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Nach den Verheerungen durch den Nazi-Nationalismus hat es in Deutschland zunächst einen Bruch in der nationalen Selbstwahrnehmung gegeben. Das betraf auch die Fahne.
© Michael Reichel/dpa

Das Deutschlandbild: Wie viel Fahne braucht das Land?

Nach der #unteilbar-Demo wurde die geringe Zahl der geschwenkten Deutschland-Fahnen Thema. Und das ist nur der jüngste Hinweis auf ein neuerlich schwieriges Verhältnis von Land und Stoff. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Peter von Becker

Vor gut zweihundert Jahren, im Oktober 1817, schwenkten demokratisch gesinnte Studenten aus Jena und anderen deutschen Städten auf der Wartburg demonstrativ die schwarz-rot-goldene Fahne. Bei der gescheiterten Revolution im Jahr 1848 war Schwarz-Rot-Gold dann bereits das Symbol derer, die für eine von absolutistischer Willkür und Kleinstaaterei befreite, ungeteilte Nation eintraten.

Als am vergangenen Wochenende zweihunderttausend Menschen in Berlin unter dem Motto „Unteilbar“ gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit demonstrierten, haben einige Teilnehmer im Nachhinein angemerkt, dass neben den vielen Transparenten kaum einmal die Deutschlandfahne gezeigt worden sei.

Nicht nur Berlins Innensenator Andreas Geisel hatte bei der ansonsten als Zeichen der humanen Zivilgesellschaft begrüßten Demo offenbar etwas vermisst. Der scheinbare Randaspekt berührt also die Frage: Wie viel nationale Symbole braucht eine mehrheitlich weltoffene Demokratie für ihre Identität? Zumal in einem von partikularen Fliehkräften bedrohten europäischen Verbund.

Nach den Verheerungen durch den Nazi-Nationalismus hat es in Deutschland zunächst einen Bruch in der nationalen Selbstwahrnehmung gegeben. Das betraf auch die staatlichen Symbole, sogar die in West und Ost miteinander geteilten Staatsfarben Schwarz-Rot-Gold.

Die neue Rechte bringt tolerante Patrioten in die Bredouille

Es war ja die Trikolore auch der Weimarer Republik, der ersten Demokratie. Sie wurde von der Diktatur 1933 abgeschafft und davor schon von Rechten als „Schwarz-Rot-Senf“ diffamiert. Erst mit der innerdeutschen Wende 1989/90 wehten vermehrt wieder schwarz-rot-goldene Fahnen auf Straßen und Plätzen, nunmehr ohne Hammer und Zirkel und meist auch ohne den Bundesadler. Und mit dem WM-Sommermärchen 2006 schien im fröhlichen Wimpelmeer sogar der teutonische Ballast unterzugehen, es herrschte ein eher spielerischer Patriotismus. Das ist heute lange her.

Die neue Rechte, in der sich Konservative und Extremisten mischen, sie bringt die weltoffenen Patrioten bei der Flaggenfrage tatsächlich in die Bredouille. Vermutlich hat auch bei „Unteilbar“ eine Rolle gespielt, dass spätestens seit Pegida die Deutschlandfahne als populistisches oder polemisches Zeichen missverstanden werden kann. Darum trugen auf der Berliner Demo manche Schwarz-Rot-Gold nur zusammen mit den EU-Sternen.

Es geht freilich darum, dass die Demokratie sich ihre eigenen Symbole nicht aus vorauseilender Besorgnis selbst versagt. Viele Menschen brauchen für ihr persönliches oder zivilgesellschaftliches Selbstverständnis nicht unbedingt Wappen, Fahnen oder Hymnen. Brauchen auch keinen inneren Fahnenappell und keinen Fahnenmast in ihrem Vorgarten.

Sie verwenden zudem nicht dauernd das Wort „Volk“. Aber sie wollen sich trotzdem nicht einbrüllen lassen, dass eine rechte Minderheit behauptet, das Volk zu sein, und beginnt, die übrigen Mitbürger in Deutschland wieder völkisch zu kennzeichnen, zu diffamieren, zu selektieren.

Auch wenn der Einzelne in einer pluralen Sozietät Fahne, Volk und Vaterland nicht ständig demonstrativ im Schilde führt: Die Gesamtheit, die keine unfriedlich gespaltene Gesellschaft und kein geteiltes Land will, sollte die Wahrzeichen ihrer Republik mit Selbstbewusstsein verteidigen. Das Grundgesetz – und die Farben von Freiheit und Demokratie.

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