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Update

Anti-islamisches Video: Wie reagiert Deutschland: Verbot, Boykott - oder Vorrang für die Meinungsfreiheit?

Wie ist umzugehen mit dem Film "Die Unschuld der Muslime"? Die innenpolitische Debatte ist voll entbrannt. Kanzlerin Merkel sieht gute Gründe für ein Vorführungsverbot, Integrationssenatorin Kolat fordert Berlins Kinobetreiber zum Boykott auf. Unterdessen treibt "Pro Deutschland" die Provokation einen Schritt voran.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Sympathie dafür erkennen lassen, eine öffentliche Vorführung des anti-islamischen Videos „Die Unschuld der Muslime“ in Deutschland zu unterbinden. Es gebe Anzeichen dafür, dass das Zeigen des Films zu einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit führen könne, sagte Merkel am Montag in Berlin vor der Bundespressekonferenz. Deshalb werde jetzt ein Verbot geprüft: „Ich kann mir vorstellen, dass es gute Gründe für ein Verbot gibt.“ Merkel stellte klar, dass es dabei ausschließlich um öffentliche Vorführungen des Filmes gehe, wie sie anti-islamische Organisationen planen. Das Video war weltweit Auslöser von zum Teil gewalttätigen Protesten von Muslimen.

Die rechtspopulistische Splitterpartei Pro Deutschland treibt unterdessen die Provokation voran: Sie hat das islamfeindliche Schmähvideo am Montag auf ihrer Internet-Seite veröffentlicht. Der in den USA hergestellte Film ist in voller Länge von insgesamt 1 Stunde und 14 Minuten zu sehen. Unabhängig davon bekräftigte Pro Deutschland das Vorhaben, das Video mit dem Titel „Die Unschuld der Muslime“ auch in einem Kino in Berlin zu zeigen. Auf ihrer Internet-Seite verlinkt die rechtspopulistische Partei auf das Video-Portal YouTube, wo der Film inzwischen komplett eingestellt worden sei. Zunächst war davon nur ein Trailer zu sehen.

Bundesgeschäftsführer Lars Seidensticker kündigte an, dass die geplante öffentliche Aufführung entweder am ersten oder am letzten November-Wochenende über die Bühne gehen soll. Falls man kein Kino finde, werde man sich in Berlin um andere „passende Räume“ bemühen.

Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat unterdessen die Kinobetreiber zum Boykott des Films aufgerufen. Antimuslimische Agitation sei inakzeptabel, erklärte sie. „Ich rufe die Berliner Kinobetreiber dazu auf, antimuslimischer Hetze keinen Raum zu bieten.“ Kolat nannte den Mohammed-Schmähfilm „Unschuld der Muslime“ eine „plumpe Provokation“. Alle Berliner sollten dieser Provokation „eine friedliche, aber deutliche Absage erteilen“. Die Senatorin wies darauf hin, dass rechte und rechtsextreme Gruppierungen immer wieder getarnt ihre Veranstaltungen anmeldeten und damit den eigentlichen Hintergrund ihrer Veranstaltungen verschleierten. „Wenn sich Kinobetreiber und Saalvermieter arglistig getäuscht sehen, gibt es Möglichkeiten zu intervenieren“, sagte Kolat.

Video: Merkel - "Meinungsfreiheit kennt Schranken"

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte zuvor vor der Provokation von Islamisten auch in Deutschland gewarnt. Gegen die Weiterverbreitung des in den USA produzieren Anti-Islam-Videos müsse „mit allen rechtlich zulässigen Mitteln“ vorgegangen werden, sagte der CSU-Politiker. Friedrich sagte dem „Spiegel“, Gruppen wie die rechtspopulistische Partei „Pro Deutschland“ gössen „grob fahrlässig Öl ins Feuer“ mit der Ankündigung, den Film öffentlich vorzuführen. Die Bürgerbewegung Pro Deutschland wies die Vorwürfe des Innenministers zurück. „Genauso unsinnig wäre es, die Schuld bei Youtube zu suchen, weil das Portal eine Vorschau des Films verbreitet, oder bei der US-Regierung, die Anforderungen aus der islamischen Welt zurückweist, den Film zu verbieten“, sagte Manfred Rouhs, Vorsitzender der Bürgerbewegung Pro Deutschland. Rouhs weiter: „Wir wollen den Film zeigen, um eine Diskussion möglich zu machen. Auch, wenn uns vielleicht die Machart nicht gefällt, muss doch die Meinungs- und Kunstfreiheit gegen religiös begründete Intoleranz geschützt werden.“

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Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, dass die deutschen Behörden die Vorführung des islamfeindlichen Schmähvideos verbieten. „Wir haben es hier nicht mit einer Rechtslücke zu tun, denn sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Kunstfreiheit gelten nicht schrankenlos“, sagte Bosbach am Montag dem Bayerischen Rundfunk. Die Ankündigung der rechtspopulistischen Splitterpartei Pro Deutschland, den Film zu zeigen, diene lediglich der Provokation. Dies sei „wahrscheinlich verbunden mit der Hoffnung, dass es danach Unruhen gibt, damit man dann sagen kann: „Seht her, so sind die Muslime! Sie sind alle gewalttätig!“, sagte Bosbach.

