Demokratie-Lockdown in Venezuela: Wie Maduro im Schatten von Corona die Gegner ausschaltet
Die Pandemie kommt dem Präsidenten gelegen. Keine Massenproteste auf der Straße. Für Gegenspieler Juan Guaidó wird die Lage immer aussichtsloser.
Nicolás Maduro sitzt jetzt wieder öfter im grünen Armeehemd vor den Fernsehkameras und verkündet großartige Zahlen: „Im ersten Halbjahr 2020 ist die Tierproduktion um 25 Prozent gestiegen.“ In Kürze werde die „Gran Misión Agrovenezuela“ starten, um die Agrarproduktion weiter zu steigern, verkündete Venezuelas Präsident in dieser Woche.
Als gäbe es kein Corona und zahllose Venezolaner, die in der Realität ums nackte Überleben kämpfen. Sogar das Benzin war im Land mit den offiziell größten Ölreserven zeitweise ausgegangen, der Iran schickte schließlich fünf Öltanker. Und China ließ in der Coronakrise Hilfsgüter einfliegen. Der Regierung zufolge sollen bisher nur rund 10.500 Menschen mit Corona infiziert und 100 gestorben sein. Zahlen ist in Venezuela aber kaum zu trauen.
Es mangelt überall an Tests, ganz zu schweigen von Beatmungsgeräten oder Intensivbetten. Auch der Strippenzieher der Sozialisten, Diosdado Cabello, soll sich mit Covid-19 infiziert haben. Kurz danach verhängte Maduro nun wieder eine „radikale Quarantäne“ für Caracas.
„Es gibt ein Spiel mit der Quarantäne, um die Macht zu festigen“, glaubt der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Caracas, Maximilian Hedrich. Autokratischen Staaten komme die Pandemie politisch sehr entgegen, das sei weltweit zu beobachten. Für Maduro bedeutet sie: Keine Massenproteste auf der Straße, der Opposition fehlt ihr wichtigstes Spielfeld.
Die Schwäche der USA und der EU im sich verändernden internationalen Kräfteverhältnis zeigt sich auch am Beispiel Venezuelas. Obwohl westliche Staaten 2019 den Oppositionspolitiker Juan Guaidó als Interimspräsidenten anerkannt haben, hielt sich Maduro – auch dank der Unterstützung Russlands, Chinas und des Irans – an der Macht. Trotz US-Sanktionen, trotz Umsturzversuchen, trotz Massenprotesten.
Die Welt schaut weg
Dann kam Corona – und die Welt hatte andere Probleme. Maduro und die immer mehr mit dem Staat verwobene Sozialistische Einheitspartei (Partido Socialista Unido de Venezuela, PSUV) sitzen fester im Sattel denn je, regieren mit harter Hand und nutzen die Lage, um die Opposition auszuschalten.
Am 23. Januar 2019 hatte sich Guaidó als amtierender Präsident des Parlaments unter Verweis auf Artikel 233 der Verfassung wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wiederwahl Maduros zum Staatspräsidenten Neuwahlen binnen 30 Tagen gefordert und wollte bis dahin die Regierungsgeschäfte übernehmen. Doch die Abstimmung fand nie statt.
Stattdessen soll aber am 6. Dezember 2020 die Parlamentswahl stattfinden – der Sieg der Opposition vor fünf Jahren war als Anfang vom Ende des „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ gewertet worden. Es kam anders. Das zwar zunehmend machtlose Parlament ist die letzte staatliche Institution unter Kontrolle der Opposition, mit Guaidó als Präsidenten.
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Oppositionsparteien werden zu Blockparteien
Es ist der Baustein, der Maduro zur Vollendung einer Diktatur mit scheindemokratischem Antlitz fehlt. Und hier gab es nun (wie so oft in den vergangenen Jahren) Unterstützung durch die linientreue Judikative. Um einen Sieg der Opposition zu verhindern, sind die Vorsitzenden der führenden Parteien, auch von Guaidós Partei Voluntad Popular (VP), per Beschluss des Obersten Gerichtshofs durch dem Regime genehme „Marionetten“ ersetzt worden.
Zur Begründung werden angeblich staatszersetzende Vergehen oder Korruption angeführt. Der VP-Vorsitzende Leopoldo López sitzt ohnehin schon seit einer Befreiung aus dem Hausarrest 2019 in der spanischen Botschaft in Caracas fest. Der Gerichtshof erklärte jüngst, die Partei werde unter „verfassungsmäßige Vormundschaft“ gestellt und der Vorstand „suspendiert".
Die Richter übertrugen die Parteiführung dem Guaidó-Rivalen José Gregorio Noriega, dem die Annahme von Bestechungsgeldern und Kollaboration mit Maduro vorgeworfen wird. Wie in kommunistischen Staaten wird versucht, einen Schein-Pluralismus zu wahren. Doch de facto werden die Voluntad Popular, die Partei Primero Justicia oder die Acción Democratica zu Blockparteien des Regimes, die Demokratie wird zur potemkinschen Fassade.
Maduro wandelt das einst reichste Land Südamerikas immer offensichtlicher in ein zweites Kuba um, auch in anderen Staaten der Region grassiert das Virus des Autoritarismus, von Brasilien bis El Salvador. Und aus Angst vor Repression und Festnahme tauchen Oppositionspolitiker unter. Die große Frage ist auch, was aus Juan Guaidó werden wird.
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Wie die Corona-Krise Maduro noch gefährlich werden kann
Dennoch kann Corona für Maduro sehr gefährlich werden – als sozialer Sprengstoff in Venezuela selbst, aber auch für Länder wie Kolumbien. Dort leben rund zwei Millionen Venezolaner. Die vielen Flüchtlinge, die in den anderen südamerikanischen Staaten fast alle im informellen Sektor gearbeitet haben und wegen der überall strengen Quarantänemaßnahmen kein Geld mehr verdienen, sind verzweifelt.
Viele versuchen, trotz allen Elends zurück in die Heimat zu kommen. Schon jetzt kann das Regime die Bevölkerung kaum noch versorgen, die Ölproduktion ist kollabiert. Und Verbündete wie Iran und Russland haben selbst genug Probleme. Nur: Das Regime zeigt sich kreativ, wenn es um Einnahmequellen geht. Und die Allianz mit dem Militär hält bislang. Der lange unterschätzte Linksnationalist Maduro entpuppt sich als Überlebenskünstler.
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