Rheinland-Pfalz: Wie Malu Dreyer künftig regieren will
Die an MS erkrankte Malu Dreyer beerbt Ministerpräsident Kurt Beck in Rheinland-Pfalz – und muss vor allem viele Schulden abbauen. Am Mittwoch wurde sie offiziell zur Nachfolgerin Becks gewählt.
Malu Dreyer, die an diesem Mittwoch dem aus Krankheitsgründen scheidenden Kurt Beck ins Amt des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz folgt, sagte kürzlich über sich: „Ich brauche auch mal Distanz, ich kann sehr gut mit mir allein sein.“ Für dieses Bedürfnis war in den vergangenen Wochen überhaupt kein Freiraum mehr, fast täglich Interviews, Briefings aus anderen Fachressorts, Teamtreffen, Personalgespräche. Und auch in Zukunft wird es schwer mit dem Alleinsein. Vergangene Woche, wenige Tage vor der Vereidigung, sieht man ihr den Vorbereitungsstress an, aber sie ist nicht eitel, sie sagt offen: „Es ist alles sehr aufregend.“
Seit Kurt Beck sie als Nachfolgerin präsentierte, haben die Lobeshymnen auf Malu Dreyer fast unheimliche Züge angenommen. Es wird in Superlativen gesprochen und geschrieben. Über ihren Mut, trotz ihrer MS-Erkrankung ein solches Amt anzunehmen, aber auch über ihre politischen Leistungen und menschlichen Fähigkeiten. In ihrem Ministerium, 500 Meter von der Staatskanzlei und dem Büro des Ministerpräsidenten entfernt, sitzt einem aber eine Politikerin gegenüber, die weiß, was auf sie zukommt. Sie übernimmt Rheinland-Pfalz nicht in bester Aufstellung.
Wer ihr Lachen erlebt, bemerkt nicht sofort ihre Härte und Entschlossenheit. Die 51-Jährige hat ihre juristischen Staatsexamina mit Prädikat bestanden. Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat sich im Magazin „Cicero“ gerade an Dreyer während der schwarz-roten Verhandlungen über die Gesundheitsreform erinnert: „Sie gibt nie auf.“ Andere erinnern sich, dass Schmidt schon mal aus der Haut gefahren sei, während Dreyer Ruhe bewahrte und nie persönlich wurde. Dreyer, seit elf Jahren Ministerin für Soziales und Gesundheit, war eine kompetente Verhandlerin. Sie ist von Herzen freundlich, Freundlichkeit ist aber auch ihre Strategie.
Sie kämpft hart, aber sie schafft vorher ein Wohlfühlklima, damit es nicht so auffällt. Bevor sie in die SPD eintrat, hat sie sich politisch eingesetzt. Ein Mainzer Sozialdezernent kann sich noch gut erinnern an eine Gruppe von Feministinnen, die ihn so lange sehr freundlich nervten, bis er zustimmte, ein Mädchenhaus einzurichten. Malu Dreyer war eine von ihnen.
Auch bundespolitisch setzt Malu Dreyer auf Rot-Grün
Ihre politische Arbeit war kommunal und von den absehbaren demografischen Folgen geprägt und immer auf das Soziale ausgerichtet. Sie hatte ein Mammutressort: Soziales, Gesundheit, Arbeit und Demografie. Ihre größte politische Leistung besteht in der Vernetzung dieser Themen. Immer wenn sie ein Gesetz vorbereitete, hat sie Bürgerbeteiligung organisiert, hat Projektwochen und Regionalkonferenzen ins Leben gerufen. Immer geht sie trotz des gewollten Dialogs sehr systematisch vor, um ihren Plan durchzubringen.
Beim Kinderschutzgesetz war Rheinland-Pfalz Modellprojekt für Bund und Länder. Das Landesgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung hat sie zu einem Erfolg gemacht, Themen wie Inklusion oder Barrierefreiheit vorangetrieben. Aber sie wird sich thematisch weiten müssen. Der Schwerpunkt auf das Soziale, auf soziale Gerechtigkeit ist wichtig für die Zukunft und für die gesamte Sozialdemokratie – aber er reicht nicht. Zwei Themen hat sie schon besonders gut studiert: Finanzen und EU-Beihilferecht. Hier hat Rheinland-Pfalz eklatant versagt. Nicht nur das gescheiterte Projekt Nürburgringpark, auch die umstrittene Förderung für die Flughäfen Hahn und Zweibrücken wird von der EU-Wettbewerbskommission geprüft und sehr kritisch gesehen. Dreyer wird einen Referenten für das Thema direkt in der Staatskanzlei ansiedeln. Ansonsten ist Rheinland-Pfalz nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-Waterhouse von allen Bundesländern am schlechtesten aufgestellt, was die Einhaltung der Schuldenbremse angeht. Die vielen Konversionsprojekte, die die Regierung Beck nach dem Weggang der Amerikaner umgesetzt hatte, sind auf Schulden gebaut. Mittlerweile mehr als 33 Milliarden Euro. Beck sagt: „Wir mussten ins Risiko gehen, investieren, sonst wären ganze Städte ausgeblutet.“ Der Landesrechnungshof warnt seit Jahren vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
Bundespolitisch hat Dreyer aufgrund ihrer Fachkompetenzen einen guten Ruf. In der Bundes-CDU heißt es, man sehe ihre Wirkung. Deshalb müsse Julia Klöckner, CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz, die Beck am Rande einer Wahlniederlage hatte, sich eine neue Strategie suchen. Dreyer könnte mit der Union, aber diese Variante spielt derzeit in Mainz keine Rolle. Sie sieht sich eng an der Seite von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – zwei SPD-Vorreiterinnen für den Bund. Egal was in Niedersachsen passiert.