Verfassungsschutz: Wie realistisch ist eine Beobachtung der AfD?
Wegen der Rolle der AfD bei den Protesten in Chemnitz werden die Rufe nach ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz lauter. Doch die Hürden sind hoch.
Angesichts der Rolle, die die AfD bei den eskalierenden rechten Protesten in Chemnitz spielt, werden die Rufe nach einer Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz lauter. Vertreter von AfD und dem fremdenfeindlichen Pegida-Bündnis waren am Samstag gemeinsam durch die Innenstadt marschiert – AfD-Rechtsaußen Björn Höcke Seite an Seite mit dem Pegida-Anführer Lutz Bachmann. Tage zuvor hatte bereits AfD-Chef Alexander Gauland Verständnis für die von Ausschreitungen begleiteten Proteste geäußert.
Prominente Grünen-Politiker wie Parteichefin Annalena Baerbock sprachen sich für eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz aus, der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka plädierte dafür, Teile der Partei zu überwachen. Auch der CDU-Innenexperte Armin Schuster hatte Verfassungsschutzbehörden der Länder in den vergangenen Tagen aufgefordert, die AfD genauer unter die Lupe zu nehmen. Bundesinnenminister Horst Seehofer erteilte dem eine Absage. „Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei als Ganzes für mich nicht vor“, sagte der CSU-Chef den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Früher wurde auch die Linke beobachtet
Immer wieder wird über eine Beobachtung der AfD debattiert, zuletzt 2017. Damals hatte Höcke in seiner Dresdner Rede eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert, wovon sich die Parteispitze allerdings distanzierte. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen stellte bereits 2016 klar, dass die AfD aus Sicht des Verfassungsschutzes keine rechtsextremistische Partei sei und die Voraussetzungen für eine Beobachtung nicht erfülle. Allerdings drängen einige der Landesämter offenbar darauf, deutschlandweit Material für eine mögliche Beobachtung der AfD sammeln zu lassen.
Grundsätzlich möglich ist die Beobachtung einer im Bundestag vertretenen Partei: Jahrelang beobachtete der Verfassungsschutz bundesweit die Linke. So hieß es etwa im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2009, es lägen zahlreiche Indikatoren für linksextremistische Bestrebungen vor. Etwa „die uneinheitliche Haltung gegenüber der linksextremistischen Gewalt und die vollumfängliche Akzeptanz von offen extremistischen Zusammenschlüssen in ihren Reihen“. Heute beobachtet der Nachrichtendienst nur noch einzelne „Strukturen“ innerhalb der Linken wie das Netzwerk „marx21“ und die „Antikapitalistische Linke“.
Generell gilt: Der Verfassungsschutz kann Parteien, Unterorganisationen oder einzelne Politiker beobachten, bei denen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung erkennbar sind. Dazu gehören die im Grundgesetz festgeschriebenen Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Gerichte, freie Wahlen und der Ausschluss jeder Gewaltherrschaft. „Bloß vereinzelte Entgleisungen einzelner Funktionsträger (...) genügen nicht“, notiert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Die Hürden sind nicht umsonst so hoch. Beobachtungsmaßnahmen können laut Wissenschaftlichem Dienst unter anderem „das Recht auf Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigen, wenn sie öffentlich werden“. So wird im jährlichen Verfassungsschutzbericht über verfassungsfeindliche Gruppierungen in Deutschland berichtet. Für die AfD wäre eine Nennung ein großes Problem – nicht zuletzt, weil sich unter ihren Mitgliedern auch viele Angestellte des öffentlichen Dienstes befinden.
Verflechtung der AfD mit „Identitären Bewegung“
Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es künftig zu einer Beobachtung kommt – zumindest von Strömungen innerhalb der AfD wie dem „Flügel“ oder der „Patriotischen Plattform“. Als Einzelperson wurde in der Vergangenheit der bayerische AfD-Politiker Petr Bystron wegen Sympathien für die völkische „Identitäre Bewegung“ beobachtet. Nach seinem Einzug in den Bundestag wurde das allerdings eingestellt.
Einige Landesämter für Verfassungsschutz besorgt die Verflechtung der AfD mit der „Identitären Bewegung“, die bereits beobachtet wird. Im März wurde durch einen Bericht von „Zeit Online“ bekannt, dass bei mindestens 27 Angestellten von AfD-Bundestagsabgeordneten Verbindungslinien zu Organisationen wie der NPD, den „Identitären“, der fremdenfeindlichen „Ein Prozent“-Initiative und der wegen neonazistischer Umtriebe verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) zu erkennen waren. Politiker sind nun parteiübergreifend der Meinung, dass die AfD mit ihrem Verhalten in Chemnitz weitere Argumente für eine Beobachtung geliefert habe.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz etwa sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Man kann der AfD beim Extremisieren zugucken.“ Die Reden, die politischen Forderungen, die Bündnispartner der Partei – alles rutsche immer weiter ins völkisch-rechtsextreme Umfeld.
Einige hegen Umsturzgedanken
Kurz nach der gewalttätigen Eskalation in Chemnitz hatte der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier geschrieben: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!“ Ihm wurde vorgeworfen, er habe indirekt zu Selbstjustiz aufgerufen. Zwar hatten sich mehrere Parteikollegen von Frohnmaier distanziert, aber den Protest in Chemnitz halten in der AfD viele für legitim. Manche scheinen sich sogar einen Umsturz zu wünschen. Deutlich wurde das Mitte der Woche an einem Facebook-Post der AfD-Fraktion im Hochtaunuskreis. Dort hieß es: „Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät.“
Weit weniger drastisch, aber dennoch zum Teil radikal äußerte sich Parteichef Gauland bei seiner Rede auf dem letzten Parteitag in Augsburg. Dort forderte er, nicht nur Kanzlerin Angela Merkel sondern ein „ganzes System, ein ganzer Apparat“ müsse weg.
Verfassungsschutzpräsident Maaßen hat sich in der aktuellen Debatte um die Beobachtung noch nicht selbst geäußert. Er steht wegen Treffen mit mehreren AfD-Politikern in der Kritik.