Interview zum Umgang mit Flüchtlingen: "Wir können den Balkan nicht abkoppeln"
Der Arbeitsmarktexperte Herbert Brücker schlägt vor, Asylbewerbern ein Angebot zu machen: Wer seinen aussichtslosen Antrag zurückzieht, soll bleiben dürfen, wenn er Arbeit findet
Herr Brücker, in Deutschlands Asylunterkünften sitzen tausende Menschen, die wohl nicht bleiben dürfen. Sie schlagen vor, ihnen einen Spurwechsel anzubieten. Was meinen Sie damit?
In Schweden wird bereits erprobt, Zuwanderern vor allem aus Balkanstaaten zu erlauben, sich einen Arbeitsplatz zu suchen. Wem das gelingt, der erhält ein befristetes Arbeits- und Aufenthaltsrecht. Das sollte zumindest für Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Hochschulabschluss gelten. Unter Arbeitsmarktgesichtspunkten wäre das völlig unproblematisch. Und wenn das erfolgreich ist, könnte man diesen Weg auch für Personen öffnen, die keine Berufsausbildung haben.
Auch das müssen Sie erklären.
Das Arbeitsangebot schreitet derzeit von einem historischen Höhepunkt zum nächsten. Das gilt nicht nur für qualifizierte Berufe, sondern auch für Branchen wie Landwirtschaft, Gastronomie und Bauwirtschaft. Auch Hilfstätigkeiten in der Pflege sind nachgefragt. Insgesamt sind zwischen 2010 und 2014 eine Million Arbeitsplätze in diesen Bereichen entstanden. Es gibt also durchaus auch einen Bedarf an Arbeitskräften ohne qualifizierte Berufsausbildung.
Wird das denn so bleiben?
Langfristig brauchen wir eine Zuwanderung von 400.000 bis 500.000 Menschen jährlich, um den demografischen Wandel zu kompensieren. Derzeit erreichen wir diese Zahlen, weil viele Zuwanderer aus der Europäischen Union zu uns kommen. Wenn sich ihre Heimatländer erholen, wird die Zuwanderung voraussichtlich wieder abnehmen. Durchschnittlich lag die Zahl der Zuwanderer in der letzten Dekade nur bei 95.000.
Das klingt schlüssig, bleibt die Frage, ob ihr Vorschlag politisch durchsetzbar wäre?
Angesichts des hohen Drucks auf das Asylsystem könnte ein solcher Weg für die Politik interessant sein.
Glauben Sie wirklich, dass Politiker ihre Wähler davon überzeugen können, dass sie von einer massenhaften Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt profitieren?
Ich glaube, das ist unproblematischer als die aktuelle Flüchtlingsdebatte. Das Zahlen von Sozialleistungen an Flüchtlinge und deren Unterbringung sind ja auch nicht populär. Und auf dem Arbeitsmarkt haben wir derzeit kein Problem, Verdrängungseffekte sind nicht zu erwarten. Derzeit sinkt die Arbeitslosigkeit parallel zur Zuwanderung. Wir können also mehr Zuwanderer verkraften, und mittelfristig brauchen wir sie auch.
Die Politik setzt aber vor allem darauf, potenzielle Asylbewerber abzuschrecken…
Ich bezweifle, dass das gelingen kann. Die Region, um die es hier geht, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien und Albanien, liegt am Rande der EU. Wir können diese Region, die mit 18 Millionen Menschen relativ überschaubar ist, nicht dauerhaft von den europäischen Arbeitsmärkten abkoppeln. Zumal die Länder langfristig ohnehin in die EU streben.
Aber werden wir nicht einen neuen Ansturm erleben, wenn wir Asylbewerbern von dort Zugang zum Arbeitsmarkt geben.
Die Menschen werden auf jeden Fall weiter zu uns kommen, im Zweifel reisen sie illegal ein und arbeiten dann schwarz. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Natürlich kann nicht jeder, der unsere Grenze passiert, einen Anspruch auf Sozialleistungen erhalten. Aber wer ausreichend Mittel hat, um hier eine Zeit lang zu überleben, sollte für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen dürfen, um Arbeit zu suchen. Das sieht das deutsche Aufenthaltsrecht im Prinzip auch schon vor, allerdings nur, wenn die Bildungsabschlüsse in Deutschland anerkannt sind. Das ist eine extrem hohe Hürde. Die sollten wir überdenken.
Wir sollen also Menschen mit fragwürdigen Qualifikationen am Arbeitsmarkt zulassen?
Man muss das pragmatisch handhaben. Wenn jemand eine Klempnerausbildung hat, hier Arbeit als Klempner findet und sich bewährt, dann sollte sein Abschluss anerkannt werden. Ausgenommen sind reglementierte Berufe wie Bauingenieure oder Ärzte- Grundsätzlich gilt: Der Sozialstaat profitiert von allen, die Steuern und Abgaben zahlen.
Herbert Brücker ist Forschungsbereichsleiter Internationale Vergleiche und Europäische Integration im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.