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Wegen Corona saßen die Zuhörer von FDP-Chef Christian Lindner zu Hause an ihren Bildschirmen.
© imago images/Arnulf Hettrich

Die Umarmung des Herrn Lindner: Wie sich die FDP in der Regierung profilieren will

„Respekt“ und „Empathie“: Bei ihrem Dreikönigstreffen präsentieren sich die Liberalen als Partei des sozialen Aufstiegs. Doch 2022 wird kein einfaches Jahr für die FDP.

Christian Lindner will eine Anekdote erzählen. „Es trug sich zu“, beginnt der FDP-Chef und lächelt leicht, „dass John F. Kennedy einst den Weltraumflughafen von Cape Canaveral besuchte“. Auf seinem Weg über das Gelände habe der damalige US-Präsident einen Mann gesehen, der in einem Hangar den Boden bohnerte. Kennedy fragte, was er mache und der Mann antwortete: „Einen Mann auf den Mond bringen.“

Lindner steht auf der großen Bühne des Stuttgarter Opernhauses und schaut jetzt direkt in die Kamera: „Das ist unser Verständnis von Respekt in einer vielfältigen Gesellschaft.“ Der bemesse sich an der Anerkennung des individuellen Beitrags, „den jemand zum Gelingen unserer Gesellschaft beitragen möchte.“

Applaus gibt es nicht an dieser Stelle, denn die Ränge des Opernhauses sind wegen Corona so gut wie leer – übertragen wird digital. Doch das traditionelle Dreikönigstreffen, mit dem Liberale seit dem 19. Jahrhundert den Jahresauftakt begehen, ist für Christian Lindner und seine Partei auch in diesem Jahr wichtig.

Gegen das alte Image

2022 wird nicht einfach für die FDP. Die Partei muss sich darüber klar werden, welche Rolle sie in der Ampel-Regierung spielen will, die nicht der Wunsch vieler Anhänger war. Die Schwierigkeit: Das Profil der Partei schärfen und gleichzeitig auch jene Projekte der Regierung mittragen, von denen die FDP nicht überzeugt ist.

In Stuttgart wird deutlich, in welche Richtung die FDP-Spitze die Partei entwickeln will. Dass Lindner die Kennedy-Anekdote bringt, dass er über „Respekt“ spricht – ein Wort, das sonst zu den Lieblingsvokabeln von Kanzler Olaf Scholz gehört – ist Strategie. Schon früher wollte der FDP-Chef eine Art „mitfühlenden Liberalismus“ etablieren – auch um das Image der FDP als kalte Besserverdienerpartei loszuwerden. Die Wortschöpfung verwendet Lindner heute nicht mehr, doch die Idee ist geblieben.

Die FDP, erklärt der neue Finanzminister, habe großen „Respekt“ vor denen, die etwas erreicht hätten. Aber die benötigten nicht zwingend Unterstützung. Dagegen bräuchten jene eine Lobby, die sich erst auf den Weg machten, „die Aufsteiger, die Außenseiter, die Newcomer, die Startups“. Die beste soziale Politik sei jene, „die in die Chancen und Köpfe der Menschen investiert“, erklärt Lindner. „Eine Bildungspolitik, die die Menschen befähigt, die Souveränität über ihren Lebenslauf tatsächlich auszuüben.“

Die FDP – das ist offensichtlich – will sich verstärkt als Partei des sozialen Aufstiegs positionieren. Das zeigt auch der Auftritt des designierten Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai. Es ist die erste große Rede des 45-Jährigen in der neuen Rolle.

Eine Politik, „die empathisch ist“

Er erzählt von seiner Vergangenheit. Djir-Sarai ist im Iran aufgewachsen und hat, wie er sagt, Diktatur erlebt, Revolution, Krieg und Menschenrechtsverletzungen. Er sei stolz darauf, dass der FDP Kompetenz zugeschrieben werde bei Wirtschaft und Finanzen, sagt Djir-Sarai. Er wünsche sich aber, dass die FDP künftig die gesellschaftspolitischen Debatten mitpräge. „Ich möchte, dass wir diejenigen sind, die dafür sorgen, dass der soziale Aufstieg nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängig ist.“

Er möge eine Politik, „die empathisch ist“ und sich um „die Sorgen und Nöte der Menschen“ kümmere, erklärte Djir-Sarai. In Diskussionen um die Auswirkungen der Corona-Pandemie dürfe es nicht nur um die wirtschaftlichen Schäden gehen, sondern es müsse auch darüber geredet werden, was die Pandemie „mit der Seele der Menschen gemacht hat“.

Doch gerade die Coronapolitik der FDP steht immer wieder in der Kritik. Im Vorfeld des Dreikönigstreffens fordert der FDP-Politiker und frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, die Partei müsse klären, welches Freiheitsverständnis ihrer Politik zu Grunde liege. „Misstrauen gegen staatliche Eingriffe ist zwar ein Wesensmerkmal der Liberalen“, schrieb Baum in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“. Gravierende individuelle Grundrechtseinschränkungen müssten aber hingenommen werden, wenn es um den Schutz von Leben und Gesundheit geht.

Kommende Schwierigkeiten spielen kaum eine Rolle

Lindner macht seine Position in Stuttgart noch einmal klar: „Der Schutz der Gesundheit ist ein hohes Gut, aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit.“ Auch wenn die FDP in der Coronapolitik immer wieder nachsteuern musste, lobt Lindner die eigene Krisenstrategie.

In Sachen Impfpflicht positioniert er sich nicht eindeutig. Er bezeichnet sie als „empfindlichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht“. Es sei natürlich, dass es in der FDP dazu unterschiedliche Positionen gebe. Dass im Bundestag auf Initiative der FDP hin über die Frage nicht anhand von Fraktionslinien entschieden werde, sondern die Debatte offen geführt werde, sei ein Beitrag zur „Versöhnung der Gesellschaft“.

Ohnehin wird in Stuttgart deutlich, dass Lindner jetzt auch Umarmer sein will. Man wolle für die Wähler von CDU und CSU da sein, erklärt er. Er schreibt sich den Klimaschutz auf die Fahnen, erteilt der Atomenergie in Deutschland eine Absage („nachhaltig nicht verantwortbar“) und verspricht Menschen, die unter den hohen Energie- und Gaspreisen leiden, Unterstützung.

Die Widersprüche, die die FDP in der Regierung wird aushalten müssen, spielen dagegen in Stuttgart kaum eine Rolle. Leise anklingen lässt sie nur die baden-württembergische Generalsekretärin Judith Skudelny. Nicht jedes einzelne Projekt der Ampel, sagt sie, werde „im Wahlkampfbuch“ des FDP-Parteiprogramms stehen.

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