Syrien-Konflikt: Wie reagiert die Nato?
Die Türkei ist Mitglied der Nato. Kann es aufgrund des syrischen Angriffs zum Bündnisfall kommen?
Die Nato-Botschafter sind am Mittwoch eigentlich auf einen schönen Abend aus gewesen. Martin Erdmann, der Vertreter der Bundesrepublik, hatte in seine Residenz in der Avenue Tervuren geladen, um den Tag der Deutschen Einheit zu feiern, und viele Diplomaten waren erschienen. Es gab Bier, Sekt, Brezeln, Leberkäse und andere leckere Häppchen. Um 21.30 Uhr war die Feierlaune jedoch dahin: Die Botschafter wurden für eine Krisensitzung ins Brüsseler Hauptquartier der transatlantischen Allianz einbestellt, wo der Nato-Rat anschließend eine Stunde lang über die Eskalation an der Grenze zwischen Syrien und dem Bündnismitglied Türkei beriet.
Die nach Artikel 4 des Washingtoner Nordatlantikpakts von der Regierung in Ankara beantragten Konsultationen mündeten schließlich in eine scharf abgefasste Solidaritätserklärung. Darin ist von „aggressiven Akten an der Nato-Südostgrenze“, einem „ungeheuerlichen Bruch internationalen Rechts“ sowie einer „Gefahr für einen der Alliierten“ die Rede. Die Nato verlangte in der kurzen Stellungnahme noch in der Nacht ein „sofortiges Ende der Gewalt“.
Die Formulierungen fallen noch viel deutlicher aus als nach dem Abschuss eines türkischen Kampfjets Ende Juni, als die Türkei zum ersten Mal förmlichen Beratungsbedarf anmeldete. Von Warnungen oder Drohungen sieht das Bündnis aber weiterhin ab, weil es keinerlei aktives Interesse gibt, sich militärisch zu engagieren oder den Bürgerkrieg in Syrien zu „natoisieren“, wie sie das im Hauptquartier nennen. Wäre es anders, hätte es bereits genug Gelegenheiten gegeben sich einzuschalten. So verbirgt sich hinter der Formulierung in der Nato-Erklärung, die von „anhaltendem Beschuss von Orten in der Türkei“ spricht, die Tatsache, dass es schon seit längerer Zeit zu Scharmützeln entlang der Grenze kommt. Nur hatten weder die Türkei noch die Allianz selbst dies groß thematisiert – bis Mittwochabend.
Es gibt zwei Ursachen für die Zurückhaltung, die klar auf der Hand liegen. Einerseits gibt es keine diplomatische Unterstützung durch die beiden Sicherheitsratsmitglieder China und Russland, was unter anderem damit zu tun hat, dass sie der Nato vorwerfen, 2011 ihr Libyen- Mandat zu großzügig interpretiert zu haben. Anders als damals, als Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen von sich aus und vorab eine grundsätzliche Einsatzbereitschaft der Allianz feststellte, hat er dies im Falle Syrien bisher unterlassen.
Das hat andererseits auch damit zu tun, dass die Nato-Militärs von einem Engagement abraten. Die Bewaffnung des syrischen Militärs ist ungleich stärker als damals die des libyschen. Vor allem sind laut einem hochrangigen Offizier „die Luftverteidigungsfähigkeiten ganz anders ausgeprägt“. Aber auch die politische Lage unterscheide sich gravierend, wie General Manfred Lange, der höchstrangige deutsche Soldat in der Nato-Kommandostruktur, erst vor wenigen Tagen vor Journalisten in Brüssel sagte. In Libyen sei die Opposition im Land weitgehend geeint, die Unterstützung der Nachbarländer grundsätzlich vorhanden gewesen. „All das kann ich in dieser Form in Syrien nicht erkennen“, so Lange, der sich damit direkt gegen einen Einsatz aussprach: „Mit Militär kann man diese Situation im Moment verantwortungsbewusst nicht lösen.“
Dennoch laufen hinter den Kulissen die Notfallplanungen. Anders als über einen Einsatz zum Schutz syrischer Zivilisten wird über eine Operation zum Schutz türkischen Territoriums offener diskutiert: „Wir verfügen immer über die nötigen Einsatzpläne, um einen unserer Verbündeten zu beschützen“, sagte ein Nato-Offizieller am Donnerstag. Denn im Brüsseler Hauptquartier besteht Konsens, dass die Türken im Wiederholungsfall den Bündnisfall ausrufen würden.
Christopher Ziedler