Friedrich bekam auch Unterstützung aus seiner eigenen Partei. Der bayerische CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid sprach sich ebenfalls gegen eine öffentliche Vorführung des anti-islamischen Videos in Deutschland aus. Weitere „Provokationen“ bei diesem Thema müssten vermieden werden, sagte Schmid am Montag im oberfränkischen Kloster Banz. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, ist gegen eine mögliche öffentliche Vorführung des Films, die er als gezielte Provokation wertet.

Auch der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat sich dagegen ausgesprochen, das anti-islamische Video „Die Unschuld der Muslime“ in Deutschland zu zeigen. „Ich appelliere mit Nachdruck, die Ausstrahlung des umstrittenen Films zu unterlassen“, teilte Lewentz am Montag in Mainz mit. „Dort, wo religiöse Gefühle verletzt werden und die öffentliche Ordnung gestört wird, werden die Sicherheitsorgane entschieden und konsequent intervenieren.“

Zuvor hatte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz der Berliner „tageszeitung“ gesagt, Verbote könnten nur das letzte Mittel sein. „Eine bloße außenpolitische Rücksichtnahme reicht nicht aus, die Grundrechte zu beeinträchtigen“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, fügte hinzu, er sehe für ein Verbot ebenfalls keine Grundlage. Beck sagte der „tageszeitung“: „Nach dem, was ich gesehen habe, ist der Film eine geschmacklose Dämlichkeit, aber kein strafbarer Inhalt.“

Einreiseverbot gegen US-Prediger

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat die Pläne von Innenminister Hans-Peter Friedrich kritisiert. „Unsere Verfassung erlaubt Kritik und Meinungsäußerungen bis zur gesetzlichen Schmerzgrenze, daran müssen sich hierzulande auch tief religiöse Menschen gewöhnen“, sagte der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut am Montag in Berlin. Von diesem Grundsatz sollten „insbesondere von Amts wegen zum Schutz der Verfassung berufene Minister nicht abweichen“. Es sei auch abzusehen, dass Friedrich vor den Gerichten scheitern werde.

Video: Merkel - "Meinungsfreiheit kennt Schranken"

Nach Einschätzung von Juristen ist ein Verbot des Filmes ohnehin nur schwer möglich. Machbar sei dies nur über den Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches. Dieser stellt die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ unter Strafe. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Paragrafen sehr hoch, wie Juristen betonen – so hoch, dass er nach Angaben des Bundesjustizministeriums nur sehr selten angewendet wird. 2006, nach dem Streit über die Absetzung der Mozart-Oper „Idomeneo“ in Berlin aus Angst vor islamistischen Übergriffen, hatten unter anderem die Grünen eine völlige Abschaffung des sogenannten Gotteslästerungsparagrafen gefordert.

Video: Anhaltende Gewaltausbrüche nach Mohammed-Film

Sollte der Film in Deutschland nach Paragraf 166 verboten werden, darf er auch nicht aufgeführt werden. Wird er nicht verboten, kann er auch gezeigt werden. Selbst die Sorge vor massiven Ausschreitungen kann das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht aushebeln, sagen Juristen. Zuletzt hatte das Oberverwerwaltungsgericht in Berlin im August das Zeigen der Mohammed-Karikaturen vor Moscheen zugelassen, da diese nicht unter den Paragrafen 166 fallen. Pro Deutschland hatte im August vor vier Moscheen die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen gezeigt, 1800 Polizisten waren im Einsatz, um Auseinandersetzungen zwischen Salafisten, Rechtspopulisten und linken Demonstranten zu verhindern.

Am Wochenende erließ das Bundesinnenministerium ein Einreiseverbot gegen den US-amerikanischen Prediger Terry Jones. Eine Einreise des evangelikalen Predigers würde den Interessen Deutschlands widersprechen, teilte das Ministerium mit. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte der ARD am Sonntagabend: „Wir wollen keine Hassprediger in Deutschland haben.“ Auch der Grünen-Politiker Volker Beck begrüßte das Einreiseverbot für den US-Prediger und Islamfeind Terry Jones. „Wir müssen keine Hassprediger ins Land lassen“, sagte Beck der „tageszeitung“. Hintergrund des Einreiseverbots sind Berichte, wonach rechtsextreme Gruppen geplant haben, Jones einzuladen. Der Prediger hatte 2011 den Koran verbrannt und damit Gewaltausbrüche in der islamischen Welt ausgelöst. Jones soll auch das Anti-Mohammed-Video unterstützen. Die Proteste haben sich am Wochenende auf 20 muslimische Länder ausgeweitet. Bei den Ausschreitungen der vergangenen Tage gab es mehrere Tote. (mit dpa/dapd)

Jörn Hasselmann

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