden die Mitgliedsländer der Europäischen Union selbst. Ursprünglich sollte es nach dem Willen des Parlaments die Inhaber von zusätzlichen Beschränkungen wie Quarantäne und weiteren Tests befreien, berichtet die Nachrichtenagentur epd. Die EU-Regierungen wollten nicht so weit gehen und sich Beschränkungen vorbehalten. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sprach demnach dennoch von einem „wichtigen Schritt, um Freizügigkeit in der EU so sicher wie möglich wiederherzustellen“. Die Regelung schaffe nun „Klarheit und Gewissheit für unsere Bürger“.