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Historische Unterschrift: US-Präsident Ronald Reagan (r) und der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen 1987 den INF-Vertrag zur Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen.
© dpa

Trump will den INF-Vertrags kündigen: "Wir entfernen uns vom Ziel einer atomwaffenfreien Welt"

Oliver Meier ist Experte für Massenvernichtungswaffen der Stiftung Wissenschaft und Politik. In Trumps Politik sieht er große Risiken. Ein Interview.

Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel befürchtet einen „atomaren Wahnsinn“, wenn Trump seine Drohung wahr macht und aus dem INF-Vertrag aussteigt. Kehrt die Gefahr atomarer Hochrüstung wie nach Mitteleuropa zurück?

Ganz so schnell wird diese Entwicklung nicht eintreten, unerfreulich ist sie trotzdem. Ohne INF-Vertrag gäbe es weniger Begrenzungen, die ein solches Wettrüsten verhindern. Außerdem muss man befürchten, dass der New-Start-Vertrag über die Begrenzung weit reichender Atomwaffen dann nicht verlängert wird, der 2021 ausläuft. Dann gäbe es gar keine nuklearen Rüstungsabkommen mehr zwischen den USA und Russland. Das wäre eine beunruhigende Situation.

Kann Trump den INF-Vertrag völkerrechtlich kündigen?

Er muss das Völkerrecht dafür nicht brechen. Der Vertrag hat eine Ausstiegsklausel, die es erlaubt, sich auf die höchsten Interessen des eigenen Landes zu berufen. Dann gilt eine sechsmonatige Übergangsfrist.

Gibt es Gegenspieler im politischen System der USA, die eine Kündigung verhindern könnten?

Beim INF-Vertrag wird der Kongress dem Präsidenten keine Steine in den Weg legen. Im Gegenteil: Der Kongress ist schon länger sehr besorgt wegen russischer Vertragsverstöße gegen den INF-Vertrag und hat versucht, die Regierung zu einer Ausstiegsdrohung zu bewegen, damit Russland einlenkt.

Welche Einflussmöglichkeit hat Deutschland auf Trump?

Deutschland ist so wenig wie andere EU-Staaten Vertragspartei, deshalb sind seine Einflussmöglichkeiten begrenzt. Wichtig ist, dass dieses Thema weiter in der Nato diskutiert wird, um amerikanische Alleingänge bei der Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhindern. Das ist auch wichtig, um zu verhindern, dass Russland die Nato in dieser Frage spaltet.

Trump und die Nato werfen Russland vor, es verstoße mit der Entwicklung neuer Mittelstreckenwaffen vom Typ SSC-8 gegen den INF-Vertrag. Wie plausibel ist das?

Die USA werfen dies Russland seit vielen Jahren vor, dass ihre neuen Marschflugkörper gegen diesen Vertrag verstoßen. Russland könnte demonstrieren, dass diese neue Waffe nicht gegen den Vertrag verstößt, hat diese Möglichkeit aber bislang ausgeschlagen. Das gibt den Vorwürfen Plausibilität.

Umgekehrt bezichtigt Moskau die Nato, sie verstoße mit der Stationierung von Abwehrwaffen gegen iranische Langstreckenraketen in Rumänien gegen den INF-Vertrag, weil sich diese zum Abschuss von Marschflugkörpern umrüsten ließen und so die Zweitschlagsfähigkeit Russlands unterminierten. Was ist dran an diesen Vorwürfen?

Es geht nicht nur um die Basis in Rumänien, in zwei Jahren soll eine ähnliche Basis auch in Polen fertiggestellt werden. Die US-Regierung und die Nato bestehen darauf, dass die Systeme keine Offensivwaffen abfeuern können. Die russischen Vorwürfe aber sind nicht so leicht zu widerlegen, da es um modulare Abschusssysteme geht, die im Prinzip auch Marschflugkörper verschießen könnten. Durch Transparenz und die Bereitschaft zu Inspektionen ließe sich der Streit aber wohl aus der Welt schaffen.

Warum passiert das nicht?

Technisch wären gegenseitige Inspektionen möglich, aber es mangelt am politischen Willen. Wenn Russland tatsächlich gegen den Vertrag verstößt und dies bewiesen wäre, müsste Moskau die entsprechenden Systeme verschrotten, zerstören oder abrüsten was politisches Kapital und auch viel Geld kosten würde.

Verstößt die russische Stationierung von Kurzstreckenraketen vom Typ "Iskander" in Kaliningrad gegen den Vertrag, da diese Europa erreichen können?

Soweit wir wissen, verstoßen diese Systeme nicht gegen den Vertrag, weil ihre Reichweite unter 500 Kilometern liegt. Trotzdem ist die Modernisierung dieser Kurzstreckenwaffen beunruhigend.

Trump will die Chinesen in das Abkommen mit einbeziehen. Sehen Sie irgendwelche Chancen, dass Peking dazu bereit ist?

Nein, bisher nicht. Die Idee, andere Atomwaffenmächte in den Vertrag einzubinden, gibt es schon länger. Das wäre auch sinnvoll. Staaten wie China oder Indien werden aber keine Anreize gegeben, auf diese Systeme zu verzichten.

Es ist noch nicht so lange her, dass Barack Obama 2009 in Prag das Ziel „Global Zero“ für Atomwaffen ausgab. War das naiv - oder hat sich die politische Lage dramatisch verschlechtert?

Die Welt hat sich sicherlich von diesem Ziel entfernt, besonders nachdem 2014 Russland die Krim annektierte. Das heißt aber nicht, dass das Ziel an sich falsch ist. Wir müssen zu einer Atomwaffen-freien Welt kommen, wenn wir die Gefahren dieser Waffen nicht in Kauf nehmen wollen. Auch die Krise um den IWF-Vertrag zeigt doch, wie gefährlich es ist, durch Atomwaffen Stabilität schaffen zu wollen.

Wo gibt es irgendeinen Schritt hin zu diesem Ziel?

Nicht nur in Europa, auch in Asien geht die Entwicklung hin zu mehr Atomwaffen. Das könnte auch im Mittleren Osten der Fall sein, wenn das Iran-Abkommen tatsächlich scheitert, dann droht ein atomarer Rüstungswettlauf in der Region. Den USA und Russland kommt besondere Verantwortung zu, weil sie über mehr als 90 Prozent der weltweit knapp 15.000 Atomwaffen unter ihrer Kontrolle haben. Es wäre ein großer Schritt, wenn sie sich darauf einigen würden, wenigstens den Status quo zu erhalten. Solange die politisch Verantwortlichen diese Einsicht aber nicht haben, werden wir uns weiter vom Ziel einer atomwaffenfreien Welt entfernen.

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